Von meinen Problemen mit französischen Tragikomödien

03.03.2015 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Verstehen Sie die Béliers?Concorde Filmverleih
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Mit Verstehen Sie die Béliers? kommt am Donnerstag eine weitere Tragikomödie aus Frankreich in die deutschen Kinos, die sich diesmal dem schwierigen Thema der Taubstummheit annimmt. Mir gefällt dieser unverfrorene Umgang mit Behinderungen nicht.

Eine Sache muss vorab geklärt werden: Ich bin wahrlich kein Kenner des französischen Kinos. Ich weiß, dass kurz vor dem Zweiten Weltkrieg französische Filme besonders gut liefen und habe auch einige Streifen, sowohl Klassiker als auch unbekanntere Werke, gesehen. Trotz meines Mangels an Hintergrundwissen komme ich jedoch an einer Entdeckung nicht vorbei. Es scheint mir so, als ob jegliche französische Komödie der letzten Jahre nur drei Themen behandeln: Behinderung, Rassismus oder die Kombination von Behinderung und Rassismus. Ihr werdet jetzt sicher denken: "Moment mal, das klingt mir aber stark nach Til Schweiger". Und ihr mögt recht haben, aber ich möchte mich gerade wahrlich nicht mit der deutschen Komödien-Landschaft beschäftigen. Also zurück zum Thema.

Die Til Schweiger-Schule der Genre-Kombination

Das neueste Werk der französischen Comedy-Riege nennt sich Verstehen Sie die Béliers?, bei dem Kennern der benachbarten Kinolandschaft sofort auffallen wird, dass erneut ein möglichst französisch klingender Name im Titel als Anreiz fungiert. Klingt immerhin besser als Frau Müller muss weg. Verstehen Sie die Béliers? startet am Donnerstag in den deutschen Kinos und beschäftigt sich mit einer Bauernfamilie, die bis auf Tochter Paula (Louane Emera) vollständig taubstumm ist. Entsprechend dient Paula als Mund und Ohr für Vater Rodolphe (François Damiens), Mutter Gigi (Karin Viard) und Bruder Quentin (Luca Gelberg), kümmert sich um die Bürgermeister-Kampagne des Papas und muss gleichzeitig entscheiden, ob sie für einen Gesangswettbewerb nach Paris fährt und dafür ihre Familie zurücklässt. Am Ende fahren natürlich alle zusammen, wie es sich gehört. Ein bisschen wie Little Miss Sunshine, nur, dass neben Paul Dano auch der Rest der Familie schweigt.

Thematisch fällt dieser Film eindeutig unter die Kategorie Behinderungen, wobei das offiziell Tragikomödie genannt wird. Doch wenigstens gibt es schon im Trailer einen rassistischen Witz, auch wenn dieser eher Kühe betrifft. Tragikomödien gehören einem schwierigen Genre an. Sie versprechen dem Zuschauer einen unterhaltsamen und bedingungslosen Umgang mit empfindlichen Themen und gleichzeitig den Produzenten eine Menge Geld, da sich durch die Genre-Kombination die Zielgruppe um einiges vergrößert. Til Schweiger wird davon ein Lied singen können. Doch läuft eine Tragikomödie mal schief und setzt sich zu unverfroren mit einem Thema auseinander, kann es schnell problematisch werden, was in meinen Augen beinah jedes Mal der Fall ist.

Schlechte Witze und Alexandre Desplat

Ich habe Verstehen Sie die Béliers? noch nicht gesehen, und dennoch gleich nach Betrachtung des Trailers ein Gefühl dafür bekommen, wie sich der Film gestaltet. Es sind vor allem zwei Dinge, die mir an solchen Komödien nicht gefallen. Zum einen fehlt mir stets eine glaubwürdige Ernsthaftigkeit - es gibt zwar in jedem Film mindestens drei Szenen, in denen es traurig und dramatisch wird (am besten kombiniert mit einem Score von Alexandre Desplat), doch ist dessen einzige Funktion ein kräftiger Druck auf die Tränendrüse. Tatsächlich packen und nachhaltige Gedanken erwecken können solche Momente nie.

Und zum anderen ist mir der Humor zu flach und primitiv. Es steckt eine Menge Potential in einer vom Leben gebeutelten Person, die immer noch Selbstironie besitzt. Wenn dieses Potential jedoch für Sex-Witze und Rassismus aufgebraucht wird, macht mich das wiederum traurig (ganz ohne Alexandre Desplat). Sowieso sind Franzosen in meinen Augen Spezialisten für schlechte Witze über kontroverse Themen, wie sie schon vielfach beweisen konnten. Seien es nun Inländer (Willkommen bei den Sch'tis) oder Ausländer (Monsieur Claude und seine Töchter), Belgier (Nichts zu verzollen), Religion (Saint Jacques... Pilgern auf Französisch), körperlich Gelähmte oder Schwarze (Ziemlich beste Freunde und Heute bin ich Samba).

Warum diese Filme in Frankreich zuhauf produziert werden und sich gut verkaufen, ist für mich schwer nachvollziehbar. Jedoch las ich in der IMDb ein interessantes Kommentar zu Monsieur Claude und seine Töchter, in dem missvoon  sich zu ihren Landsleuten äußert:

Er [Monsieur Claude und seine Töchter, Anm. d. Red.] war sehr erfolgreich in Frankreich und als ein französisches Mädchen bin ich überhaupt nicht überrascht, es zeigt einfach, wie schlecht wir darin sind, mit Leuten mit Migrationshintergrund umzugehen. Wir lehnen uns automatisch weit vor, und nur um zu zeigen, dass das ok für uns ist, müssen wir schlechte Witze machen und eine Menge Klischees verwenden.

Er lacht doch selbst

Dass diese Filme auch in Deutschland funktionieren, überrascht mich wiederum nicht. Themen wie Religion und Behinderungen sind in der Gesellschaft stets außer Acht gelassen und totgeschwiegen worden. Dies ändert sich zwar momentan (mal in positive, mal in negative Richtungen), und doch ist die Unverfrorenheit, mit der Franzosen die Thematiken angehen, in diesem Land ungesehen. Umso schöner ist es doch, sich im Kino über jene Witze belustigen zu können, die wir im echten (deutschen) Leben nicht machen dürfen. Merci und vielen Dank.

Humor ist ja nicht unbedingt der falsche Weg, sich mit schwierigen Themen auseinanderzusetzen, schließlich kann ein gemeinsames Lachen so manche Grenzen im Kopf einreißen. Doch wünsche ich mir mehr Tragikomödien, die sich dies auch wirklich zum Ziel setzen und nicht nur auf Kosten der Benachteiligten rassistische, flache und dümmliche Witze reißen, die der Zuschauer ohne Gewissensbisse genießen kann, weil der Benachteiligte im Film ja mitlacht. Was ich mir wünsche, sind Filme, die den Kinogängern ein schwieriges Thema wirkliche nahe bringen und verständlich machen und zur Belohnung zeigen, dass auch in den trostlosesten Seelen ein Fünkchen Humor stecken kann.

Was haltet ihr von der Welle der französischen Tragikomödien?

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