Schwüle Hitze im österreichischen Kino

29.03.2013 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Hundstage
Alive
Hundstage
7
10
Zum Ende der Temperaturmessung des österreichischen Kinos wird es bedrohlich heiß. Wir widmen uns den abgründigen Filmen von Ulrich Seidl, allen voran seiner fiebrigen Bestandsaufnahme des tristen Vorstadtlebens in seinem Meisterwerk Hundstage.

In der vergangenen Woche zeigte sich das österreichische Kino von seiner milden Seite, wenn auch nicht ohne einen Hauch von Tragik. Melancholische Komödien wie das bittersüße Roadmovie Indien sind mit schwarzhumorigen Kriminalgeschichten im Stil von Komm, süßer Tod mit Josef Hader oder Psychodramen wie Der Siebente Kontinent von Michael Haneke kaum vergleichbar und stellen die Vielschichtigkeit des Kinos unseres Nachbarlandes eindrucksvoll unter Beweis.

Zum Abschluss der Temperaturmessung des österreichischen Films verlassen wir nun die wohlig warmen Gefilde und richten unseren Blick auf das einzigartige, höchst eigenwillige und mitunter bizarr anmutende Werk des Regisseurs Ulrich Seidl. Mit seinem verstörenden Portrait menschlicher Abgründe, dem fiebrigen Episodendrama Hundstage, erreicht das Thermometer den Siedepunkt.

Hundstage aus dem Jahr 2001 ist der erste rein fiktive Spielfilm von Ulrich Seidl und wurde prompt mit dem Großen Preis der Jury beim Filmfestival in Venedig ausgezeichnet. In seiner wohl immer noch bekanntesten Arbeit setzt der Regisseur seine Schauspielerriege, die sowohl aus Profis als auch Amateuren besteht, der brütenden Spätsommerhitze des Wiener Stadtrands aus. Der Schweiß auf der Leinwand ist echt, die lose miteinander verwobenen Geschichten pendeln zwischen Tristesse und Explosivität.

Maria Hofstätter glänzt als verrückte Anhalterin ohne Ziel, die ihren Mitfahrern unangenehm nahe rückt, sie mit unverschämten Bemerkungen reizt und pausenlos Lieder aus dem Werbefernsehen trällert. Ein erfolgloser Vertreter für Alarmanlagen, der dringend einen Sündenbock für eine gescheiterte Observation sucht, wird der kindlich naiven Frau schließlich zum Verhängnis. Es kommt zu einem der zahlreihen Gewaltausbrüche, in denen sich der aus monotoner Langeweile generierte Frust biederer Doppelhaushälftenbewohner schlagartig entlädt. Währenddessen gelingt es in der selben Neubausiedlung einem sprachlosen Ehepaar nicht, ihre Trauer über den Unfalltod der Tochter gemeinsam zu verarbeiten.

Mehr: Eisige Vergletscherung des österreichischen Kinos
Mehr: Kühler Todeswind in Österreichs schwarzen Komödien
Mehr: Wärmende Melancholie im österreichischen Kino

Regisseur Ulrich Seidl mutet dem Zuschauer mit seiner schonungslosen Darstellung menschlicher Abgründe viel zu, besonders als ein sexuelles Abenteuer zum nächtlichen Horrortrip umschlägt. Die Szenen, in denen eine einsame Lehrerin auf der Suche nach Nähe von zwei jungen Männern im Alkoholrausch misshandelt und ihrer Würde beraubt wird, erinnern an die quälenden Bilder aus Michael Hanekes Gewaltprovokation Funny Games. Doch während dessen gezielter Angriff auf gängigen Gewaltkonsum im Kino mit dem moralisierenden Zeigefinger letztlich durch seine sterile Schablonenhaftigkeit an Schrecken verliert, gelingt es Ulrich Seidl, das Grauen mit Hilfe seiner wie entfesselt agierenden Schauspieler authentisch einzufangen.

Beinahe rührend wirkt in diesem Zusammenhang die Episode um einen Rentner, dessen Lebensinhalt vornehmlich darin besteht, Konserven im Supermarkt zu reklamieren. Wie alle Protagonisten dieses mehr assoziativ als linear erzählten Episodendramas versucht auch er, seiner Isolation zu entrinnen. Als ihm seine ebenfalls betagte Haushälterin den Wunsch erfüllt, sich ein Kleid seiner verstorbenen Frau anzuziehen und für ihn zu strippen, versprühen diese Bilder im Vergleich zum eben beschriebenen Szenario fast schon einen Hauch von Zärtlichkeit.

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News