chaoSimkozmoS - Kommentare

Alle Kommentare von chaoSimkozmoS

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      über Samsara

      Die endlosen Sanddünen Namibias, ein Toter in einem Sarg in Pistolenform, die verstörende Performance eines Künstlers, der sein Gesicht mit Schlamm einreibt, seine plötzlich entstellte Fratze, burmesische Tempel im Morgendunst, ein magischer, auch verstörender, assoziativer Bilderrausch.

      Das Kino als Tempel und ein Film als quasi-spirituelles Erlebnis. „Samsara“, der ewige Kreis des Lebens im Buddhismus, das Werden und Vergehen. Wie auch im Vorgänger „Baraka“ werden beeindruckende Naturbilder dem ewigen Gewimmel der Menschheit gegenübergesetzt. Werden mit Rhythmus und der Verknüpfung von Bildern Beziehungen hergestellt und Emotionen hervorgerufen. Samsara aber kreist um dunklere Themen, das Vanitas-Motiv rückt in den Fokus, das Vergehen, im einfachen Vergehen vom Zeit, als Vergänglichkeit, aber auch als das moralische Vergehen an der Umwelt.

      Für die Filmemacher Ron Fricke und Mark Magidson ist Samsara eine geführte Meditation, der Zuschauer sitzt in einem abgedunkelten Raum vor einer riesigen Leinwand, es fehlen die Störreize, ja es fehlt sogar jedes Voiceover, manchmal wünscht man sich einen Sprecher, um durch die Beschreibung des Gezeigten eine intellektuelle Distanz aufbauen zu können. Der Film, die Bilder, werden zu etwas Unmittelbaren, dem man wehrlos ergeben ist, man taucht ab und staunt und fürchtet.

      Es war ein langes Warten, jahrelang, gar jahrzehntelang, nun sitzt man in der Premiere, die nicht einmal ausverkauft ist, es ist mehr ein Erleben als ein Sehen. Anderthalb Stunden sitzt man gebannt im Kinosessel, es funktioniert, weil die Bilder, die wir hier sehen, unglaublich sind in ihrer betörenden Schönheit und belastenden Grausamkeit. Die unbeschreibliche Intensität des Gezeigten ist zugleich in seiner Plakativität die größte Schwäche des Filmes. Fast ein wenig platt und einfach wirkt mancher Schnitt, zu offensichtlich. Eine Gratwanderung, im dargestellten Leid und Elend fast ein wenig voyeuristisch. Auch die Musik ist groß und bedeutungsschwer, dabei liegt die Kraft oft in der Zurückhaltung, wie im unglaublich intensiven, starken Blick einer Fabrikarbeiterin. Das ist das Geniale, wie die unvergleichliche Affen-Szene zu Beginn von Baraka.
      Samsara, ja, aber freilich kein Leben und Vergehen wie wir es erleben, wir betreten den symbolischen Raum, es sind große Bilder als Metaphern für das alltägliche Werden und Vergehen: exemplarisch nicht dokumentarisch.

      Der Film wurde wieder im herausragenden 70mm-Filmformat gedreht, das trotz seines stolzen Alters von 50 Jahren die beste Bildqualität liefert, die derzeit möglich ist. Im Schnittraum gab es die Musik noch nicht, dem fertig geschnittenen Film, dem Rhythmus der Bilder, wurde das musikalische Kleid geschneidert. Der Film ist nonverbal, 25 Länder wurden in fünf Jahren bereist, Mondphasen abgewartet oder das ganz bestimmte Licht, das Regisseur Ron Fricke für seinen Film haben wollte. Das Warten hat sich gelohnt, auch wenn Samsara nicht ganz das Niveau von Baraka erreicht. Vielleicht weil es nichts Neues mehr ist, vielleicht weil mit der deutlich verkürzten Schnittfolge ein wenig die, in der Ruhe liegende, Kraft verloren gegangen ist, vielleicht weil manches Bild, mancher Schnitt zu direkt ist. Aber dennoch, auch Samsara ragt heraus, mit seinen Bildern, die emotional aufwühlen, mit einer stummen Bildsprache, die universell verständlich ist, das organische der Bildfolge, das wandernde Licht und die wandernden Schatten, die Entrüstung im Gesicht eines Kindes über das plötzliche nasse Kühl bei einer Taufe, bei anderen das selige Lächeln, hunderttausende Pilger in Mekka, eine Massenchoreografie im Rhythmus des Gebets. Aber auch das entstellte Gesicht eines Irakkrieg-Veterans oder Massentierhaltung in China. In diesem allumfassenden Kontext hat nur Vorgänger Baraka die Welt gedacht. Der Film will nicht mahnen, nur zeigen, das Leben in all seinen Facetten, natürlich kann er dennoch persönlich als zutiefst mahnend empfunden werden, aber die Filmemacher - und das ist konsequent - wollen den Film nicht als politischen Film verstehen, er bleibt Meditation über Leben, Tod und Wiedergeburt.

