Seinfeld und das Nichts

03.09.2012 - 08:00 Uhr
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Seinfelds Beschäftigung mit den Nichts schaffte es, den Autor dieses Beitrag zur Aktion Lieblingsserie zu überzeugen, seine Scheu allem Neuen gegenüber abzulegen und zu einer wahren Offenbarung zu gelangen.

SEINFELD – Eine Show über Nichts

Serien gibt es wie Sand am Meer. Vor allem die US-amerikanischen Sitcoms, die scheinbar am Fließband produziert werden. Die Sender halten es wohl: Irgendeine wird schon ankommen, der Rest wird aussortiert. Eine Sitcom, die Amerika im Sturm erobert hat, konnte auch mein Herz gewinnen. Und dabei geht es doch eigentlich um … gar nichts!

Seinfeld hieß diese Serie, die von 1989 bis 1998 produziert wurde, gestartet war der Pilot als “The Seinfeld Chronicles”. Leider floppte Seinfeld in Deutschland, doch wahrscheinlich brachte mich erst dieser Umstand über Umwege zu meiner absoluten Lieblingsserie, die ich bis heute verehre und die mein Leben beeinflusst hat. Sei es durch Redewendungen, Aktionen, Bewegungen oder schieren Nonsens. Dementsprechend ist es für mich auch schwer, meine Gefühle für die “Aktion Lieblingsserie” in Worte zu fassen. Ist Seinfeld eine Show über Nichts, so ist auch mein Beitrag ein Text über Nichts. Denn wenn es eigentlich um dieses `Nichts` geht, kann man schlecht über `etwas` schreiben. Dennoch versuche ich mich, bevor ich zu philosophisch werde.

Angefangen hat das Liebesverhältnis zum neurotischen New Yorker (es sind anscheinend wirklich viele New Yorker Neurotiker UND Juden – aber das macht möglicherweise den “jüdischen Humor” aus) um die Jahrtausendwende herum. Wann es genau war, kann ich nicht mehr terminieren, aber durch Zufall nahm ich nachts neben der eigentlich im Videorekorder einprogrammierten Sendung auch den mir bis dahin vollkommen unbekannten Jerry Seinfeld auf. Eines kam zum anderen: Es siegte bei mir wieder einmal die Faulheit und ich ließ die Kassette durchlaufen. Doch Seinfeld, von ProSieben auf das Nachtprogramm wegen schlechter Einschaltquoten verbannt, löste in mir sofort Glücksgefühle aus. Schnell wurde ich zum echten Fan, nachdem ich weitere Folgen gesehen hatte, und nach dem Kauf eines DVD-Players war ausgerechnet Seinfeld die erste Silberscheibe, die ich erwarb und den Player damit einweihen durfte. Um es zu verdeutlichen: Zu diesem Zeitpunkt – und auch bis heute – war ich sehr unaufgeschlossen allem Neuen gegenüber, daher war der Erfolg, den Seinfeld bei mir hatte, sehr überraschend. Schließlich hatte ich einen festen “Serienkreis” um starke Vertreter wie Die Simpsons, Eine schrecklich nette Familie oder South Park. Niemals hätte ich mir träumen lassen, dass auf einmal ein Emporkömmling auftaucht und dem Triumvirat die Premiumansprüche streitig macht. Schließlich handelte es sich, wie eingangs erwähnt, um eine “Show über absolut Nichts”. Und das sagte die Serie ironisch über sich selbst, als sie sich in der vierten Staffel mit einer Show in der Show persiflierte.

Spätestens jetzt hatte ich vollends eine Offenbarung, die mir vorher noch keine Fernsehserie geben konnte. Bislang – man muss bedenken: ich war “nur” ein pubertierender Jugendlicher – sah ich Serien als reine Unterhaltung an. Konsument, der ich nun einmal war. Aber nun eröffnete sich mir auch eine künstlerische Ebene. Die Kunst, aus dem alltäglichen Geschehen etwas Höheres zu machen. Das Normale auf die Spitze zu treiben und die Widernatürlichkeiten darin zu erkennen. Wer sich intensiv mit Seinfeld auseinandersetzt, der wird eben das feststellen und mir sicherlich zustimmen. Das wirklich bahnbrechende daran war zudem: Keine Serie hatte vorher diesen Rahmen gesprengt. Es waren meistens typische Handlungen, die in irgend einer Art und Weise schon vorher in anderen Serien verarbeitet wurden. Eben, weil es damals dieses typische “Sitcom-Konstrukt” gab. Dieses war deutlich zu erkennen an den Bundys, den Winslows, den Huxtables oder den gezeichneten Simpsons. Eine Familie, die in einem 08/15-Haus wohnt und stereotype Geschichten erlebt, meistens verbunden mit wiederkehrenden Gags. Seinfeld brach aus dieser Schiene aus. Vier Singles, die sich meistens in Jerrys kleinem Appartement oder im Coffee-Shop treffen und über ihre Alltagsprobleme reden – das gab es so noch nicht. Selbst prost-helmut, dessen schweres Erbe eben Seinfeld antreten musste, hatte trotz des Schauplatzes einer Bar die typischen Familien-Sitcom-Elemente.

Eben dieses Neue, dieses Unerwartete, diese Lächerlichkeit in den Selbstverständlichkeiten des Seins, schlugen bald in den Vereinigten Staaten ein. Und auch bei mir, der damals noch kein Internet hatte und sich nicht weitergehend über diese verrückte Serie und ihre sympathischen Looser-Charaktere erkundigen konnte. Ja, genau: Looser. Denn im Grunde sind die Protagonisten dieser Serie das und lassen unser Alltagsleid weniger schlimm erscheinen. Ähnlich, wie es Al Bundy schaffen konnte.

Da hatte man den peniblen Komiker und Namensgeber Jerry Seinfeld, der keine Beziehung längerfristig halten kann. Seine Ex-Freundin Elaine, eine aufbrausende “Frau für Männer”. Den mega-neurotischen George Costanza, der ein gefundenes Fressen für Freud wäre. Und natürlich den heimlichen Star, Cosmo Kramer, dessen Leben eigentlich ein “Fantasy-Camp” ist. Diese vier Charaktere – und eine Vielzahl an wichtigen Nebencharakteren – erleben, auch das bis dahin serien-untypisch, eine Entwicklung ihres Lebens. Zwar kann man sich jede Folge unabhängig von den anderen Episoden anschauen, dennoch folgen alle einem roten Faden. Wieder eine Revolution des Sitcom-Genres! Auch hieraus bezieht diese Serie einen starken Humor, der an Intensität gewinnt, wenn man wirklich die Reihenfolge der Episoden einhält.

Es gäbe noch so viel mehr zu schreiben, schließlich ist Seinfeld nicht nur stilprägend, sondern auch ganz persönlich meine Lieblingsserie. Und so wie sie das Bild der Sitcoms in der Fernseh-Welt veränderte, so veränderte sie auch mein Bild der Fernsehserien und überhaupt des ganzen Lebens. Denn erst jetzt wurde mir klar, in was für einer kranken Welt wir leben, obwohl wir so vieles als selbstverständlich betrachten.


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