Aktuell läuft Alex Cross bei Amazon Prime, The Agency bei Paramount+ und Black Doves bei Netflix: Die Streamingdienste beweisen, dass sich Agentenserien 2024 anhaltender Beliebtheit erfreuen. Bei aller Serienliebe ermüdete mich das Genre mit fast wöchentlich neuen Night Managern und Reachern allerdings mittlerweile etwas. Schließlich lassen sich Spione, Verfolgungsjagden und Verschwörungen nicht ständig neu variieren. Oder doch?
Ich ging bei WOW * mit der Erwartung in The Day of the Jackal, dass ich vermutlich über Folge 1 nicht hinauskäme – wurde aber prompt eines Besseren belehrt: Schon in den ersten Minuten, in denen eine Kugel ihr kilometerweit entferntes Ziel findet, zog die Serie mich in ihren Bann. Danach konnte ich überhaupt nicht mehr aufhören, jeder neuen Folge entgegenzufiebern. Der atemlose britische Agententhriller blies mich mit düsteren James Bond-Vibes weg und schwang sich zum Liebling meines Serienjahres auf.
Die Agentenserie The Day of The Jackal treibt den Puls in die Höhe
Dabei hatte The Day of the Jackal als Remake für mich nicht die beste Ausgangsposition. Wie viele Romane und Filme wurden zuletzt als Serien neu aufgelegt? Noch so ein ermüdendes Phänomen! Und noch ein Irrtum, den ich mir bald eingestehen musste. Denn auch wenn das gleichnamige Buch * von Frederick Forsyth bereits 1973 als Der Schakal adaptiert wurde, brachte die neue Serie von Ronan Bennett (Public Enemies) eine ungeahnte Spannung mit. Beim Zusehen steht man sofort unter Strom. Nachdem WOW die ersten fünf Folgen auf einen Schlag veröffentlicht hatte, entpuppte sich das wöchentliche Warten auf den Rest als meine persönliche Zerreißprobe. Jetzt sind aber zum Glück alle 10 Episoden da.
Der Schakal (Eddie Redmayne) arbeitet als Auftragskiller der obersten Liga. Nur die Reichsten können sich seine Dienste leisten und keiner kennt seine wahre Identität. Nach einem schier unmöglichen Mord heftet sich MI6-Agentin Bianca Pullman (Lashana Lynch) an seine Fersen. Neuestes Ziel ist der Milliardär Ulle Dag Charles (Khalid Abdalla), der in Kürze eine weltverändernde Technologie enthüllen will und durch die versprochene Weltwirtschafts-Transparenz als kontroverser Robin Hood auf mächtige Zehen tritt. Die Zeit, den Schakal vor seinem gut bezahlten Anschlag zu schnappen, läuft davon.
Der Killer und seine Jägerin teilen sich die Serie The Day of the Jackal. Wie sich ihre Wege immer wieder (fast) kreuzen, lässt das Spannungspendel nie stillstehen. Dass dieses Katz-und-Maus-Spiel stark an James Bond erinnert, liegt nicht nur an der Rückkehr von Keine Zeit zu sterben-Darstellerin Lashana Lynch ins Agentengeschäft. Auch der Titelsong ("This Is Who I Am" von Celeste ) schwelgt in verblüffenden 007-Klängen. Dass die Serie auf britische Eleganz statt amerikanische Grobschlächtigkeit setzt, stärkt den Vergleich noch weiter: Der Schakal präsentiert sich als abgründiger James Bond – mit einem großen Talent, aber keiner Lizenz zum Töten.
Der böse James Bond: Eddie Redmayne sorgt als schonungsloser Killer für Gänsehaut
Eigentlich dachte ich, ich hätte von Eddie Redmayne schon alles gesehen: Als Sänger in Les Misérables, als Forscher Stephen Hawking in Die Entdeckung der Unendlichkeit, als fragwürdiger Schurke in Jupiter Ascending oder als autistischer Zauberer im Harry Potter-Spin-off der Phantastischen Tierwesen bewies er seine Bandbreite. Nur dass er in der Rolle eines kaltblütigen Killers derart aufgehen könnte, hätte ich vor The Day of the Jackal nie für möglich gehalten.
