Wir schauen Fear the Walking Dead - Staffel 1, Folge 6

06.10.2015 - 08:10 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Travis (Cliff Curtis) ist am Ende.
AMC
Travis (Cliff Curtis) ist am Ende.
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Fear The Walking Dead beendet die erste Staffel stark. In einem zufriedenstellenden Staffelfinale kann die Serie noch einmal alle positiven Aspekte der ersten Folgen hervorheben.

Es herrscht das blanke Chaos. Die Figuren befinden sich auf der Flucht. Zombies links und rechts, doch der selbstsichere Strand (Colman Domingo) beruhigt Nick (und uns): “It’s alright, they’re slow.“ Natürlich. Und trotzdem haben diese schlurfenden Toten binnen gerade mal ein paar dutzend Tagen den totalen Zusammenbruch der Zivilisation herbeigeführt. Wieso eigentlich?

In der Finalfolge der ersten Staffel von Fear the Walking Dead gelingt es den Showrunnern und Autoren Robert Kirkman und Dave Erickson diese Frage eindringlich und schonungslos zu beantworten. Schon mit den ersten Bildern erinnern uns die Kreativen an die wahren Ausmaße der schleichende Apokalypse. Doch vergeblich suchen wir hier nach Zombiemassen. Stattdessen werden wir mit Tatenlosigkeit konfrontiert. Niemand löscht mehr die Feuer. Der Glauben an die Rettung der Zivilisation ist verloren. Und so muss die alte Welt brennen.

Wahrscheinlich wird sich keine Serie im Walking Dead-Kosmos jemals den absoluten Zombiemassen hingeben. Es dürfte nicht nur an den Budgetgründen liegen, sondern auch einfach an der Tatsache, dass sie nicht so interessant sind, wie die menschliche Reaktion auf dieses außerordentliche Szenario der Zombieapokalypse.

Nun gibt es Zombiefilme wie Sand am Meer. In den letzten 50 Jahren hat sich der Zombiefilm jedoch stetig weiterentwickelt. Einfache, abgeschlossene Einträge ins Genre müssen sich nicht nur an der Produktionsqualität eines Teams um Großmeister Greg Nicotero messen lassen, sondern bereits in der Prämisse einen Grund oder einen Twist liefern, damit neunzig bis hundertzwanzig Minuten mit ein paar Figuren noch überhaupt interessant klingen. In gewisser Weise hat Comic-Autor Robert Kirkman mit dem Start des The Walking Dead-Comics im Jahr 2003 geholfen, das Genre wieder aufleben zu lassen - und es gleichzeitig so revolutioniert, dass eine einmalige Betrachtung einer Ausgangslage fast schon unsinnig erscheint.

Wahrscheinlich war ihm das sogar bewusst. In seinem aussagekräftigen Statement am Ende des ersten Sammelbandes des Comics lamentierte er, dass ein Film alleine die tatsächlichen Dimensionen der Prämisse einer Zombieapokalypse nie adäquat abbilden kann. Es fehlt schlicht die Zeit. Daher ist es besonders die Serialität der Veröffentlichung aller Medien im The Walking Dead-Universum, die so effektiv und nachhaltig wirkt. Der Zuschauer, Leser und Spieler wächst zusammen mit den Figuren auf eine natürliche Art und Weise in diese komplizierte und vielschichtige Nachwelt hinein. Sie ist nicht auf ein Einkaufszentrum, eine Forschungseinrichtung oder ein Herrenhaus auf dem Lande Englands begrenzt. Sie ist - theoretisch - zeitlich endlos und räumlich unbegrenzt. Kirkman erkundet dieses Szenario in seiner Vorlage seit nun mehr als 12 Jahren und konnte nun mit Fear the Walking Dead endlich die Chance nutzen, die allerersten Begegnungen mit den Walkern selbst zu verfassen.

"Chaos is not simply disorder. Chaos explores the transitions between order and disorder. Which often occur in surprising ways." - Ein Prinzip der Chaostheorie

Und so ist eben nicht nur das Endstadium betrachtenswert, so fesselnd und verheißungsvoll es in all seinen Facetten auch sein mag (wie die Originalserie oft beweist). Auch das initiale Chaos ist einen Blick wert, insbesondere weil der Zuschauer weiß, worauf all dies hinausläuft. So entsteht natürlich Spannung. Aber sie ergibt sich eben nicht nur aus dem Wissen, dass Horden durch die Straßenschluchten Los Angeles' wandern werden, sondern auch aus der Reaktion der Menschen auf den Zusammenbruch der Zivilisation, der sich wesentlich schleppender ereignete, als vielleicht erwartet. Prinzipiell wäre er sogar gänzlich aufzuhalten. Doch während auf der einen Seite das Wissen um die adäquate Antwort der Sicherheitskräfte fehlt, ist die menschliche Natur selbst der noch viel bestimmendere Grund, weshalb die Apokalypse seit dem ersten Walker unaufhaltbar war.

