1979 - Spiel, Spaß & Blut in der Hongkong New Wave

19.12.2011 - 08:50 Uhr
Cops and Robbers von Alex Cheung begründete die Hong Kong New Wave
Shaw Brothers / moviepilot
Cops and Robbers von Alex Cheung begründete die Hong Kong New Wave
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Filmgeschichte ist spannend, das beweist unsere Rubrik Markante Momente Woche für Woche. Heute schauen wir zwar nicht so weit in die Vergangenheit, dafür aber in eine weit entfernte Ecke der Welt: Hongkong. Dort begann 1979 die Zeit der New Wave.

Ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen. Stundenlang bin ich mit Freunden, vorzugsweise natürlich Jungs, durch die Straßen gerannt als gäbe es keinen Morgen, habe nach guten Verstecken gesucht und mir die Lunge aus dem Leib gekeucht. Und das alles wegen diesen ominösen Spiels, das sich schon seit Generationen erfolgreich im spielerischen Repertoire des weltentdeckenden Nachwuchses hält: Räuber und Gendarm. Was uns damals nicht bewusst war: Die Rollenverteilung, Jäger oder Gejagter, ist in der Realität manchmal genauso schnell und willkürlich festgelegt wie im unschuldigen Spiel.

Alex Cheung, eigentlich Cheung Kwok-ming, hat dieses Potential erkannt, und so beginnt er einen seiner besten Filme mit einer langen Sequenz spielender Kinder, deren Beschäftigung, untermalt von kantonesischem Kaugummi-Pop, schnell in bitteren Ernst umschlägt. Vielleicht ein wenig plakativ, dafür aber unmissverständlich weist der Regisseur so auf das Thema seines Films hin und läutet mit der Szene nicht nur seinen Film, sondern gleich eine ganze Phase des asiatischen Kinos ein, die wir heute als Hong Kong New Wave kennen.

Wo bloß anfangen?
Während die französische Nouvelle Vague, das neue deutsche Autorenkino oder die Phase des New Hollywood jedem halbwegs Kinobewanderten heute ein Begriff sind, steht der asiatische Film im Allgemeinen noch immer etwas abseits der Aufmerksamkeitsspanne und so verwundert es weder, dass hierzulande kaum jemand Cops and Robbers oder vergleichbare Werke kennt, noch, dass über den Beginn der filmtechnischen Umbrüche im fernen Osten nach wie vor ein reger Diskurs herrscht. Die einen sehen The Extra von Ho Yim, Dennis Yu und Ronny Yu als ersten Film der New Wave an, Andere Dangerous Encounters – 1st Kind von Hark Tsui, wieder Andere eben Cops and Robbers.

Fest steht unterdessen, dass die jungen Regisseure der Hong Kong New Wave während der späten Siebziger Jahre das asiatische Kino mit ihren innovativen Filmen voller einzigartiger Geschichten und Strukturen, voller Emotionen gehörig aufmöbelten. Die meisten von ihnen waren nach Studienaufenthalten an den Filmschulen der USA oder des Vereinigten Königreiches nach Hongkong zurückgekehrt und in die Fernsehbranche gegangen, die sie als Sprungbrett in die Welt des Films nutzten.

Genremix, Schwertkampf, Trash und viel, viel Blut
Im Gegensatz zu den Filmen des chinesischen Mutterlandes drehten die Filmemacher der Hong Kong New Wave, wie Patrick Tam, Allen Fong, Kirk Wong oder Clifford Choi, auf Kantonesisch und ihre Streifen strotzen vor unkonventionellen Einfällen, die auch vor wahnwitzigen Genre-Mashups kein Halt machen. Da werden schon mal Western und Horror vermischt und immer wieder ironisch gebrochen wie in Wir kommen und werden euch fressen von Hark Tsui.

Elemente von Trash, Sleaze und Exploitation mischen sich mit populären Genres der chinesischen Kultur wie dem Wuxia, bei dem meist Schwertkämpfer an (pseudo)historischen Schauplätzen im Mittelpunkt stehen, und auch erste Anklänge des heroic bloodshed sind enthalten. Überhaupt wird sich für die Werke der Hong Kong New Wave schnell begeistern, wer in Filmen vor allem eins in rauen Mengen spritzen sehen will: Blut.

Die New Wave mündet im Mainstream
In Alex Cheungs Cops and Robbers ist es ein wegen eines Sehfehlers zurückgewiesener Polizeianwärter, der das obligatorische Blutbad anrichtet. Ausgestattet mit Waffen und verspiegelter Sonnenbrille tritt er einen Rachefeldzug gegen die verantwortlichen Cops und ihre Angehörigen an und schreckt dabei vor größtmöglicher Brutalität nicht zurück. Das Genre des Polizeifilms perfektionierte der Regisseur später mit weiteren Filmen wie Danger Has Two Faces und Man on the Brink.

Als gegen Mitte, Ende der Achtziger die Regisseure der Hong Kong New Wave im Mainstream ankamen, verlief die neue Welle langsam aber sicher im Sande, was diverse Protagonisten ihrer Blütezeit aber nicht davon abhielt, weiterhin Filme zu produzieren. Ann Hui, übrigens die einzige Frau der Bewegung, zeigte ihren neusten Film Tao Jie – Ein einfaches Leben, mit überaus positiven Kritikerstimmen bedacht, auf dem diesjährigen Filmfestival in Venedig und auch Hark Tsui produziert stoisch einen Streifen nach dem anderen, zuletzt im vergangenen Jahr Detective Dee und das Geheimnis der Phantomflammen .

Was die Menschheit sonst noch im (Film)Jahr 1979 bewegte:

Drei Filmleute, die geboren sind
27. Januar 1979 – Rosamund Pike, Bondgirl aus James Bond 007 – Stirb an einem anderen Tag
04. April 1979 – Heath Ledger, der Joker aus The Dark Knight
19. April 1979 – Kate Hudson, Blondine aus Wie werde ich ihn los – in 10 Tagen?

Drei Filmleute, die gestorben sind
12. Februar 1979 – Jean Renoir, französischer Regisseur von Die große Illusion
11. Juni 1979 – John Wayne, Westernheld aus Filmen wie Der schwarze Falke
08. September 1979 – Jean Seberg, die Amerikanerin aus Außer Atem

Die großen Festival- und Award-Sieger waren unter anderem
Oscar – Kramer gegen Kramer von Robert Benton (Bester Film, Bester Regisseur,…)
Goldene Palme – Apocalypse Now von Francis Ford Coppola
National Board of Review – Manhattan von Woody Allen

Die drei kommerziell erfolgreichsten Filme
Kramer gegen Kramer von Robert Benton
Amityville Horror von Stuart Rosenberg
Rocky II von Sylvester Stallone

Drei wichtige Ereignisse der Nicht-Filmwelt
07. Januar 1979 – die vietnamesische Armee beendet die Herrschaft der Roten Khmer
28. März 1979 – partielle Kernschmelze im Kernkraftwerk bei Harrisburg, Pennsylvania
04. Mai 1979 – Margaret Thatcher wird britische Premierministerin

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