Dabei ist der Brite bekanntermaßen ein akribischer Planer seines Schauspiels, bis hin zu kleinsten Gesten wie in The Danish Girl. Diese kontrollierte Note verleiht seinem Schakal einen absoluten Gänsehaut-Auftritt. Egal, ob Eddie Redmayne sich in der Thriller-Serie als alter Mann, Nerd mit Brille oder glatzköpfiger Hutträger verkleidet: Ich konnte mich seiner eiskalten Aura nicht entziehen, auch wenn sein Puls sich scheinbar nie beschleunigte. In einer bedrohlichen Szene steht er beispielsweise nur wortlos starrend viel zu dicht vor einer Verfolgerin – und schon brach mir der Schweiß aus. Die enge Begleitung seiner Planung sowie seine Beziehung zur unwissenden Spanierin Nuria (Úrsula Corberó) geben ihm dann aber eben doch den nötigen Hauch Menschlichkeit.
Der Schakal mag Gadgets wie James Bond haben, aber nicht die Moral von 007. Die Kraft des begabten Anti-Agenten liegt nicht im Faustkampf, sondern im präzisen Vorgehen mit dem Sniper-Gewehr sowie Täuschungsmanövern in unvorhergesehenen Situationen. Immer wieder ertappte ich mich dabei, dass ich mit dem Schakal mitfieberte, obwohl ich seine Taten verurteilte. Die Balance zwischen Bewunderung für sein Können und Fassungslosigkeit über die rücksichtslose Ermordung Unschuldiger tariert die Serie geschickt auf Messers Schneide aus.
Diese spannende moralische Kluft spiegelt sich in The Day of the Jackal auch in seiner Verfolgerin wider: Lashana Lynchs beinharte Bianca vertritt als Heldin zwar das Gute, macht aber nicht vor Erpressung oder sogar Folter halt, um ihr Ziel zu erreichen. Die Agentin muss, anders als der Schakal, noch einen zweiten Kampf gegen bürokratische Hürden ausfechten und hinkt so häufig einen Schritt hinterher. Aber die Spurensuche, wenn ihre Schlinge sich um den Hals des Killers zuzieht, ist dadurch nicht weniger aufsehenerregend.
The Day of The Jackal ist die angenehmste Serien-Überraschung des Jahres
The Day of The Jackal erhob sich dieses Jahr unerwartet aus dem Meer an Agentenserien und Remakes. Trotz der schon mehr als 50 Jahre existierenden Figur des Schakals fühlt sich seine Geschichte zu keinem Zeitpunkt angestaubt oder wiedergekäut an. Tricks wie Gewehre, die sich zu Rollkoffern umfunktionieren lassen, und Konzertsaal-Infiltrationen bringen nicht nur die Gegenseite zum Staunen. Dass der französische Präsident als Zielperson diesmal gegen einen Steve Jobs ähnlichen Computeraktivisten eingetauscht wird, passt perfekt zum Pulsschlag der Moderne.
Thriller-Serien mit Killern und Agenten tappen häufig in die Falle, berühmte Ziele wie Peking, Dubai oder New York immer wieder anzusteuern. The Day of the Jackal konzentriert sich ganz auf Europa, was uns neben London und Paris auch ungewöhnlichere Abstecher nach Tallin oder München beschert. Dass der Thriller mit der Ermordung eines deutschen Politikers (Burghart Klaußner) beginnt, löst fast schon Heimatgefühle aus.
Staffel 2 wurde schon vor Serienende angekündigt und das erfüllt mich mit ungemeiner Erleichterung. Denn wenn man so gelungene Hochspannung wie die von The Day of the Jackal gefunden hat, will man sie nur ungern wieder ziehen lassen. Da kann meinetwegen der "echte" James Bond noch länger warten, wenn stattdessen ein neues Agentenabenteuer des Schakals am Horizont wartet.
*Bei diesem Link zu WOW handelt es sich um einen Affiliate-Link. Mit dem Abschluss eines Abos über diesen Link unterstützt ihr Moviepilot. Auf den Preis hat das keinerlei Auswirkung.