Der rätselhafte Hype um Fifty Shades of Grey

30.07.2014 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Fifty Shades of Grey
Universal Pictures
Fifty Shades of Grey
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100 Millionen verkaufte Exemplare des Buches, fast 40 Millionen Aufrufe des ersten Trailers allein auf YouTube. Die Verfilmung von Fifty Shades of Grey reaktiviert schon jetzt den eigentlich gestrigen Wirbel um einen vermeintlich skandalösen Roman.

Ganz ehrlich, ich verstehe es nicht recht. Das glücklicherweise zurückliegende, nun doch wieder gegenwärtige, dementsprechend auch leider bevorstehende Aufsehen um die als Fan-Fiction geschriebene (und unbedingt auch identifizierbare) Erotikprosa Fifty Shades of Grey. Wenn selbst sogenannte Nachrichten deutscher Privatsender zwischen Malaysia-Airlines-Flug 17 und Nahostkonflikt über die Veröffentlichung eines Trailers zur anstehenden Shades-Kinoverfilmung berichten, ist das Maß der Verhältnismäßigkeit wohl deutlich überschritten. Sicherlich, ein stückweit reiht sich die Popularität der ziemlich uncharmant zum „Hausfrauenporno“ polemisierten Romantrilogie von E. L. James lediglich in die Mysterien des Mainstreams ein, ist als Gegenwartsphänomen also auch nur Teil einer zwar verzichtbaren, aber eigentlich doch harmlosen Massenbefindlichkeit.

Die Bestseller-Geschichte ist schließlich randvoll gefüllt mit zeitgenössischen Büchern, über deren literarischen Unwert weitgehend Einigkeit besteht, und die kulturell keine besonderen Spuren hinterlassen (jedenfalls keine, über die es sich wirklich zu sorgen gilt). Fifty Shades of Grey mag sich derweil mehr als 100 Millionen Mal verkauft haben, aber ernst nehmen muss dieses ursprünglich als Twilight-Spinoff konzipierte Groschenbüchlein deshalb ja noch lange niemand. Allerdings war und ist das geschmiedete Aufsehen, die wohlfeine Kontroverse, nun einmal da, obgleich natürlich konstruiert von Verlegern und –lagen, dem Writers’ Coffee Shop und Vintage Books, die den eigentlich nicht übermäßig sonderbaren Liebesroman mit viralem Marketing zum Erfolg feilten.

Der kommende Film ist als fortgesetztes Werkeln am Phänomen, als verlängerter Ausschlachtungsarm des Milliardengeschäfts, auch nichts anderes als die Weiterführung eines Shades-Imperiums, dessen unüberschaubarer Franchiseunsinn selbst vor einem Brettspiel zum Buch nicht Halt machte. Kein wirklicher Film, eher ein Ergänzungsstück im Kampf um die Shades-Moneten also, bestenfalls ein Hörbuch mit Bildern. Jetzt eben ganz anschaulich so, wie es sich zig Millionen LeserInnen wohl vorgestellt haben, ein Lustmachen wie beim ersten Mal: Wer Regie führen, wer den dominanten Milliardär und seine unerfahrene Gespielin mimen wird, vor allem aber – wie sich der vermeintlich brisante Sex mit seinen explizit beschriebenen BDSM-Praktiken filmisch umsetzen ließe, ohne gleich vom drohenden Porno-Rating kommerziell unterbunden zu werden.

Über diese sorgfältig gestreuten PR-Fragen, die schon für Gesprächsstoff sorgen sollten, noch bevor das Filmprojekt tatsächlich Form annahm, gibt es mittlerweile Gewissheit. Fotomodell und Musiker Jamie Dornan spielt den 27jährigen Tycoon Christian Grey, Prominententochter Dakota Johnson wird als sechs Jahre jüngere Literaturstudentin Anastasia Steele zu sehen sein. Die dritte Hauptrolle spielt natürlich der schon im Buch so sensationalistisch Red Room of Pain genannte Schmerzensraum, über dessen Submissionsdetails die beiden Protagonisten einen Vertrag aushandeln, der die Grenzen ihrer spielerischen Misshandlungen festlegt. Ein mit viel Bohei veröffentlichter – und vor allem auf Twitter (#FiftyShadesTrailer, #ChristianGrey) fleißig rezipierter – Trailer genügt dann, um erneut die angebliche Relevanz des Themas Fifty Shades of Grey zu bestätigen, zu dem es irgendwie immer eine Meinung braucht.

