Kurt Hoffmann und seine Filme

12.11.2010 - 08:50 Uhr
Das Wirthaus am Spessart
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Heute vor 100 Jahren wurde Kurt Hoffmann geboren. Kurt wer? Kurt Russell, Kurt Krömer, Kurt Cobain – die kennen wir. Kurt Hoffmann jedoch scheint weitgehend vergessen zu sein. Dabei war der Regisseur einmal eine große Nummer im deutschen Kino.

In rund 30 Jahren, zwischen 1939 und 1971, drehte Kurt Hoffmann 45 Spielfilme, vor allem romantische oder musikalische Komödien, viele von ihnen Kassenschlager und Filmpreisträger. Einige Titel mögen im kollektiven Gedächtnis geblieben sein: Quax, der Bruchpilot, Ich denke oft an Piroschka, Das Wirtshaus im Spessart, Wir Wunderkinder, Morgens um Sieben ist die Welt noch in Ordnung. Letzterer bringt es auf den Punkt: Die Welt von Kurt Hoffmann war in Ordnung – aufgeräumt, versöhnlich, heiter. Einen Idylliker nannte ihn sein Werkbiograph Ingo Tornow.

Kurt Hoffmann wird am 12. November 1910 in Freiburg geboren. Das Kino liegt in der Familie: Sein Vater Carl Hoffmann ist als Kameramann an zahlreichen Klassikern des deutschen Stummfilms beteiligt, darunter Dr. Mabuse, der Spieler – Ein Bild der Zeit und Die Nibelungen: Siegfried von Fritz Lang und Faust von F.W. Murnau. Kurt Hoffmann lernt (worauf er zeitlebens stolz ist) sein Handwerk „von der Pike auf“. Er volontiert bei Robert Siodmak und Erik Charell, bevor er auf seinen Lehrmeister trifft, dem er neunmal assistiert: Reinhold Schünzel, ein Meister der ironisch-frivolen Komödie, legt dem gleichgeschalteten reichsdeutschen Kino einige spöttische Kuckuckseier ins Nest (so zum Beispiel Amphitryon – Aus den Wolken kommt das Glück, 1935), bevor er, der nach den Nürnberger Gesetzen als „Halbjude“ gilt, in die USA emigriert.

1939 erhält Kurt Hoffmann die Chance, erstmals Regie bei einem Spielfilm zu führen: Heinz Rühmann betraut ihn mit der Inszenierung des Lustspiels Paradies der Junggesellen – es ist der erste von sieben gemeinsamen Filmen. 1941 drehen sie zusammen Quax, der Bruchpilot. Die launige Geschichte eines unbeherrschten Flugschülers, der Disziplin und Einordnung in die Gemeinschaft lernt, gilt als Musterbeispiel für die ideologische Funktionalisierung „unpolitischer“ Unterhaltung im Kino des „Dritten Reichs“.

Nach Kriegseinsatz und Gefangenschaft steht Kurt Hoffmann ab 1948 wieder im Atelier. Er verschreibt sich, nach einem kurzen Ausflug ins Krimigenre, ganz der leichten Muse. Es entstehen Filme wie Fanfaren der Liebe – die Story von zwei Musikern, die mangels Engagement in Frauenkleider schlüpfen, um in einem Damenorchester unterzukommen (Billy Wilder wird den Stoff unter dem Titel Manche mögen’s heiß zum Komödien-Klassiker schlechthin veredeln) – oder Feuerwerk, ein farbenfrohes musikalisches Spektakel um eine gutbürgerliche Provinzfamilie der wilhelminischen Zeit und ihr schwarzes Schaf, einen weitgereisten Zirkusdirektor. Immer wieder verfilmt Kurt Hoffmann literarische Werke. Er trifft dabei den Ton des scharfzüngigen Boulevardiers Curt Goetz (Hokuspokus) ebenso sicher wie den des spöttischen Melancholikers Erich Kästner (Drei Männer im Schnee), rverhebt sich allerdings an einem Nobelpreisträger: Seine Adaption der Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull funktioniert zwar als leichtgewichtige Komödie, aber Ironie und artistische Feinheiten der Vorlage von Thomas Mann bleiben weitgehend auf der filmischen Strecke.

In der zweiten Hälfte der 50er Jahre, zu einer Zeit, als in der Bundesrepublik jährlich rund 800 Millionen Kinokarten verkauft werden (2009: 140 Millionen), inszeniert Kurt Hoffmann seine Meisterstücke. Ich denke oft an Piroschka schildert erinnerungsselig das Liebesidyll zwischen einem deutschen Studenten und einem Dorfmädchen im Ungarn der 20er Jahre. Das Wirtshaus im Spessart reflektiert als märchenhaftes Singspiel über die Austauschbarkeit von Räubern und Bürgern. Die kabarettistische Zeitrevue Wir Wunderkinder beleuchtet am Beispiel von zwei ungleichen Klassenkameraden und ihren gegensätzlichen Lebenswegen Höhen und Tiefen der jüngeren (groß-)deutschen Geschichte.

