Archer - Es ist so schön, ein psychopathischer Agent zu sein

31.03.2016 - 11:40 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
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Heute startet die 7. Staffel von Archer in den USA. Wenn das kein hervorragender Anlass für eine Würdigung des Koks dealenden Superagenten ist ...

Sie reisen rund um den Globus, spielen mit den neusten Hightech-Gadgets und bringen nebenbei die fiesesten Schurken zu Fall. Nein, die Rede ist diesmal ausnahmsweise nicht von Superhelden. Vielmehr sind Agenten der neuste alte Schrei, mal heißen sie James Bond, mal Ethan Hunt, Harry Hart, Susan Cooper oder demnächst (wieder) Jason Bourne. Der Größte unter ihnen bleibt dem Kino bisher allerdings fern, sondern schießt sich lieber über die kleine Mattscheibe: Sterling Archer. Der ehemalige Top-Agent von ISIS (nicht dem ISIS) frönt dem Alkohol mehr noch als der Angestellte Ihrer Majestät und weiß ein Team hinter sich, das Ethan Hunt nicht mal seinem schlimmsten Feind wünschen würde. Neben Archers kantig perfekten Zügen wirkt Henry "Codename U.N.C.L.E." Cavill wie ein unförmiger Klumpen Ton und dieser Vergleich ist nur eine minimale Übertreibung um des Vergleichs willen. Heute startet in den USA bereits die 7. Staffel der Animationsserie Archer, die mehr Willen zur Veränderung und Weiterentwicklung an den Tag legt als so manches ultraseriöse Live-Action-Drama.


Die Archer-Crew

Denn wenn Archer, also die Serie und ihr Held, eines nicht ist, dann seriös. Mit einem Namen so maskulin, dass das Testosteron aus jeder Letter trieft, hat sich Sterling Archer zu Beginn der Serie zum gefürchtetsten Agenten auf diesem Erdenrund gemausert. Seine Walter PPK ballert sich regelmäßig durch Reihen von Bösewichten und seine tactleneck-gestützten  Entscheidungen bei brandgefährlichen Einsätzen zeugen von einem perfekt trainierten Instinkt innerhalb des komplizierten Schattenspiels der Geheimdienste. Manchmal. Dazwischen entwickelt die überwiegend von Schöpfer Adam Reed (Frisky Dingo) geschriebene Serie das Bild eines teils psychopathischen Kind-Mannes, getrieben von ödipalen wie narzisstischen Komplexen, einer krankhaften Bewunderung von Burt Reynolds sowie einer hedonistischen Adrenalinsucht, neben der Vin Diesels xXx-Agent wie ein Pfarrer aus einem Jane Austen-Roman herandackelt. Sterling Archer braucht schlicht und ergreifend eine Verhaltens- und (!) tiefenpsychologische Therapie. Das Spiegelstadium  in Erwachsenengestalt sollte auf gar keinen Fall die Verantwortung für Menschenleben tragen und sich dringend von jenen Institutionen lösen, die seine destruktiven Triebe ausbeuten.

Natürlich arbeitet Archer (H. Jon Benjamin) in der ersten Staffel für den International Secret Intelligence Service (ISIS) und natürlich ist seine Vorgesetzte ausgerechnet seine trink- wie kontrollsüchtige und verdammt gewissenlose Mutter Malory (Jessica Walter). Keine guten Voraussetzungen - für Archers geistige Gesundheit, nicht unsere Unterhaltung, wohlgemerkt. Das famos überdrehte an der Ausgangssituation der Animationsserie ist freilich, dass wir es hier mit einem weiteren Verrückten auf einem überladenen Narrenschiff zu tun haben. Rümpfen die Kollegen von James Bond über sein halsbrecherisches Verhalten die Nase, offenbart sich der schießwütige Sterling Archer manchmal als gesündester Patient auf der Krankenstation. Seine behände agierende Ex Lana (Aisha Tyler) und der angehende Cyborg Ray (Adam Reed) gehen noch am ehesten als Stimmen der Vernunft durch. Selbiges kann von der geistig unrund laufenden Sekretärin Cheryl/Carol (Judy Greer), dem neurotisch verklemmten Aktenschieber Cyril (Chris Parnell) oder der unbeschreibbar exzentrischen wie vergötterungswürdigen Pam (Amber Nash) nicht behauptet werden. Dank Technik-Experte Dr. Krieger (Lucky Yates) lässt sich Bonds Q zudem nie wieder mit den selben Augen sehen. Was kreiert der in seiner Freizeit? Ob er auch Sex-Roboter (Fister Roboto!) bastelt oder sich mit seiner holografischen Anime-Freundin streitet?

Pam & Yakuza

Mit dem Stichwort Agentenparodie greifen wir bei Archer allerdings zu kurz. Im Kern, also entledigt um die Diktatoren und konkurrierenden Spionage-Organisationen, die explosiven Actionszenen und vielen (vielen!) nackten Körper, versteckt sich hier eine Arbeitsplatz-Comedy. In den 80er und 90er Jahren hatten Cheers und Friends das Sitcom-Firmament um die Idee bereichert, dass Freunde die biologische Familie angesichts der Scheidungsraten und urbanen Zerstreuung ersetzen können. Demgegenüber fixierten sich Die Larry Sanders Show und The Office auf das Dysfunktionale, das Unharmonische und fanden dessen Quell in den professionellen "Familien", die zusammenleben müssen. Archer nimmt nun die bürokratischen Hintergründe des Agentendaseins ins Visier - Assistenten, Human Resources, Buchhaltung - und verlegt diese misanthropische Abwandlung der Arbeitsplatz-Comedy in ein anderes Genre. Dabei lässt es sich das Archer-Mastermind Adam Reed auch nicht nehmen, echte Gefühle bei seinen Helden zuzulassen, deren in Stein gemeißelte Gesichter Covern von Groschenromanen entstiegen zu sein scheinen.

Prinzipiell erfindet Reed mit Archer das Agentenrad nicht neu. Man schaue sich zum Vergleich nur mal die kinderfreundlichere Mel Brooks-Kreation Mini-Max oder Die unglaublichen Abenteuer des Maxwell Smart aus den 60ern an. Das Arbeitsplatz-Format ermöglicht dennoch die Überwindung eines Stolpersteins vieler Parodien: Veränderung. Gerade in den späteren Staffeln entwickelt sich Sterlings Charakter weiter. Da zeigen sich bei dem Mann, der seine Zuneigung allenfalls einem Ozelot offenbart, liebevolle, erwachsene Seiten, etwa in seiner Beziehung zu Lana. Für ein paar Szenen wenigstens. Archers massiver Kern an eingängig abstoßend geschriebenen und gesprochenen Figuren ermöglicht es Adam Reed zudem, gleich das ganze Genre zu wechseln. So wird ISIS in der 5. Staffel, Archer Vice, aufgelöst. Kokaindeals und Country-Musik-Karrieren treten zeitweilig an die Stelle der Spionage-Plots. Staffel 7 wiederum verspricht eine Hommage an Magnum und ähnlichen Krimikult der 70er und 80er. Im Kino rennen alle den Agenten hinterher, der beste unter ihnen hat die James Bonds und Ethan Hunts dieser Welt aber längst abgehängt.

Die ersten sechs Staffeln von Archer könnt ihr in Deutschland bei Netflix streamen.

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