      Am Ende kehren wir zu einem Bild aus der Eingangsequenz zurück: Ein Mandala aus buntem Sand, buddhistische Mönche, die in mühsamer Kleinstarbeit fast Körnchen um Körnchen auftragen, ein kompliziertes, symbolisches Muster entsteht. Das nun vollendete Meisterwerk wird kurz betrachtet und zusammengekehrt: Alles ist vergänglich.

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      • 8 .5

        #Es müßte möglich sein, eine Pagode zu türmen aus Knäckebrot, nichts zu denken und keinen Donner zu hören, keinen Regen, kein Plätschern aus der Traufe, kein Gurgeln ums Haus. Vielleicht wird es nie eine Pagode, aber die Nacht vergeht.#

        #Irgendwo klöppelt es auf Blech.#

        Langsamer Verfall, Erinnerungslücken, das Bewusstsein der eigenen Endlichkeit. Ein Film von Heinz Bütler und Manfred Eicher nach der Erzählung „Der Mensch erscheint im Holozän“ von Max Frisch. Ein Film wie eine Collage über den Tod.

        #Es ist keine Pagode geworden, aber Mitternacht.#

        #Herr Geiser hat Zeit.#

        Seit Tagen regnet es, Herr Geiser lebt einsam in einem Alpendorf, spürt das Herannahen einer Katastrophe, sein Dorf ist von der Außenwelt abgeschnitten, Herr Geiser studiert Lexikoneinträge, schneidet Artikel aus, gegen das Vergessen, hängt sie an die Wände.

        #Schlimm ist nicht das Unwetter – #

        Collagen entstehen an Herrn Geisers Wänden, in Max Frisch Erzählung, es ist das Fragmentarische, sind nüchterne Erkenntnisse, handschriftliche Abschriften Geisers, erlebte Rede, auch der Film bedient sich des Mittels der Collage, verknüpft assoziativ.

        Eine Soundcollage betörender Schönheit: das Rauschen des Meeres vor Island, grau in grau, Möwen schreien, der Regen, der unaufhörliche Regen, das dunkle Murmeln Geisers, wenn er sich Texte vorließt, das Knistern des Kaminfeuers, das Plätschern eines Baches, knarrende Schritte auf Holzdielen, Blätterrascheln, Donner, perfekt eingefangen vom Musikproduzenten Manfred Eicher.

        #1.

        der einfache Knall-Donner

        2.

        der stotternde oder Koller-Donner, in der Regel nach einer längeren Stille, verteilt sich über das ganze Tal und kann Minuten lang dauern.

        […]

        8.

        der zögernde Kicher-Donner (ohne Blitzlicht im Fenster) zeigt an, dass das Gewitter sich über die Berge verzieht.#

        Eine Collage des Zerfalls, Erland Josphsons stoisches Spiel, die langsamen Kamerafahrten, Bachs Johannes-Passion, die abgedunkelten Räume des Hauses, wehende Vorhänge im Unwetter, Licht das sich schummrig im Staub verfängt, die kargen Gebirgszüge, die nassen Gemäuer, dunkel schimmernde Stämme, das Schluchzen Herr Geisers.

        #Der Himmel wie Asche oder Blei.#

        Das alles vermischt sich zu einem langsamen Gebilde aus Klang, Bildern und Worten. Man schweift in Gedanken ab – wirre Gedanken kurz vor dem Schlaf, und trotzdem.

        Es ist kein Film, der lange Geschichten erzählt, es ist diese Metapher des Sterbens, die man spürt bevor man sie versteht. Es ist diese magische Stimmung, wie sie nur wenigen Filmen gelingt, die den Film zu kongenialen filmischen Aufarbeitung der literarischen Vorlage macht.