Die Handlungslogik der Figuren wurde vielerorts in den Kommentarspalten des Internets bemängelt. Zu Recht. Natürlich macht zum Beispiel der “Cobalt“-Plan des Militärs, der die Tötung aller zurückgebliebenen Zivilisten einschließt, wenig Sinn. Stattdessen sollte man doch lieber versuchen, mit den verbliebenen Waffen und Menschen eine Art Bürgerwehr zu schaffen. Doch das widerspricht dem inhärenten Menschenbild der Serie. Kirkmans Menschenbild ist rein darwinistischer Natur. Die Konfrontation mit so etwas Unglaublichem und Übernatürlichem führt zur Flucht in primitivste Gruppierungen, die kaum über den Nukleus der Familie hinausgehen.

Daher ist es nur konsequent, dass das Militär kein Risiko eingeht und die Evakuierung absagt. Dass Daniel die Walker befreit. Dass Strand nicht versucht, den anderen Menschen zu helfen (“Helping them could hurt us.“) - ganz abgesehen davon, dass es jetzt logisch ist, da man sich mit mehreren Menschen eventuell auf der Flucht besser zu wehren weiß. Seine Ideologie ist konsequent umgesetzt - wenn auch entgegen einer initialen Logik. Deshalb informiert Madison (Kim Dickens) auch nicht mehr die Nachbarn (“They did nothing when they came for us.“). Und deshalb ist es leichter, Verletzte in einem Stadion zu verlassen, als ihnen zu helfen. Aus den Augen - aus dem Sinn. Jeder ist sich nun der Nächste.

So leicht ist es aber nicht, wie Daniel die Soldaten eindrucksvoll erinnert. Der anschließende Kampf um das Krankenhaus ist großartig inszeniert und strotzt voller kleiner Momente, die beeindrucken. Es sind nicht die Explosionen, die Panzer oder die Gore-Elemente (auch wenn mit dem Rotor-Suizid die Serie einen ersten Höhepunkt gefunden hat und die schlurfenden Walker im langen Flur ein großartiges Motiv für die Falle sind, die sich die Menschen selbst bauen), die hier überzeugen. Sondern erneut gerät die Apokalypse in den Hintergrund, während Fear the Walking Dead seinen Figuren viel Zeit widmet. Die erst kürzlich eingeführte Ärztin, ein Mensch des Systems, verliert mit dem Zusammenbruch auch den Glauben an eine Zukunft. Ihr ruhiger und bestimmter Griff zum Bolzenschussgerät wird mir noch lange im Gedächtnis bleiben.

Überraschenderweise ist einer der schmerzvollsten Momente der Folge jedoch lediglich die Überbringung einer Nachricht. Auf der Flucht, zwischen Tür und Angel in einem Treppenhaus, muss Liza (Elizabeth Rodriguez) Daniel und seiner Tochter die bittere Wahrheit verkünden. Mit dem endgültigen Zerfall vergeht die institutionalisierte Verarbeitung von Trauer. Jeder Mensch trauert auf seine eigene Weise, verarbeitet den Tod einer geliebten Person für sich selbst. Doch es gibt helfende Institutionen: Kirche, Friedhof, Selbsthilfegruppen. Doch im Falle Ofelias gibt es nicht nur keine Leiche, sondern auch weder die Zeit noch den Ort, um den Tod zu verarbeiten.

Und so schleppt man diese Last mit sich herum. Sie nagt an der Psyche. Entweder man wird sie nie los oder passt sich den neuen Gegebenheiten schnell an. Daniel tut Letzteres und schluckt seine Trauer zunächst herunter. Kurz darauf suchen die Clarks nach ihren Jüngsten, während Daniel die Gruppe zur Flucht ermahnt. Rubén Blades verleiht dem toughen Charakter seiner Figur in den wenigen Worten „We must go now“ eine ganz eindringliche Verletzlichkeit, während Regisseur Stefan Schwartz Salz in die Wunde streut und die wiedervereinte Familie einfängt. Ein schmerzvoller Moment für die Salazars, denn gerade dieses Glück haben sie vor wenigen Sekunden für immer verloren.

