Mein Lieblings-Serienort – Twin Peaks

01.08.2012 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Der Twin Peaks-Zaunkönig
Paramount
Der Twin Peaks-Zaunkönig
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Zwar würde ich auch gerne mit der Enterprise den Weltraum erkunden, im Westflügel des Weißen Hauses Politik machen oder in Downton Abbey zur Teezeit vorbeikommen, kein Schauplatz hat es mir jedoch so angetan wie das beschaulich-schauerliche Twin Peaks.

Noch bevor die erste Szene beginnt, stimmt der Vorspann den Zuschauer darauf ein, wie die Dinge in Twin Peaks zu laufen scheinen: Nur keine Eile, wir lassen uns Zeit. Die getragene, wehmütige Titelmelodie untermalt Bilder von Natur und Industrie: ein Zaunkönig, das örtliche Sägewerk, das Ortsschild des inmitten hoher Berge liegenden Twin Peaks, sowie der Wasserfall unterhalb des Great Northern Hotels, der sich schließlich sogar in Zeitlupe hinabstürzt. Der Kontrast zur ersten Szene des Pilotfilms könnte kaum größer sein, wird hier doch die in Plastik eingewickelte Leiche Laura Palmers (Sheryl Lee) entdeckt, ehemalige Schönheitskönigin von Twin Peaks. Zusammen mit FBI-Agent Dale Cooper (Kyle MacLachlan), der mit dem Fall betraut wird, lernen wir nun Twin Peaks und seine Bewohner nach und nach kennen und entdecken zwei Staffeln lang die Abgründe, die hinter der scheinbar heilen Fassade der beschaulichen Kleinstadt lauern.

Dass es mir bei all den Ungeheuerlichkeiten, die in Twin Peaks passieren, stets Spaß macht, zuzuschauen, und einem die Stadt richtiggehend ans Herz wächst, liegt nicht zuletzt an der Mischung aus guten, bösen, undurchsichtigen und einfach nur seltsamen Charakteren: Wie in einem klassischen Whodunit sind wenige die, die sie zu sein scheinen. Doch für jeden Mörder, Schläger und Drogenhändler gibt es einen Charakter wie Agent Cooper, Sheriff Truman (Michael Ontkean) oder Norma Jennings (Peggy Lipton), Menschen mit dem Herz am rechten Fleck; sie sorgen dafür, dass all die finsteren Machenschaften der anderen erträglich bleiben, da ihnen auch Cooper und Co. oft fassungslos gegenüberstehen. Dies fällt umso mehr beim Betrachten des Prequel-Films Twin Peaks: Der Film auf, der sich fast ganz auf die schaurigen Charaktere konzentriert und so wesentlich unangenehmer als die Serie daherkommt.

Dass mich Twin Peaks derart für sich eingenommen hat, hat neben den Charakteren vor allem zwei Gründe: Zum einen hat die Serie eine durchgehende Handlung (wenn auch mit einigen Umorientierungen in Staffel zwei); heute in mal mehr, mal weniger ausgeprägter Form gang und gäbe, aber in der Fernsehlandschaft Anfang der 90er-Jahre ein Novum und bis dahin hauptsächlich aus Seifenopern bekannt. So wird der Zuschauer fast automatisch in die Handlung hineingezogen, und die Charaktere zeigen von Folge zu Folge neue Facetten. Zum anderen nimmt die Handlung mit ihren teils unglaublichen Wendungen auch inhaltlich Anleihen an den Geschehnissen typischer Seifenopern, ohne jedoch selbst zu einer zu werden. Den beiden Hauptsträngen Kriminaldrama und Seifenoper werden dabei noch jede Menge mystische, übernatürliche und surreale Elemente hinzugefügt, die zur damaligen Zeit im Mainstream-Fernsehen ebenso ungesehen waren wie eine durchgehende Handlung. Twin Peaks nahm somit auch den Mystery-Boom vorweg, der einige Jahre später mit Akte X – Die unheimlichen Fälle des FBI vollends ausbrechen sollte. Teils wird auch durch die Besetzung überdeutlich darauf hingewiesen, dass es sich um eine konstruierte Fernsehserie handelt: So taucht Laura Palmers identisch aussehende Cousine auf (die Ähnlichkeit ist kein Wunder, handelt es sich doch um die selbe Schauspielerin) und Serienschöpfer David Lynch persönlich stattet Twin Peaks einen Besuch als Agent Coopers Vorgesetzter ab.

Je nach Laune lässt sich Twin Peaks nun entweder ernst nehmen, als Parodie auffassen, oder auch als beides gleichzeitig. Die absurdesten Handlungselemente, wie psychisch kommunizierende Holzscheite, Vögel als Zeugen eines Verbrechens oder im Traum erhaltene Hinweise werden behandelt, als wären sie das Natürlichste auf der Welt. Teilwiese wechseln sich Ernsthaftigkeit und ironischer Kommentar innerhalb einer einzigen Szene mehrmals ab, ohne dass eines von beiden die Oberhand gewinnt. Somit lassen sich bei jedem Wieder-Sehen der Serie neue Blickwinkel entdecken, es fallen mir Sichtweisen auf, an die ich vorher nie gedacht habe.

Zu guter Letzt dürfen auch Kamera und Musik nicht unerwähnt bleiben, die im Fernsehen der frühen 90er-Jahre häufig noch im Dornröschenschlaf verharrten. Die Musik von Angelo Badalamenti besteht aus einer Reihe von mal mehr, mal weniger variierten Themen, die es allesamt perfekt verstehen, Stimmungen von Hoffnung bis Unbehagen zu erzeugen. Kommt mal ein neues Thema dazu, fällt umso stärker auf, dass die Geschichte um ein entscheidendes Element, einen neuen Charakter bereichert wurde. Die Kameraarbeit braucht in ihren besten Momenten Vergleiche mit Lynchs Kinowerken nicht zu scheuen; stets stilsicher, meist unaufdringlich, dafür in den richtigen Momenten beeindruckend.

All dies führt dazu, dass ich mir jederzeit ein Zimmer im Great Northern Hotel nehmen, auf einen Kirschkuchen im Double R Diner vorbeischauen und Sheriff Truman bei der Verbrechensbekämpfung helfen würde.

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