Die ausgetretenen Pfade der Heimat- und Schlagerfilme, denen das Kino der Adenauerzeit seinen schlechten Ruf verdankt, weiß Kurt Hoffmann fast immer geschickt zu vermeiden. Das Visuelle steht für ihn im Mittelpunkt: Film ist Kamera. Und er mokiert sich über diejenigen, die nur noch Dialoge schreiben: „Niemand denkt mehr optisch. Dabei kann man mit einem Requisit 25 Sätze erzählen.“ Kurt Hoffmann hält sein künstlerisches Niveau, indem er einen Stamm von Kreativen um sich schart, mit denen er regelmäßig zusammenarbeitet: Drehbücher verfassen Heinz Pauck oder der Berliner Kabarettist Günter Neumann, hinter der Kamera stehen Richard Angst oder Sven Nykvist, die Musik komponieren Franz Grothe oder Hans-Martin Majewski, Liselotte Pulver ist sein Star in zehn Filmen.

Auf dem Zenith seiner Karriere plazieren sich die Filme von Kurt Hoffmann regelmäßig unter den Erfolgstiteln des Jahres, erhalten zahlreiche Auszeichnungen. Diese Beliebtheit beschränkt sich nicht auf den Westen des geteilten Landes: Unter den rund 70 bundesdeutschen Filmen, die im Lauf der 50er Jahre in die DDR exportiert werden, sind zehn Werke von Kurt Hoffmann. Und selbst ein ausgewiesener Kritiker des westdeutschen Nachkriegsfilms wie Joe Hembus bescheinigt dem Regisseur den Rang eines „Filmschöpfers“ – der allerdings, als Wortführer des bürgerlichen Mittelstandes, meist dem Spießertum verhaftet bleibe. „Alle Menschen werden Brüder, wo sein sanftes Kino weilt“, stichelt der Autor Joachim Kaiser.

Anfang der 60er Jahre gerät der bundesdeutsche Film in eine tiefe Krise. Der künstlerische Fundus ist erschöpft, die Zuschauerzahlen gehen dramatisch zurück, das Fernsehen erobert die Wohnzimmer, Verleih- und Produktionsfirmen kollabieren, und der Nachwuchs bläst zum Sturm auf die Ruinen: „Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen“, heißt es 1962 im Oberhausener Manifest. Erstaunlicherweise bleibt Kurt Hoffmann von alledem fast unberührt. Er kann weiter kontinuierlich für das Kino produzieren – auch wenn seine Filme immer belangloser werden: Allzu brave Tucholsky-Adaptionen wechseln sich ab mit schlappen Musicals und betulicher Familienunterhaltung. Drei Filme aus dieser Zeit verdienen dennoch Erwähnung:

1965 gestaltet der Regisseur zum einzigen Mal einen ernsten historischen Stoff: Das Haus in der Karpfengasse, mit deutsch-tschechischer Besetzung und Crew an Originalschauplätzen gedreht, erzählt vom Schicksal der Bewohner eines Prager Mietshauses nach dem Einmarsch der Wehrmacht im Jahr 1939. Kurt Hoffmann gelingt ein bedrückend-eindringliches Drama über die Zeit des Nationalsozialismus. Das Remake seiner eigenen Curt Goetz -Adaption von 1953, Hokuspokus oder wie lasse ich meinen Mann verschwinden?, leidet zwar unter der Fehlbesetzung mit Heinz Rühmann, aber ein formal zwischen Dogville und Mokka-Milch-Eisbar angesiedeltes, modernistisches Szenenbild verleiht der gepflegten Komödie eine im damaligen deutschen Film seltene Exzentrizität. 1969 wird Kurt Hoffmann fast experimentell: Mit Laien und weitgehend unbekannten Schauspielern inszeniert er den – kommerziell erfolglosen – Familienfilm Ein Tag ist schöner als der andere. 40 Jahre später nimmt Dominik Graf das Werk in seine exklusive Liste der zwölf deutschen Filme auf, die ihn „so richtig von Anfang bis Ende gepackt haben“.

In den gesellschaftlichen und kulturellen Umbrüchen der unordentlichen Jahre nach 1968 geht die Kinokarriere von Kurt Hoffmann zu Ende. Anders als Altersgenossen wie Helmut Käutner und Wolfgang Staudte, hat er kein Interesse, seine Arbeit beim Fernsehen fortzusetzen. Ein einziges Mal führt er 1976 Regie für das ZDF, dann zieht er sich aus dem Filmgeschäft zurück. Nach einem langen, entspannten Lebensabend in seinem Haus am Lago Maggiore (Was für ein 50er-Jahre-Klischee!) stirbt Kurt Hoffmann am 25. Juni 2001 im Alter von 90 Jahren in München.

Auch wenn (oder gerade weil) sich Kurt Hoffmann der deutschen Wirklichkeit kaum je mit realistischem, geschweige denn dokumentarischen Blick näherte, verrät sein filmisches Werk viel über Gemütslagen und Sehnsüchte seiner Zeit. Wer die schöne heile (Parallel-)Welt von Kurt Hoffmann erkunden möchte, kann sich auf die Reise machen: Über die Hälfte seiner Filme liegt auf DVD vor. Ganz so vergessen ist dieser Mann vielleicht doch nicht…


Dieser Text stammt von unserem User Sebastian Schubert, besser bekannt unter Joe Gillis. Wer ebenfalls Text-Ideen oder bereits was aufgeschrieben hat, wende sich an ines[@]moviepilot.de.

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