Mein Top-Film 2012 - Anna Karenina

31.12.2012 - 08:03 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Anna Karenina
Universal Pictures
Anna Karenina
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Ines hätte nicht erwartet, dass ein Kostümfilm ihr Top-Film des Kinojahres 2012 werden würde. Aber Anna Karenina hat mit seiner Inszenierung gepunktet. Opulent, beschwingt und sehr überraschend wie ungewöhnlich kommt die Literaturadaption daher.

Anna Karenina – unzählige Male ist der Roman von Lew Tolstoi bereits verfilmt worden, mit solch großen Schauspielerinnen wie Vivien Leigh, Greta Garbo, Claire Bloom, Jacqueline Bisset und Sophie Marceau. Eine neue Verfilmung des weltberühmten Stoffes war also nicht unbedingt notwendig und die Geschichte ist auch tausendfach erzählt: Die Ehefrau Anna Karenina (Keira Knightley) verliebt sich in den Offizier Vronsky (Aaron Taylor-Johnson), verlässt ihren Ehemann Alexei Karenin (Jude Law), die Gesellschaft treibt sie aber in die Enge, sie scheitert. So weit, so gut. Brisant war der Stoff vielleicht früher einmal, heute gibt es deswegen keinen Skandal mehr. Und was hat der Zuschauer von einer Neuverfilmung zu erwarten: einen weiteren Kostümfilm im historischen Ambiente. Aber was der Engländer Joe Wright aus diesem Stoff macht, ist ein kleines Kinowunder. Anna Karenina ist wegen seiner Inszenierung für mich einer der besten Filme des Jahres.

Regisseur Joe Wright hat sich entschieden, seine Anna Karenina im Theater spielen zu lassen. Das hört sich altmodisch an, ist aber überaus gekonnt in Szene gesetzt. Der Großteil des Geschehens spielt sich auf der Bühne ab, der Film beginnt in der Garderobe, Kulissen überbrücken Räume, der Schnürboden fungiert als Straße, im Keller fährt der Zug ein, der Zuschauerraum wird zur gesellschaftlichen Bühne, auf dem schon mal Eislaufen geübt wird und wo der Schnee bis zu den Besucherlogen reicht, das Kinderzimmer ist ein Bett auf der Bühne, im Orchestergraben stirbt ein Pferd. Das verblüfft, von Anfang an und diese Überraschung trägt den ganzen Film. Anna Karenina ist mehr als nur ein Kostümfilm: Innen und Außen werden hier komplett surreal präsentiert, es geht um Sehen-und-Gesehenwerden, alles Private ist öffentlich und die Tragödien auf der Bühne sind deutlich kleiner als jene, die sich im Theatersaal selbst abspielen.

Der Ort an sich mag schon für Erstaunen sorgen, der Rhythmus des Films trägt das Seinige dazu bei. Es beginnt überaus beschwingt, Staatsbürokratie geht in einer Stempel-Choreografie auf, alltägliche Bewegungsabläufe (zum Beispiel das An- und Ausziehen eines Staatsrockes) werden wunderbar rhythmisiert, manchmal frivol in Szene gesetzt, ein anderes Mal grotesk, rauschhaft oder verträumt. Lustvoll wird mit Tänzen gespielt, die mehr über die tanzenden Figuren aussagen als jedes Wort, welches sie beim Tanz sprechen würden. Affektiert und künstlich mögen es die einen nennen, für mich sprechen die Szenen Bände, überbrücken Hunderte von geschriebenen Romanseiten, bringen mir die Figuren näher. Joe Wright, der schon in Stolz und Vorurteil sowie in den Actionszenen bei Wer ist Hanna? seinen Sinn für rhythmische Harmonie bewies und in Abbitte eine der brillantesten Plansequenzen schuf, legt mit Anna Karenina sein Glanzstück ab. Anna Karenina ist inszeniert wie ein Musical, ohne es zu sein.

Eine der schönsten Szenen des Films ist ein Pferderennen. Der Zuschauer nimmt den rhythmischen Schlag des Fächers von Anna Karenina wahr, die in ihrer Theaterloge sitzt und plötzlich befinden wir uns in einem Pferderennen. Die Pferdehufe rasen über die Bühne. Kurze Zeit auf der Theaterbühne laufen die Pferde dann querfeldein, um wieder auf der Bühne das Publikum zum Anfeuern zu bewegen. Ein Unfall führt zum Raunen des Theaterpublikums, das Pferd stürzt in den Orchestergraben und muss dort erschossen werden. Wie in dem ganzen Film Räume überbrückt werden, sich Türen zwischen der inszenierten und der realen Wirklichkeit öffnen, wie sich erotische Spannung durch Blicke auflädt, ist nicht nur dramaturgisch effizient, sondern auch mehr als sehenswert. Mein Lob gilt besonders Kameramann Seamus McGarvey, der erstaunliche Bildeinfälle umsetzt, raffinierte Schwenks wagt und kunstvoll Übergänge gestaltet.

Überhaupt die Übergänge: Manchmal findet die Kamera auch ihren Weg in die Realität, etwa zu den Bauern auf den Feldern, auf eine Blumenwiese, ins verschneite Russland, ins herrschaftliche Haus von Lebensreformer Lewin (Domhnall Gleeson). Es scheint fast so, als müssten sich die Figuren erst wirklich trauen, den Weg in die Realität zu gehen, weg von der Steifheit des Theaters, der gesellschaftlichen Inszenierung. Hier verliert auch die Künstlichkeit ihren Boden. Kitty (Alicia Vikander) geht diesen Weg und ein bisschen auch Oblonsky (Matthew Macfadyen), der Bruder von Anna Karenina. Er ist ein zügelloser und sympathischer Ehebrecher, der sein Leben ganz auf den Genuss ausrichtet, der sich in der Gesellschaft eingerichtet hat. Fast ängstlich steht er nach dem Selbstmord seiner Schwester rauchend vor seiner Tür. Die Realität hat Einzug in sein Leben gehalten und er wagt einen ersten, wenn auch kleinen Schritt vors Theater.

Gräfin Vronskaya gibt Anna Karenina eine Lebensweisheit mit auf den Weg: Besser im Nachhinein bereuen als von vornherein verzichten. Jeder sollte sich ärgern, wenn er auf Anna Karenina verzichtet, bereuen wird er im Nachhinein den Besuch des Films auf keinen Fall.

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