Kino – dafür werden Filme gemacht!?!

07.05.2014 - 08:50 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
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Im Internet fordern Filmfreunde vehement einen deutschen Kinostart von Under The Skin, weil große Filme schließlich auch auf die große Leinwand gehörten. Aber stimmt das überhaupt? Und hat sich die Realität der Filmverwertung nicht längst geändert?

Ein Film voller Hollywoodstars garantiert noch keinen Kinostart. Obwohl mit Matthew McConaughey und Reese Witherspoon prominent besetzt, wird das hochgeschätzte und vielfach prämierte Coming-of-Age-Abenteuer Mud – Kein Ausweg hierzulande lediglich auf heimischen Bildschirmen ausgewertet. Auch Scarlett Johansson, durch ihre Rolle der Black Widow nun Hauptdarstellerin milliardenschwerer Blockbuster, scheint aus Sicht des Filmverleihs Senator zu wenig vertrauenswürdig, um mit ihr ein deutsches Kinopublikum gewinnen zu können. Ein regulärer Leinwandstart ist Under the Skin, ihrem von internationalen Kritikern begeistert aufgenommenen neuen Film, in Deutschland zumindest nicht vergönnt. Die Liste interessanter und unverdient abseitiger Filme, die keinen Weg in hiesige Lichtspielhäuser finden, sondern – wenn überhaupt – lediglich über DVD, Blu-ray oder VoD-Plattformen zugänglich gemacht werden, kann man allein in diesem Jahr bereits munter fortsetzen. Drug War, Love Battles – Mein erotischer Ringkampf, Cheap Thrills, Plush oder I Declare War sind nur einige ins Heimkino verdrängte Beispiele jüngeren Datums, an denen sich fehlender Wagemut und mangelndes filmkulturelles Verantwortungsbewusstsein deutscher Verleihunternehmen bedauern ließe.

Kino – dafür werden Filme gemacht, lautete ein Kampagnenslogan der deutschen Filmwirtschaft von 2006, noch heute wird der entsprechende Einspieler nebst Werbung und Trailergedöns regelmäßig im Kino gezeigt. Zunächst einmal ist diese Behauptung aber natürlich vollkommen unwahr. Filme werden genauso wenig nur fürs Kino gedreht wie Musik einzig für Live-Konzerte geschrieben wird. Filme aus dem gigantischen Direct-to-Video-Sektor etwa sind gewiss nicht weniger Filme, weil sie keine Kinoauswertung erfahren. Auch ein Fernsehfilm ist ein Film, ohne fürs Kino gemacht zu sein. Wo es kein Kino gibt, kann es trotzdem Film geben. Und überhaupt haben doch insgesamt die allerwenigsten Filme dieser Welt das Glück, ein Publikum über die große Leinwand zu erreichen. Kino ist ein (soziales) Privileg. Die auf Facebook leider recht amokartig angezettelte Debatte um einen deutschen Kinostart von Under The Skin findet auf sehr hohem Niveau statt. Wenn Filme tatsächlich fürs Kino gemacht werden, würde dies außerdem bedeuten, dass sie nur für den geringen Zeitraum ihrer Spieldauer gemacht seien. Im besten Fall aber existiert ein Film für immer. Und da spielt die Kinoauswertung eigentlich schon wieder eine vergleichsweise kleine Rolle.

Kino, auch dafür werden Filme gemacht, müsste es vielleicht schon eher heißen. Nun hat sich die Situation des Kinos als optimale erste Filmbegegnungsstätte allerdings entscheidend verändert. Sie hat, ohne dies werten zu wollen, an Bedeutung eingebüßt. Im Kampf gegen Filmpiraterie ist die Industrie versucht, mit der flächendeckenden 3D-Ausrüstung ihrer Kinos eine Wertschätzung für Lichtspielhäuser über neue alte Attraktionen zu gewinnen. Gleichzeitig jedoch verkürzen sich die Zeitfenster zwischen Kino- und Heimkinoveröffentlichung und senken Preise für Filmmedienträger schon bei Kaufstart auf Ramschniveau. HDTV argumentiert mit Erfolg für ein optimales Entertainment in den eigenen vier Wänden, das technische Heimkinoangebot wiederum erweiterte sich paradoxerweise schon um 3D-Equipment, als Dreidimensionalität gerade erst angetreten war, um Film als Kinoerlebnis zu retten. Und Video-on-Demand, im Prinzip ebenso ein Resultat der Bekämpfung illegaler Filmverbreitung über das Internet, stellt Kino gleich grundsätzlich in Frage: Der bequemlichste aller vielfältigen Distributionskanäle ist durchaus geeignet, dem Kino als Ort primärer Filmauswertung den Rang abzulaufen, wenn es sich nicht gerade um das neueste Multimillionendollar-Spektakel aus Hollywood handelt.

