Noch vor zwei Jahren existierten schätzungsweise gerade einmal drei oder vier Serien, die ich komplett gesehen hatte. Mir fehlte schlicht die Motivation, um mit dem neuen Trend ansatzweise Schritt zu halten. Zwar konnte ich mich zwischendurch aufraffen, Breaking Bad eine Chance zu geben (manchmal will man einfach mitreden...) und ich fand sogar Gefallen dran, aber auch Walter White und knuffige verkohlte rosa Teddybären änderten nichts an meiner grundsätzlichen Serien-Lethargie. Andauernd musste ich mir ausrechnen, wie oft ich um den Block joggen, meine Wohnung putzen oder wie viele Spielfilme ich theoretisch innerhalb jener Zeitspanne sehen kann, die fünf Staffeln oder mehr unweigerlich verschlingt - und diese Kalkulation fiel immer zugunsten des Kinos aus. Was genau für die Kehrtwende sorgte, weiß ich gar nicht mehr. Vermutlich - nein, sehr wahrscheinlich - entfachten The Leftovers das Feuer... und seitdem sind meine Präferenzen deutlich gekippt. Mittlerweile habe ich unter anhaltender Euphorie von Die Sopranos bis The Wire einen Großteil der wichtigsten Fernseh-Klassiker aufgeholt, während mich ins Lichtspielhaus fast nur noch meine erklärten Regie-Helden locken.
Aber dieser Umschwung kam letztlich wohl nicht so plötzlich, wie es vielleicht klingt. Ich liebe Filme, nach wie vor, und daher bereitet die Feststellung auch mir selbst quälende Magenschmerzen, aber: Die Qualität sinkt hier in beinahe allen Gattungen und Genres. Wenn ich diesen Sommer zum Beispiel vor der Frage stehe, ob ich lieber den (gefühlt) hundertsten MARVEL-Film nach Rezeptur X, ein pomadiges "Alien"-Sequel oder einen fast noch unnötigeren, sorgfältig glatt polierten "Blade Runner"-Aufguss sehen möchte, lautet meine Antwort: Nein danke, am Besten gar nichts davon. Entscheide ich mich nach Feierabend oder am Wochenende für einen Film, fällt die Wahl tendenziell auf Älteres. Erst vor Kurzem auf, dass ich aus den 80'ern noch erschreckend wenig kenne - aber warum dann halbherzig auf der Retro-Welle mitpaddeln, wenn das Original in 99% aller Fälle so viel mitreißender ist?
https://www.youtube.com/watch?v=0TzeMLBADxQSicher: Mit der Feststellung, dass das Blockbuster-Kino sowohl ästhetisch als auch erzählerisch stagniert, trage ich Eulen nach Athen und ich möchte auch gar nicht lange darauf herumreiten, zumal der Autorenfilm es aktuell nicht soooo viel besser macht. Natürlich freue ich mich immer auf Projekte von Lars von Trier und Andrew Dominik, aber diese Leute liefern ja nicht jeden Monat einen Film ab und wenn man zuletzt selbst in Cannes, der Hochburg der Kunst, geschniegelt-politische Didaktik oft höher wertete als jene kreative Kraft, die Konventionen bricht anstatt uns mit monotoner Stimme Dinge zu lehren, die wir ohnehin wissen, ist das zweifellos kein gutes Zeichen (die diesjährige Auszeichnung von Ruben Östlunds spannend klingender Versuchsanordnung The Square könnte allerdings ein Aufwärtstrend sein).
2017 wurde mit Twin Peaks: The Return - ausgerechnet - ein Serien-Ungetüm auf die Croisette losgelassen, das in Sachen Elan und unbändiger Verrücktheit sämtlichen Wettbewerbsbeiträgen ironischerweise um Längen überlegen sein dürfte. Was leinwandtauglich ist, sollte auch auf einer großen Leinwand gezeigt werden dürfen, so leicht ist das für mich - und wenn "Twin Peaks" nicht dazu zählt, was dann? Kein Wunder, dass David Lynch standing ovations erntete. "The art houses are gone now, so cable television is a godsend" - so sein radikales persönliches Urteil, welches ich dick mit Filzstift unterschreiben möchte, oder eher muss.
Künstlerische Freiheit lautet das Stichwort. Umso mehr in einer auseinanderbrechenden Gegenwart, die so dringend Aufarbeitung bedarf wie die unsere. Hier denke ich an The Handmaid's Tale über das Frau- und Menschsein in naher Zukunft (oder Jetztzeit?) und - natürlich - Damon Lindelof, der mit glühender Zärtlichkeit das Ende der Welt beschwört, ohne auch nur mit einem Wort Donald Trump oder Vladimir Putin ins Spiel zu bringen. (Ich habe zwar keine Ahnung, wie es euch geht, aber wenn jemand mir vermittelt, dass andere genauso viel Angst haben wie ich, habe ich selbst ein kleines Bisschen weniger Angst.) Ich denke an Game of Thrones, das als Blockbuster unter den Serien erstaunlich viel Gehaltvolles über Machstreben und Skrupellosigkeit zu berichten weiß; an Rectify, das gesellschaftliche Stigmata bedrückend greifbar macht, oder an American Gods, wo alte und neue Götter Kriege gegeneinander ausfechten, was immerhin als Konzept auf dem Papier mächtig Eindruck schindet. Wenn die besten Autoren und Regisseure dort hingehen, wo sie sich austoben dürfen... gehe ich eben mit. Es scheint mir nur logisch.
Ja, Serien sind Zeitfresser, aber ehrlich gesagt verstehe das das Argument nun kaum noch - denn um etwas sehr Wertvolles zu bekommen, ist es (ticke ich zu altmodisch?) doch nur fair, vorher zu investieren. Und ja, man kann ein hohes Niveau über viele Stunden hinweg halten, ohne sich permanent im Kreis zu drehen oder sich durch andauernde fiese Cliffhanger die eigene Schwäche einzugestehen. Wer Serien pauschal - was gerade im Hinblick auf ihre üppige Dauer ja auch irgendwie ein Widerspruch ist - als "Fast Food" aburteilt, verkennt jedenfalls die aufregenden Möglichkeiten, die sich auf dem Gebiet der Charakterentwicklung auftun, denn es ist etwas ganz anderes, statt lediglich 90 Minuten mehrere Stunden lang mit einer hingebungsvoll geschriebenen Figur mitzufiebern - sofern man die Gelduld aufbringt, sie kennen zu lernen (ein bisschen ist das so wie im echten Leben). Binge-Watching betreibe ich, nebenbei erwähnt, eher selten. Eine Serie wie The Americans injiziere ich mir höchstens dreimal in der Woche, bevorzugt intravenös. Früher dachte ich, ich hätte nicht die Zeit dafür, aber weil große Geschichten manchmal eben viel Raum brauchen, nehme ich sie mir jetzt einfach - in der Hoffnung, dass mich demnächst auch mal wieder ein neuer Spielfilm so richtig begeistert.