Und (noch mal) ganz ehrlich: Ich habe keine. Jedenfalls keine abgeschlossene. Gut möglich, dass die nicht untalentierte Regisseurin Sam Taylor-Johnson mit filmischem Geschick eine Kinofassung wird fertigen können, die dem eher uninteressanten Buch doch noch eine satisfaktionsfähige Existenzberechtigung nachreicht. Ebenso möglich ist, zumindest nach Durchsicht des ersten Trailers, dass die unter strenger Aufsicht von E. L. James produzierte Verfilmung das Material durch den Verzicht wenigstens theoretisch delikater Sexmomente endgültig aller Banalität überführt. Der für die Adaption irgendwann einmal vorgesehene Joe Wright hätte da schon für eine ungleich zuverlässigere Gelinggarantie gesorgt, ganz zu schweigen von David Cronenberg, der offenbar automatisch mit derartigen Filmen in Verbindung gebracht wird (um dann doch nur wieder zu erinnern, wie interessant es auch hätte aussehen können).

Sicher ist jedoch, dass der pünktlich zum Valentinstag terminierte Kinostart von Fifty Shades of Grey noch einmal die unterschiedlichsten Meinungen über den Stoff reaktivieren dürfte. Mit Zitaten der israelischen Soziologin Eva Illouz, die den Romanzyklus etwas ungelenk als „weibliche Orpheus-Fantasie“ verteidigte, sehr gewiss auch mit viel Häme, wie sie für Twilight – Bis(s) zum Morgengrauen und Feuchtgebiete noch lange nicht ausreichte. Und vielleicht auch mit jenen ganz unterschiedlich begründeten Vorwürfen, gemäß derer E. L. James ein verbannenswertes Buch geschrieben habe: Der moralischen Medienüberwachung zu unsittlich und eben unverhohlen pornographisch, den Missbrauchsverbänden zu nahe an Erzeugnissen einer rape culture, die Fifty Shades of Grey durch Erniedrigungsfantasien beflügele, in denen brutale Kontrollmechanismen des Mannes Liebessehnsüchte der Frau legitimieren würden.

Aus mit BDSM vertrauten Kreisen wiederum hieß es, E. L. James werfe ein falsches Licht auf sogenannten Kinky Sex, und ihre Beschreibungen seien von erheblicher Unkenntnis und einer fatalen Missdeutung entsprechender Praktiken bestimmt. Gegenüber der harten Arbeit, die geleistet worden sei, um BDSM in der Öffentlichkeit nicht mehr als anrüchig oder pathologisch abzubilden, schrieb Pamela Stephenson Connolly, würde sich der Erfolg von Fifty Shades of Grey als Rückschritt erweisen. Ganz ohne Meinung geht es dann halt doch nicht: Die Art, in der E. L. James solchen Sex als etwas Außerordentliches ausgibt („Jeez“ und „oh my“ sind Anastasias häufigste Reaktionen, wie sie ein Amazon-Rezensent gar mitzählte), und in der die Autorin entsprechende Fetische unbedingt an traumatische Erlebnisse gebunden wissen will, ist das schon ein ziemlich idiotisches Phänomen, mit dem wir Medien uns da eigentlich beschäftigen.

Und: Nichts ist gewagt oder radikal, wenn hier ansatzweise der Lichtaus- und Bettdeckehoch-Glaubenssatz literarischer oder filmischer Sexdarstellungen insbesondere des US-amerikanischen Mainstreams einigermaßen gebrochen scheint. Die Lust nach Fesseln und Peitsche ist doch gottlob längst fester Bestandteil auch eines normativen Verständnisses von Sex, ohne abschätzige Küchenpsychologie oder dem Werturteil des Biedermeiers. Sollte E. L. James dazu einen instruktiven Beitrag geleistet haben, darf es mir nur recht sein. Eher jedoch ist zu befürchten, dass gerade der Erfolg von Fifty Shades of Grey die in der Massenkunst allzu rare Abkehr von Kuschelsex in eine Wahrnehmung exotischer Erotik zurückführt, bei der selbst eine Trivialabhandlung wie diese schon das Zeug zum Skandal hat. Waren wir nicht bereits viel weiter?

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