Obwohl selbst das ungewiss scheint. So starteten mit Disney und Sony im vergangenen Jahr zwei große Studios einen Testlauf, bei dem sie in Südkorea kostspielige Produktionen über VoD-Dienste bereitstellten, noch während diese dort im Kino zu sehen waren. Ein möglicher Paradigmenwechsel, mindestens aber eine Neujustierung innerhalb der Verwertungskette von Filmen. In den USA, wo Video-on-Demand sich bei den Nutzern allergrößter Beliebtheit erfreut, kommt das Modell vor allem dem Independent-Bereich zugute. Dort erfahren Filme auch ohne reale oder von der Traumfabrik erzeugte Nachfrage eine Art der Verbreitung, die ihnen über konventionelle Vertriebswege schon systematisch versagt geblieben wäre. Zudem vertrauen Filmverleiher dabei sogar vielfach auf ein duales Veröffentlichungssystem, das entsprechende Produktionen zeitgleich in VoD-Services und unabhängige Kinos einbettet. The Sacrament, der neue Film von Ti West, ist dort etwa seit dem 1. Mai 2014 sowohl digital abrufbar als auch auf ausgewählten Leinwänden zu bestaunen. Eine solche Koexistenz mag hierzulande zwar noch nicht absehbar sein, rückt den drohenden Bedeutungsverlust des Kinos aber dennoch in ein gesundes Verhältnis: Aus der Vielfalt des Angebots entscheidet der Zuschauer, Film bleibt als künstlerisches und kommerzielles Medium intakt.

Mit Under The Skin aber, an dessen Diskussion um einen eifrig geforderten deutschen Kinostart sich sogar die Burda-Journaille beteiligt (natürlich mit Verweis auf Scarlett Johanssons Brüste als Verkaufsargument), verhält es sich überraschenderweise gar nicht wesentlich anders. Auf Facebook gab Senator bekannt, den Film kurz vor seiner Heimkinoveröffentlichung im September nicht nur über Festivalleinwände laufen lassen zu wollen (gemeint ist mit hoher Wahrscheinlichkeit das in sieben deutschen Städten bestrittene Fantasy Filmfest). Sondern interessierten Zuschauern auch die Möglichkeit zu geben, ihn in örtliche Kinos wählen zu können. Eine weitgehend akzeptable Lösung, die ich mir für manch anderen, schwer vermarktbaren oder zumindest nicht sonderlich gewinnversprechenden Film wünschen würde, der außerdem keine derartige Aufmerksamkeit (und internationale Presse) generieren oder gar einen Marvel-Star für die Hauptrolle verpflichten konnte. Zumal ich vorsichtig anmerken möchte, dass viele, viele Filme der Gegenwart hierzulande noch nicht einmal auf DVD und Blu-ray erscheinen, von der mangelhaften Repräsentation asiatischen Kinos gar nicht erst zu sprechen.

Grundsätzlich begrüße ich natürlich jeden Einsatz für ein besseres Kino. Die Frage, ob Filme ganz zwingend auf die große Leinwand gehören und nur dort in Vollkommenheit wirken würden, könnte ich jedoch mitnichten klar beantworten. Es gibt das Kino. Und es gibt Dinge, die einem den Kinobesuch gehörig verleiden können. Es gibt ein Filmerlebnis, das nicht minderwertig oder weniger adäquat ist, wenn es daheim stattfindet. Und es gibt ein Kinoerlebnis, das mit nichts vergleichbar und auch nicht ohne weiteres reproduzierbar ist. In einer Zeit allerdings, in der immer weniger aktuelle Filme überhaupt noch auf Film gedreht werden, verringern sich die Unterschiede zwischen Kino- und Heimkinoprojektion aus materialästhetischer Sicht für mein Empfinden gravierend (oder spielen zumindest keine entscheidende Rolle mehr). Für ein auf die Leinwand geworfenes, keinerlei Gefühl von Zelluloid vermittelndes DCP eines 35mm-Films brauche ich sowieso nicht ins Kino zu gehen. Und digitales Ausgangsmaterial wird auch von einer Blu-ray daheim angemessen wiedergegeben. Das ist nicht als Argument gegen Kino zu verstehen, sondern als persönlicher Einwand, warum cinephile Romantik (Dafür werden Filme gemacht.) eben auch ganz einfach mal in cinephile Ernüchterung umschlagen kann.

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