Easy - Joe Swanbergs Netflix-Mumblecore-Serie im Pilot-Check

23.09.2016 - 09:00 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Joe Swanberg macht eine Netflix-Serie und wir haben sie für euch angeschaut.Netflix
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Joe Swanberg, der Meister des Mumblecores, hat sich mit Netflix zusammengeschlossen und eine Serie gedreht. Herausgekommen sind dabei acht tragikomische Episoden über das Leben und die Liebe. Wir haben für euch einen Blick in den Pilot geworfen.

Als einer der wenigen Regisseure, die noch keinen Marvel-Blockbuster inszeniert haben, gehört Joe Swanberg zu den aufregendsten Indie-Filmemachern unserer Zeit. Große Budgets und aufwendige Kulissen braucht er nicht. Es wird sogar gemunkelt, die Notwendigkeit eines ausgearbeiteten Drehbuchs sei bei seiner Arbeitsweise eher von zweitrangigem Belang. Stattdessen leben seine Filme aus ihren Figuren und wie sie miteinander reden, stets ausgestattet mit den charakteristischen Zügen des Mumblecores, einem Subgenre des Independentfilms. Alex Ross Perry, Lena Dunham und die Duplass-Brüder sind nur ein paar wenige Namen, die jener Gattung zu ihrer jetzigen Form verholfen haben. Auch Joe Swanberg hat den Mumblecore mit seinem bisherigen Schaffen maßgeblich geprägt. Mit der Netflix-Produktion Easy überträgt er sein Können nun in Serienform.

Dass sich Joe Swanberg eines Tages mit Netflix zusammentun würde, um eine Serie zu entwickeln, war durchaus absehbar. Immerhin setzte sich das Angebot des US-amerikanischen Streaminganbieters früher gefühlt zu 50% aus seinen Filmen zusammen. Drinking Buddies, Happy Christmas und Tim und Lee: All diese Filme sind geradezu prädestiniert, um einen gemütlichen Abend auf der heimischen Couch zu verbringen und fühlen sich nach der Nische an, die Netflix vor ein paar Jahren noch ausfüllte, bevor das Unternehmen aggressiv in alle Richtungen expandierte. Eigentlich hätte bei Easy nichts schief gehen können, zumal der Cast aus einer abwechslungsreichen Mischung aus Swanberg-Veteranen und unverbrauchten Gesichtern im Swanberg-Kosmos besteht. Die erste Episode hinterlässt jedoch nur gemischte Gefühle.

Elizabeth Reaser und Michael Chernus in Easy

An dieser Stelle sei allerdings gleich erwähnt, dass es sich bei Easy um eine Anthologieserie handelt. Sprich: Alle Episoden der 1. Staffel - es sind acht Stück an der Zahl - funktionieren relativ unabhängig voneinander. Natürlich gibt es diverse Verbindungen zwischen den einzelnen Kapiteln, meistens handelt es sich dabei aber eher um motivische Referenzen. Ein großer, gemeinsamer Nenner existiert dennoch: der Handlungsort. Wie viele vorherigen Swanberg-Werke ist auch Easy in Chicago, der Heimatstadt des Regisseurs, angesiedelt und versteht sich auf gewisse Weise als episodisches Portrait der Metropole am Südwestufer des Michigansees, wobei vor allem der Norden der Stadt als Schauplatz der kurzen Geschichten dient.

Zwar handelt es sich bei Easy um keine David Simon-Serie, sodass die Erwartungen an einen urbanen Hymnus à la The Wire und Treme vorzugsweise heruntergeschraubt werden sollten. Dennoch hat Joe Swanberg im Lauf seiner Karriere beständig herausgefunden, wie er möglichst beiläufig möglichst viel über die Stadt und ihre Menschen erzählen kann, in der sich seine Filme abspielen. Wie Aziz Ansari in Master of None und Louis C.K. in Louie ein unkonventionelles, aber authentisches Bild von New York City entwerfen, entführt Easy in die versteckten Ecken Chicagos, die in den Establishing Shots von The Dark Knight nicht zu sehen waren. Selbst wenn die Qualität zwischen den einzelnen Episoden schwankt, entsteht am Ende ein facettenreiches Gebilde, das zum Lachen, Weinen und Nachdenken anregt. Unerträglich wird Easy nur dann, wenn Fragestellungen moderner Beziehungen in abgedroschenen Handlungsmustern durchexerziert werden.

