The Deuce – Staffel 1, Folge 4: Blowjobs im Kino

03.10.2017 - 09:00 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
James Franco in The DeuceHBO
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So ganz scheint sich noch nicht herumgesprochen zu haben, dass die neue HBO-Serie The Deuce ziemlich toll ist. Das sollte sich ändern. Sie wirft einen spannenden Blick aufs blühende Pornogeschäft der 1970er Jahre. Mit starken Figuren.

In der vorletzten Folge The Deuce berichtete Candy (Maggie Gyllenhaal) ihrer Mutter stolz von einem Jobwechsel, der schon bald neue Verhältnisse schaffen könne. Das "movie business", wie sie den zwischen Illegalität und Amateurhaftigkeit aufkeimenden Handel mit schnell gedrehten Sexfilmchen hoffnungsvoll nennt, soll Candy Erlösung bringen. Soll weg von der Straße und hin zur Selbstverwirklichung führen. Verglichen mit den tristen, oft genug brutalen und – das bekommen wir diese Woche noch mal eindrücklich vorgeführt – schlicht erbärmlichen Bedingungen der Prostitution im New York des Jahres 1971 ist Pornographie als Rettungsanker vielleicht gar keine so abwegige Utopie. Der Staffelverlauf wird zeigen, ob Candys großes Interesse für Blue Movies und deren Entstehung ihr tatsächlich den Weg zu einer souveränen Sexarbeit ebnet, die nicht länger von schmierigen Zuhältern und unverschämten Kunden abhängig ist.

Entsprechend klar zeichnet sich nun ein Bild purer Resignation ab – die selbstständig tätige und damit seit jeher dem Spott der Pimps ausgesetzte Frau hat den ganzen Scheiß satt. "Going to the movies" bedeutet eben nicht ins Kino zu gehen (und schon gar nicht Kino zu machen), sondern Freiern in der letzten Filmtheatersitzreihe einen Blowjob zu geben, wenn auf den Straßen nichts los ist. Der Moment, in dem Candy während dieser Routine eine Ratte über den Körper läuft, versprüht mehr Zeitkolorit als jeder aufwändige Computernachbau des Times Square. Es gibt hier zwar viele Perücken und falsche Schnurrbärte, architektonisches CG-Enhancement und manch vordergründigen Verweis auf Zeitgenössisches zu sehen (mit hochgezogenen Kontrasten und ordentlich Grain macht The Deuce auch ästhetisch einiges her). Ausgestellt oder zudringlich aber wirkt die historische Rekonstruktion der Ära nie. Für angemessenes Schmuddelflair sorgen kleine Details. Und kleine Tierchen.

Maggie Gyllenhaal jedenfalls schleppt ihre Figur von einer freudlosen Szene zur nächsten, Unlust und Erschöpfung könnten Candy kaum deutlicher ins Gesicht geschrieben stehen. Sie spielt das hervorragend, nämlich auf sublime Weise kraftlos, und verglichen mit James Franco, dem anderen Star der Serie, ist es eine angenehm zurückhaltende Performance. Candys Tiefpunkt scheint erreicht, als ein Kunde vor ihren Augen stirbt (während eines weiteren Blowjobs, um genau zu sein), und die Zuhälter vom Frühstücksdiner ihr den Spitznamen "Todesmund" verleihen. Derartige Bezeichnungen hören wir in The Deuce immer wieder, Candy "Todesmund" oder Ruby "Donnerschenkel". Sie sind noch der harmloseste Ausdruck jener Misogynie, die bei verbalen Erniedrigungen beginnt und körperlichen Verstümmelungen wahrscheinlich nicht aufhört. Candy entgegnet den Männern ein verratztes "Fuck all of you". Beeindruckt zeigen sich die Kerle davon nicht.

Solchen Momenten stellt die Folge intime Augenblicke von Zweisamkeit gegenüber. Ruby (Pernell Walker) unterhält sich mit Candy über eine Prostituierte, die im Jahr zuvor starb. Wir erfahren nichts über die Umstände ihres Todes oder die Frau selbst, aber alles über die Anonymität eines Jobs, in dem kollegialer Zusammenhalt und Freundschaft noch lange nicht bedeuten müssen, sich wirklich zu kennen. Gelungen ist auch die Annäherung zwischen der Undercover-Reporterin Sandra (Natalie Paul) und dem Streifenpolizisten Alston (Lawrence Gilliard Jr.), bei der offenbar rein pragmatische auf zaghaft romantische Interessen stoßen. Abby (Margarita Levieva), die mittlerweile als Barfrau arbeitende Ex-Studentin, trifft unterdessen auf Darlene (Dominique Fishback) und erweist ihr einen schönen Gefallen. Warum sie tue, was sie tut, möchte Abby von Darlene wissen. Die Frage beschäftigt Sandra ebenfalls. Eine simple Antwort gibt es nicht.

In The Wire und Treme rekurrierte David Simon manchmal auf Figuren, die wir beinahe vergessen hatten, weil sie zwischenzeitlich keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielten. Die Serien wirkten dadurch sehr lebensnah, ihre Handlungsstränge verliefen neben- und gegeneinander, ohne jemals abgeschlossen sein zu müssen. Bei The Deuce geht Simon ähnlich vor. So taucht etwa Andrea (Zoe Kazan) recht unvermittelt wieder auf, nachdem Vincent (James Franco) sie verließ und dauerhaft in ein Stundenhotel zog. Der bislang unscheinbare Barkeeper Paul (Chris Coy) bekommt sogar einen eigenen Subplot, der seine Beziehungsschwierigkeiten verhandelt. In die größere Erzählung wird damit eine schwule Figur einbezogen, die das Kernthema der Serie – die sexuelle Liberation – mit den zwei Jahre zuvor stattgefundenen Stonewall-Unruhen verknüpft. Der Aufbruch kennt viele Gesichter. Zurück bleiben nur die Pimps.

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Parallel zur wöchentlichen Ausstrahlung auf HBO ist die Serie in der Nacht von Sonntag zu Montag wahlweise Deutsch synchronisiert oder im Original über Sky Ticket, Sky Go und Sky On Demand zu sehen. Einen Tag später läuft die erste Staffel auf Sky Atlantic HD. Jeden Dienstag ist sie dann außerdem als digitaler Download bei Amazon, Deutsche Telekom, Google Play, iTunes, Maxdome, Sony Playstation und Xbox erhältlich.

Alle Recaps zur ersten Staffel von The Deuce:


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