        #Ein Bär ist ein Bär, auch im Nebel.#

        Und diese Stimmung kennen wir: Holozän ist ein Film, der sich klar an den Großen des europäischen Autorenkinos orientiert. Erland Josephson ist Ingmar Bergmans Johan aus Szenen einer Ehe, Andreij Tarkowskijs Alexander aus Opfer. Das Spiel des Lichtes – man wähnt sich im Strandhaus von Persona, wähnt sich im Hotel aus Nostalghia. War es die Matthäuspassion Bachs in Opfer, ist es in Holozän seine Johannes-Passion. Theo Angelopoulos Lieblingskameramann Giorgos Arvanitis fängt die Bilder ein: karge Landschaften hier, das Gesicht Josephsons dort.

        #Schlimm wäre der Verlust des Gedächtnisses – #

        Es ist ein solcher Kunstfilm geworden, eine stille Mediation über einen Menschen, der sich selbst verliert, der im Angesicht seiner eigenen Endlichkeit Zuflucht sucht in der quasi Zeitlosigkeit der Erdzeitalter – Trias, Kambrium, Tertiär. In geologischen Formationen, bei Schiefer, Feldspat und Quarz.

        #Es wird nie eine Pagode – #

        #Das weiß Herr Geiser.#

        Der Mensch erscheint im Pleistozän, doch das weiß Herr Geiser schon nicht mehr.

        #Katastrophen kennt allein der Mensch, sofern er sie überlebt; die Natur kennt keine Katastrophen.#

        Im Frühjahr 1991 stirbt Max Frisch, bis zu seinem Tode hatte er an der Verfilmung mitgearbeitet. Stirbt nach einem langen Hadern mit dem Tod, und auch unser Herr Geiser stirbt, wir sehen es nicht, im Buch wie im Filme nicht. Warum Herr Geiser los gewandert ist, kann man erahnen. Am Ende steht er an eine steile Felswand gelehnt, Wolkenschwaden fahren die Brüche und Kanten entlang, stürzen hinab und Herr Geiser sagt:

        #Die Natur braucht keine Namen. Das weiß Herr Geiser. Die Gesteine brauchen sein Gedächtnis nicht.#

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        • 8 .5

          In einer der stärksten Szenen von Dame König As Spion gleich zu Beginn, sehen wir den MI6 Agenten Jim Prideaux (Andy Garcia, Verzeihung: Mark Strong) in Budapest beim Treffen mit einem ungarischen Kontaktmann. Wir schreiben das Jahr 1972 und finden uns unvermittelt in den Wirren des Kalten Krieges wieder. Eine Totale: Ein Cafe in einer Passage, für einen Moment sehen wir einen Mann im beigen Agenten-Trenchcoat raschen Schritts aus dem Bild laufen, flatternder Mantelsaum und schon ahnen wir, das Treffen wird nicht so glatt verlaufen, wie geplant. Ein bewegtes Stillleben, arrangiert, weckt es in seiner Künstlichkeit in uns Verdacht, ruft Paranoia hervor. Aufmerksam betrachtet man die Konstellation: Beine einer Sitzenden, die aus einem Hauseingang hervorluken, ein Mann wischt den Boden, zwei Männer sitzen sich vor einem Cafe an einem Tisch gegenüber, wir belauschen ihr Gespräch, davor eine stillende Mutter, im Hintergrund läuft eine Frau vorbei, halbverborgen ein dicker Mann mit Hut, Zeitung lesend. Ein Kellner betritt die Szene, aus dem Cafe heraus tritt er auf die beiden Männer zu und die Kamera wechselt an den Tisch der Beiden. Die junge Mutter im Hintergrund schaut kurz zu uns herüber, der Kamerastandort wechselt, wir entdecken einen, wie unbeteiligt da sitzenden Mann, den wir zuvor nich bemerkt hatten, der Dicke mit Zeitung und Hut wirkt deplaziert und umso verdächtiger. Der anfängliche Verdacht wird zur Gewissheit, immer mehr verräterische Details fängt die Kamera ein, was wir schnell ahnten begreift Jim viel zu spät, der Kellner erschießt ihn hinterrücks.

