Ideen. Ungefilterte Ideen. Und am Ende steht ein Film. Vom Drama eines Elephant Man über einen Weltraumausflug in Dune – Der Wüstenplanet bis zum Roadmovie in Eine wahre Geschichte – The Straight Story und Wild at Heart. Wohin es Regisseur und Drehbuchautor David Lynch auch verschlägt, seine Werke sind allesamt audiovisuelle Erfahrungen, die sich ins Gedächtnis brennen und von dort nicht mehr zu tilgen sind. Es sind Reisen in Welten, die uns als vertraut erscheinen mögen, die sich uns jedoch in ihrer manchmal subtilen, manchmal deutlichen Entrücktheit als völlig neue Erlebnissphären präsentieren. Sie entführen uns oft in die schwerelose Atmosphäre eines Traumes, in der wir uns treiben lassen und entdecken können. Entdecken, wie alles zusammenhängt. Entdecken, was uns bisher verborgen blieb. Entdecken, wie schnell sich ein Traum zu einem Albtraum wandeln kann.
„I had a dream about this place.“
In David Lynchs Werken geht es nicht zuletzt um eine Auseinandersetzung mit dem Fremden. Das Fremde ist, was wir nicht kennen, nicht begreifen können, etwas, das in der Welt, in der wir leben und die wir uns ein Stück weit selbst konstruieren, nicht vorkommen dürfte. Als solches ist das, was uns nicht bekannt ist, unheimlich und potenziell gefährlich.
Bei Lynch hat dieses Fremde viele Namen und nimmt viele Formen an. Es ist Henry Spencers immerzu schreiendes, deformiertes Kind in Eraserhead, Frank Booth in Blue Velvet oder die nicht zu fassende Macht in den Wäldern in Twin Peaks. Die Welt von Lynchs Hauptcharakteren wird durch das plötzliche Eindringen dieser Entitäten in ihren Grundfesten erschüttert. Ein Entkommen gibt es nicht, und worin früher sichere Zufluchtsstätten waren, hat das Fremde bereits Fuß gefasst. Vielleicht am tragischsten wird dieser Umstand in Twin Peaks: Der Film klar. Mehr und mehr muss Laura Palmer in diesem Film begreifen, dass das Böse nicht nur in ihr Heimatstädtchen, sondern auch in ihr Haus selbst eingedrungen ist. Gleichzeitig erkennt sie so wie die anderen Protagonisten Lynchs, dass die einzige Möglichkeit, die sie hat, darin besteht, sich dem Fremden zu stellen. Was am Ende dieser Konfrontation steht, sei es Überwindung, sei es Tod, wird jedes Mal aufs Neue ermittelt.
„When you see me again, it won’t be me.“
Twin Peaks und Twin Peaks – Der Film stellen dabei einen Übergang zwischen Lynchs älteren und neueren Filmen dar. Bis Twin Peaks waren die Elemente, die die filmische Welt aus Sicht der Protagonisten bedrohen, in ihrer Fremdheit konstant etwas „anderes“: So waren sie zwar durchaus Teil der übergreifenden Realität, nicht aber Teil der Charaktere selber. Indem jedoch in Twin Peaks Bob von einer beliebigen Person Besitz ergreifen kann, steigert sich das Unheimliche in Lynchs Schaffen zu purem Schrecken: Das Böse ist in uns drin. Jeder Blick in den Spiegel wird trügerisch, denn die Reflexion muss nicht mehr das Abbild dessen zeigen, wofür sich der Betrachtende hält. Die Idee des Doppelgängers wird so bei Lynch maßgeblich.
In Lost Highway verschmelzen dann die beiden Seiten dieses Doppelgängers zu einer unauflöslichen Einheit. Konnte Bob noch von seinem Wirt getrennt werden, ist der Mystery Man nur eine Projektion von Fred Madison; er ist Teil seiner eigenen Identität, erschaffen von seinem Verstand als eine Art Auslagerung des Mörderischen in ihm selber.
„I like to remember things my own way. […] How I remembered them. Not necessarily the way they happened.“
Oder?
Stellen die ersten zwei Drittel von Mulholland Drive wirklich einen Traum dar? Bleibt Inland Empire ein nicht zu durchschauendes Amalgam aus sich wandelnden Identitäten? War Dale Coopers Weg in den Roten Raum von vorneherein vorbestimmt?
Lynchs Filme üben unter anderem deshalb eine so große Faszination aus, weil Bedeutung in ihnen oft nichts permanent Fixiertes ist, sondern von den Zuschauern konstruiert werden muss – und dies mit durchaus abweichenden Ergebnissen. Dieser Umstand allein ist zwar noch kein Alleinstellungsmerkmal von Lynchs Werken. Dennoch entsteht in der Verschmelzung von Inszenierung, bestimmten Stilmitteln, Elementen des rein Absurden und des genuin Unheimlichen sowie der schwebenden Musik von Angelo Badalamenti etwas Eigenes, nicht zu Verwechselndes, das in toto gern mit dem Adjektiv lynchesk umschrieben wird.
„It’s a strange world.“
Wir werden entrissen in die unheilvolle Atmosphäre eines Albtraums, in der wir verloren umherirren und eingeschüchtert sind. Eingeschüchtert, weil wir nichts zu verstehen glauben. Eingeschüchtert, weil den düsteren Schleier des Mysteriums und des Leides kein Lichtfunken zu durchbrechen scheint. Bis wir entdecken, wie schnell sich ein Albtraum verflüchtigen kann und nur noch Schönheit übrig bleibt. Wie das Lied an eine Sirene, der Keim der Liebe, das gleißende Strahlen eines Engels. Es sind Reisen in Welten, die uns als unvertraut erscheinen mögen, die sich uns jedoch mit ihrer manchmal unter all dem Bösen verschütteten, manchmal mit pochender Energie zutage tretenden Menschlichkeit als erweiterte Erlebnissphären unserer Existenz präsentieren. Audiovisuelle Erfahrungen, die uns ein Leben lang begleiten werden. Doch am Anfang steht ein Film. Geboren aus ungefilterten Ideen. Ideen.
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