Ist Kevin Costner eine größenwahnsinnige Diva? Diesen Eindruck könnte man als Western-Fan von dem Star gewinnen, der seine Hit-Serie Yellowstone im Streit verließ, um eine ultra-epische Filmreihe namens Horizon zu drehen. Deren erster Teil Horizon läuft jetzt im Kino. Haben Costners Kritiker:innen Recht?
Horizon hat Schwächen. Der Western platzt vor Figuren und Perspektiven aus allen Nähten. Costner mutet es dem Publikum zu, drei Stunden lang um Schicksale zu bangen, deren Höhepunkte sich erst nach 60 Minuten, im Sequel oder gar 2025 entfalten, wenn vielleicht Horizon 3 erscheint. Das ist weder zeitgemäß noch ökonomisch. Aber er schafft ein Erlebnis, dass es so im Kino nicht mehr gibt. Und schon die erste halbe Stunde beweist es.
Darum geht es in Kevin Costners Horizon
Horizon ist der Name einer winzigen Siedlung, die 1859 im späteren US-Bundesstaat Arizona gegründet wird. Was mit einem Trüppchen Landvermesser beginnt, wächst sich bald zu einer Kleinstadt aus. Doch während immer mehr Planwagen dem Versprechen von Horizon quer durch die Prärie folgen, entbrennt zwischen Siedler:innen und indigenen Völkern ein brutaler Kampf ums Überleben.
Schaut euch hier den Trailer zu Horizon an:
In den ersten 30 Minuten von Horizon beweist Kevin Costner zwei Dinge: Erstens, wie gut er den epischen Rahmen seines Films zu nutzen weiß. Und zweitens, wie einzigartig das Ergebnis ist, das er damit kreiert. Es bringt eine Größe zurück ins Kino, die ich lange vermisst habe.
Kevin Costner schafft mit dem Horizon-Beginn, was ich 20 Jahre lang vermisst habe
Der Film beginnt mit einem Pfahl, der zum Landvermessen in einen Ameisenhügel gebohrt wird. Der Schauplatz wirkt idyllisch: Das Örtchen Horizon beginnt neben einem glucksenden Flüsschen. Ein kleiner Junge tollt im Sonnenschein zwischen den Vermessern herum und verheißt eine rosige, unschuldige Zukunft. Doch auf den Höhen über der Ebene versammeln sich bereits Apachen, die argwöhnisch auf die weißen Eindringlinge herabschauen.
Nach einem harten Filmschnitt fegt strömender Regen über das Siedlungsgebiet herab, von dem nicht mehr als ein modriger Pfahl geblieben ist. Ein Missionar findet die massakrierten Vermesser mitsamt ihrem Jungen und begräbt sie. Aufgeben will er das Land nicht.
So werden wir nach einem weiteren Schnitt Zeugen der Kleinstadt Horizon: Eine kleine Siedlungsgemeinschaft hat sich eingerichtet. Farmer und ihre Familien ernten mit neuen Bewässerungsmethoden. Abends wird in einem großen Zelt zum Tanz aufgespielt.
Schon bis zu diesem Punkt allein hat Costner die Möglichkeiten seines Western-Epos meisterhaft ausgeschöpft. Die Landvermesser, die schlicht verschwinden, von der Zeit fortgewischt werden, sind ein Beispiel: Nur mit einer gigantischen Perspektive kann man ihre grausamen Einzelschicksale so in den Dienst einer historischen Massenbewegung stellen.
Costner kann es sich erlauben, sein Figureninventar zu verprassen, denn ihm geht es um einen Ort, um eine Zeit. Er hat sich von den strengen ökonomischen Vorgaben des gegenwärtigen Blockbuster-Kinos befreit. Dieses epische Verstreichen der Zeit kenne ich sonst nur aus anderen größenwahnsinnigen Filmen wie Es war einmal in Amerika oder Costners eigenen Der mit dem Wolf tanzt und Open Range. Aus Filmen, deren Ära gefühlt seit 20 Jahren vorbei ist.
Eine 10 Minuten-Szene aus Horizon lässt jede Yellowstone-Folge vergessen
Aber was der Regisseur dann darauf folgen lässt, ist der reinste Western-Thriller: Während fröhliche Fiedelmusik die Tanzenden zum Lachen bringt, meucheln Apachen die Wachen an den Ausläufern der Siedlung. Es bricht ein Massaker los, das einen sprachlos macht.
Wir erleben seinen Beginn aus der Perspektive der Kittredge-Familie, die eine Blockhütte an den Hängen über Horizon bewohnt. Schritte wecken die Teenager Nathaniel (Hayes Costner) und Elizabeth (Georgia MacPhail), die die angreifenden Apachen vor ihrer Tür bemerken. Kaum haben sie ihre Eltern James (Tim Guinee) und Frances (Sienna Miller) alarmiert, bersten Kugeln und Pfeile durch die Scheiben, während wütende Schläge gegen die Pforte hämmern und Staub von der Decke rieselt. Das Dach steht in Flammen.
Zur selben Zeit verwandelt der Haupttrupp der Apachen Horizon in ein Blutbad. Frauen werden mit Pfeilen erschossen und mit Keulen erschlagen, Opfer brutal skalpiert. Zelte und Hütten brennen. Ein sterbender Musiker verteidigt mit letzter Kraft seine Violine. Eine ganze Familie sprengt sich lieber mit Schwarzpulver in die Luft, als den Angreifern in die Hände zu fallen.
In diesen Minuten ist das Gewicht des Films mit voller Wucht auf mich eingeschlagen. Nicht nur, weil Costner ergreifende Schicksale zeigt. Er wechselt mit viel Fingerspitzengefühl zwischen Panorama und Mikroskop: Zeitweise ist sein Blick auf das Blutbad nüchtern, fast dokumentarisch, als prallten hier zwei Naturgewalten aufeinander.
Und dann tastet er sich nah an die verzweifelten Siedler:innen heran, die unter Tränen dem Tod entgegenblicken. Ganz genau beobachtet er einen Apache-Krieger, der im Massaker innehält und sein Opfer verwundert studiert: Voller Hass, aber auch verwirrt und neugierig. Dann schlagen die Wogen der Gewalt wieder über Angreifern und Verteidigern zusammen. Als die Sequenz endet, sind etwa 30 Minuten des Films vergangen und das Publikum muss seine Sprache wiederfinden.
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Costner hat mir in diesen 30 Minuten bewiesen, dass sein Western-Herzensprojekt jede Yellowstone-Folge dieser Welt wert ist. Nur mit seinem individualistischen Größenwahn kann man ein Projekt aufziehen, dass die Zeit so ausbreitet und dann plötzlich zusammenzieht wie eine Kordel um den Hals des Publikums. Nur dank finanzieller Unabhängigkeit und epischer Perspektive kann Horizon so erzählt werden, wie es jetzt im Kino zu sehen ist.
Das Resultat ist einzigartig. Und nicht nur mit Blick auf die letzten 20 Kino-Jahre, in denen Filmplots immer ausgefeilteren Franchise-Ökonomien untergeordnet wurden. Auch mit Blick in eine Zukunft, die womöglich ohne die Ego-Trips großer Hollywood-Stars auskommen kann und muss. Costners Vorliebe für Western ist fast schon schmerzhaft einleuchtend. Er ist einer der letzten seiner Art. Ob einem Horizon gefällt, hängt maßgeblich davon ab, ob man das als Verlust oder Gewinn begreift.