Der Schuss auf Ofelia (Mercedes Mason) unterstreicht für Daniel aber auch, dass seine Taten Konsequenzen haben werden. Er weiß das natürlich und war bereit, diesen durch die Ermordung Andrews vorzubeugen. Nun ist es aber Travis (Cliff Curtis), der diesen Sprung macht. Travis wurde im Laufe der Staffel viel belächelt. Oft wurde kritisiert, dass man eher ihm und seiner Familie folgt, statt den Blick auf das große Ganze zu wenden. Doch nun entlädt sich die langsam aufgestaute Entwicklung in einer brutalen Gewalthandlung, die von der Gruppe nicht einmal mehr kommentiert oder sogar kritisiert wird. Travis war das letzte Glied in einer Reihe der langsamen Verwandlung. Nun ist auch er für die Apokalypse gewappnet. „Der gute Mann“, wie die gleichnamige Folge uns erinnert, ist vergangen. Was gut und gerecht ist, definiert in Zukunft nicht mehr die Wertvorstellung der Gesellschaft, sondern er selbst - und an vorderster Stelle wird die Sicherheit seiner Familie stehen.

Die anschließenden Bilder erinnern die geneigten Zuschauer noch einmal, was sie so oft in der Originalserie verpassen. Binnen dieser Folge wechselt Fear the Walking Dead die Handlungsorte so oft, wie die Originalserie in einer Staffel fast nicht. Vorstadt, Autobahn, Krankenhaus, Gänge, Großstadt, Strand, ein Luxushaus. Es ist aber nicht nur unbedingt die schnelle Abfolge an Handlungsorten, die diese Folge so groß machen, sondern auch die schiere räumliche Dimension der Stadt. Dass aus Steuervorteilen in Vancouver gedreht wurde, kann man verzeihen. Dass nun endlich aber im Finale auch wieder das ganze Ausmaß der Zerstörung sichtbar wird, war höchste Zeit.

Das unkontrolliert brennende Los Angeles, dessen Wolkenkratzer wie schwarze Mahnmale vergangener Tage in der Nacht eindrucksvoll und gespenstig den Untergang visualisieren, waren längst überfällig. Dennoch wirkt alles ein wenig zu leer. Vielleicht ist es dem Budget geschuldet, aber es gab keine großen Evakuierungen ("No Evac"-Graffiti aus Episode 4). Hat das Militär tatsächlich alle einfach umgebracht? Wieso tut es sich dann so schwer bei der Eliminierung von wesentlich langsameren Zielen wie einer Horde Zombies? Müssten nicht dennoch ein paar Zehntausende rumirren? So ganz konsequent zu Ende gedacht ist die Staffel dann leider doch nicht. Und während die Serie beim Make-up erneut überzeugen kann, ist man vom CGI der Yacht, die fast so schlimm wie das U-Boot aus LOST  aussieht, alles andere als beeindruckt

Trotzdem funktioniert das Finale von Fear the Walking Dead auf einer emotionalen Ebene völlig. Dass Liza als eine der wenigen Hauptfiguren ausscheidet, ist natürlich für die Dreiecksbeziehung ein wenig günstig. Doch ihr Tod wird sicherlich weitreichende Folgen haben. Chris wird seinem Vater Vorwürfe machen und Madison noch mehr hassen als zuvor. Und wie wir bereits aus der Originalserie wissen, gibt es nichts Gefährlicheres in der Zombieapokalypse als einen Jugendlichen mit Daddy-Issues. Nick bleibt der Gruppe als volatiles Element erhalten und darf für Ärger sorgen. Strand ist eine charmante Bereicherung des Casts, auch wenn seine Einführung etwas holprig ist. Mein Tipp: Er ist ein Drogenbaron, der seine Yacht schon immer für den Fall einer Razzia abfahrbereit gehalten hat.

Die zweite Staffel von Fear the Walking Dead kann in viele Richtungen gehen. Das Militär scheint sich noch nicht völlig aufgegeben zu haben und der Arbeitstitel der Serie war immerhin Cobalt. Vielleicht gibt es noch weitreichende Folgen. Die letzte Einstellung, der Flug über das Meer, könnte tatsächlich noch exotischere Handlungsorte oder sogar ein paar Episoden auf hoher See versprechen. Man wird ja noch träumen dürfen. Nur eins steht fest: Es geht immer weiter.

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