Pom Poko von Studio Ghibli erstmals auf Blu-ray

20.02.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Pom PokoUniversum Film
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Mit gut bestückten (!) Marderhunden erzählt Pom Poko die Geschichte eines schmerzvollen Zeitenwandels in der Natur. Hierzulande noch immer vergleichsweise unbekannt, erscheint der von Studio Ghibli produzierte Anime jetzt erstmals auf Blu-ray.

Gigantische Hodensäcke, davon gibt es reichlich in Pom Poko. Fantasievoll trägt der nach einer Idee von Hayao Miyazaki entstandene Anime jener illustren Darstellung des Marderhundes (Tanuki) Rechnung, die ihn in der japanischen Folklore als Yokai etablierte – ein mystisches Wesen mit gestaltwandlerischen Fähigkeiten, bei denen auch die tatsächlich überdurchschnittlich großen Skrota männlicher Exemplare noch ihren unwahrscheinlichsten Ausdruck finden. Hodensäcke lassen sich in Pom Poko zu Teppichen ausrollen, können in Trampoline verwandelt oder als Hüpfbälle nutzbar gemacht werden. Sie nehmen die Form eines Frosches an, im nächsten Moment mutieren sie zu Gleitschirmen. Und als ganz besonders nützlich erweisen sich die "Familienjuwelen", wie es zumindest in der Originalfassung des Films einmal heißt, im verzweifelten Kampf gegen den Menschen: Da können sie zu Waffen bei Kamikaze-Angriffen werden, skrupellosen LKW-Fahrern die Sicht versperren und Lastwagen in Schluchten stürzen lassen. Am Ende sogar bleibt den Marderhunden nichts anderes übrig, als den natürlichen Feind Kraft ihrer Hoden zu zerquetschen. Was für ein wunderbar lehrreiches Vergnügen.

Himmelsballett mit Hodensäcken: Die Marderhunde beim Kamikaze-Angriff.

Affirmativ verhandelt Pom Poko diese zunächst sonderbar kindgerechte virile Fantasie jedoch mitnichten. Zum einen werden die Marderhunde von der Matriarchin Oroku gleich zu Beginn – als die Frage, wie man gegen den Wälder rodenden Wahnsinn des Menschen vorgehen soll, zwei gegnerische Parteien unter den Tieren bildet – streng belehrt. Zum anderen wissen die Weibchen ihre gestaltwandlerischen Kräfte während der gemeinsamen Ausbildung ungleich geschickter einzusetzen (weshalb sie auch – ein schönes Detail – nicht länger die Jungen erziehen müssen). Nach den ersten brutalen Versuchen männlicher Marderhunde, sich des Baus von Vorortsiedlungen in deren Lebensraum zu erwehren, zieht Oroku folglich keine zufrieden stellende Bilanz: Alle Menschen zu töten, wie es Gonta, das eigensinnigste und natürlich besonders gut bestückte Mitglied der Gemeinschaft, fordert, könne nicht die Lösung des Problems sein. Immerhin sei er, der rücksichtslos Müll produzierenden Homo sapiens, schon allein für die Zubereitung und eben vorteilhafte Entsorgung von Lebensmitteln unverzichtbar. Kaum etwas verspeisen die feierwütigen und dauerhungrigen Marderhunde in Pom Poko nämlich so gern wie Hamburger!

Die Herausforderung besteht also darin, sich dem menschlichen Problem auch ganz menschlich anzunähern. Wochenlang schauen die Marderhunde fern, um ihre Bedrohung auf zwei Beinen studieren, verstehen und mithilfe der tradierten Verwandlungskunst kopieren zu können. Es ist eine selbstreflexive Idee von Pom Poko, dass er die tierischen Protagonisten zu äußerlich menschlichen Wesen werden lässt und den anthropomorphen Erzähl- und Zeichenstil des Animationsfilms somit konsequent weiterdenkt. Ihre Fassade gebrauchen die Tanuki dabei für viele garstige Streiche, um etwa Bauarbeiter in die Flucht zu schlagen, was aber leider genauso erfolglos verläuft wie eine als Abschreckung gedachte (grandios inszenierte) Geisterparade, auf die die Menschen eher fasziniert denn schockiert reagieren. Analog zur unaufhaltsamen Transformation ihres Lebensraumes sehen sich die Marderhunde schließlich gezwungen, körperlich selbst dauerhaft verändert zu existieren. Ihre Fähigkeit, sich in den Menschen einfühlen und notfalls wie er leben zu können, setzt Pom Poko deutlich in Beziehung zu wiederum dessen Unfähigkeit, etwas Vergleichbares für die Natur zu tun.

Singen, tanzen, leben: Vom Maderhund kann der Mensch noch lernen.

Regisseur und Drehbuchautor Isao Takahata, der mit Die Legende der Prinzessin Kaguya zuletzt sein großes Meisterwerk drehte, geht es trotzdem um mehr als eine dick gepinselte Okö-Botschaft. Zwar ist die finale (und ziemlich erschütternde) Erkenntnis der Marderhunde, unter Umständen nur noch artungerecht leben zu können, eine Kernaussage des Films. Doch vermitteln die wie so oft bei Studio Ghibli einem tiefen Verständnis von Natur und Leben entsprungenen Bilder nicht nur universelle Themen, sondern erzählen buchstäblich fabelhaft über Gesellschaft und Geschichte, class und gender oder schlicht die schiere, wenn auch vergängliche Freude am Sein: Ausgiebig wird in Pom Poko gesungen und getanzt, wird herumgetollt, Unsinn getrieben und jede frohe Kunde als Einladung zur Selbstbespaßung verstanden. Derart unbeschwert ließ sich ein gleichermaßen kritischer wie lebensbejahender Umgang mit dem Thema vielleicht wirklich nur bei Japans altehrwürdigem Animationsstudio zusammenbringen. Nicht zuletzt erinnert Pom Poko, so es denn in Zukunft tatsächlich keine weiteren Ghibli-Filme geben sollte, eindrücklich an den Verlust einer großen unwiederbringlichen Stimme des Kinos.

Pom Poko erscheint am 19. Februar 2016 in der Studio Ghibli Collection erstmals auf Blu-ray.

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