In diese Kategorie fällt leider auch die erste Episode, die den Titel The F**King Study trägt und sich um das Ehepaar Andi (Elizabeth Reaser) und Kyle (Michael Chernus) dreht. Sie geht arbeiten, während er zuhause auf die Kinder aufpasst. Wie sich die getauschten Rollenbilder auf das Sexleben der beiden auswirken? Diese Frage wird auf einer Party gestellt und fördert somit erst Dinge als Problem zutage, die vorher selbstverständlich schienen. Ist ein Mann weniger attraktiv, wenn er sich nur noch um die Wäsche kümmert? Und ist eine Frau weniger attraktiv, wenn sie finanziell den Haushalt sichert? Fragen über Fragen und schnell bestätigt das Familienleben der beiden den schlappen Eindruck: Im Bett läuft nichts mehr, nur getrennt kommen sie zum Höhepunkt. Das ist jedoch alles andere als erquickend. Ein Rollenspiel soll wieder etwas Stimmung in die Beziehung bringen, doch das notgedrungene Experiment ist schon mit Auswahl der Kostüme zum Scheitern verurteilt.

Elizabeth Reaser und Michael Chernus in Easy

Als "Hot Housewife" und "Construction Worker" wollen Andi und Kyle am Halloween-Abend ihren Spaß haben, während die Kinder mit Bekannten auf der Straße unterwegs sind und Süßigkeiten sammeln. Bevor das Rollenspiel allerdings überhaupt in Fahrt kommt, klingelt das Smartphone. Die Tochter ist aufs Knie gefallen und bedarf der Gegenwart ihrer Eltern. Alles kein Problem, zweiter Anlauf. Dieses Mal knistert es fast zwischen der Hausfrau und dem Bauarbeiter, doch dann schlägt das Klingeln des Smartphones wieder unbarmherzig zu. Der Verlauf der restlichen Episode ist in Stein gemeißelt, ehe Andi und Kyle etwas dagegen unternehmen können. Wenngleich die Entlarvung diverser Rollenbilder ganz witzig ist: Die emotionale Komponente verpasst The F**cking Study beinahe komplett. Erst in den finalen Minuten reißt Joe Swanberg das Ruder herum und verleiht dem (zu) langem Vorspiel Gewicht.

Ein undefinierbares Lächeln zwischen Erleichterung und Erschöpfung lässt den wahren Geist des Regisseurs durchblitzen, der alle Episoden von Easy geschrieben und inszeniert hat. Vielleicht waren es Anlaufschwierigkeiten, vielleicht auch nicht. Abschrecken lassen solltet ihr euch von dem lauen Auftakt jedoch auf keinen Fall. Allein die Aussicht auf Malin Akerman, Jane Adams, Andrew Bachelor, Orlando Bloom, Hannibal Buress, Aya Cash, Dave Franco, Jake Johnson, Marc Maron, Gugu Mbatha-Raw, Kate Micucci sowie Emily Ratajkowski sind Grund genug, den anderen Episoden eine Chance zu geben.

Spoiler: Das Wagnis lohnt sich, denn spätestens Geschichte Nr. 5 wird Swanberg-Anhänger endgültig begeistern. Hier entfaltet Easy sein gesamtes Potential. Und wer trotzdem enttäuscht wurde, kann sich auf den Algorithmus des Streaminganbieters ihres Vertrauens verlassen und wahlweise den Abend mit Slavery: Sands of Time oder The Sands of Sex verbringen.

Gebt ihr Easy von Joe Swanberg eine Chance?

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