          Wie konnte der britische Agent in diese Falle laufen, wo ist die undichte Stelle? Control (John Hurt), der Geheimdienstchef ist sich sicher, es muss einen sowjetischen Maulwurf geben, an höchster Stelle des MI6, im inner circle, “circus” genannt. Controls Vermutungen wird keinen Glauben geschenkt, er wird geschasst, da er der Politik zu unangenehm wird und stirbt bald darauf. Doch als sich die Zeichen verdichten, wird der pensionierte und Vertraute von Control, Agent George Smiley (hervorragend: Gary Oldman, zurückhaltend und umso beeindruckender) zurückgeholt und beauftragt seine ehemaligen Gefährten zu durchleuchten. Versteckt stellt er mit Hilfe des jungen Agenten Peter Guillam (Benedict Cumberbatch) Nachforschungen an, um den Maulwurf zu enttarnen.

          Die beschriebene Szene ist sympthomatisch für das vorherrschende Klima in Dame König As Spion, das von Argwohn und Misstrauen geprägt ist. Wie die Geheimdienstler wissen auch wir nicht, wem wir trauen können, erkennen, wie geschickt hier alles arrangiert ist, doch können uns keinen Reim machen.

          Der Regisseur Tomas Alfredson, der schon mit seinem sehr besonderen letzten Film So finster die Nacht, dem Vampir-Genre neues Leben eingehaucht hatte, schafft es auch hier wieder, sich von der üblichen Genre-Kost abzusetzen. Er schafft einen Agenten-Thriller, der ohne Action, schnelle Schnitte und Verfolgungsjagden auskommt, sondern voll auf die komplexe Story der Romanvorlage von John le Carré verlässt. Vielleicht ist es auch der Tatsache geschuldet, das dieser tatsächlich einmal Mitarbeiter beim britischen MI6 war, denn inhaltlich überzeugt Dame König As Spion voll und ganz. Man ist versucht zu sagen der Film sei langsam, aber das ist es nicht, er nimmt sich Zeit für seine Charaktere, für die verschiedenen Zeitebenen und Handlungsstränge, die geschickt miteinander verflochten sind und eben ihrer Zeít bedürfen. Nicht langsam, ruhig!

          Bedauernswerterweise kann man dem Film in seiner Komplexität zwar problemlos folgen, aber leider bleibt es beim folgen. So undurchsichtig wie unser Ermittler hinter seinen dicken Brillengläsern, so schwer ist es eigenständig Vermutungen aufzustellen. Es kann jeder sein, und als am Ende all die losen Fäden in der Hand von George Smiley zusammenlaufen und wir wissen wer der sowjetische Doppelagent ist, fügt sich zwar alles lückenlos ineinander, aber das anerkennende Klick im Kopfe des Zuschauers bleibt aus.

          Letzendlich ist aber genau dies nur konsequent. Dame König As Spion ist kein Film der Effekthascherei betreibt. Der Film ist wie aus der Zeit gefallen. Die körnigen blaugrauen Bilder mit Brauntönen durchzogen, das so stilsichere Setdesign, als einzige Augenweide, der Film könnte genauso gut dreißig Jahre alt sein und ist wohl, im allerbesten Sinne: zeitlos!

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          • 8 .5
            über Drive

            Ryan Gosling mimt den namenlosen Fahrer bzw. Driver, der tagsüber als Automechaniker und Stuntfahrer für Hollywood arbeitet und des nachts seine Fahrkünste als Fluchtwagenfahrer versilbert. Wer ist eigentlich dieser Ryan Gosling? Woher kommt der plötzlich, warum mögen ihn alle und warum ist er trotz alledem, ja, einfach gut? Er spielt seinen Driver irgendwo zwischen Melancholie und aufblitzender brutalster Gewalttätigkeit, zwischen manchmal fast schon dümmlich anmutender Langsamkeit und absoluter Coolness, all dies mit beeindruckender Intensität und Präsenz. Ryan Gosling, dieser Typ, der in einem Autoverfolgungsjagdgähnactionfilm nur unter der Bedingung mitspielt, sich einen Regisseur aussuchen zu dürfen (nicht umgekehrt), wodurch dieser freilich gar nicht erst zu solch einem Film verkommen kann. Und wen sucht er sich aus? Den Dänen Nicolas Winding Refn (Bleeder, Pusher, Bronson) und der macht seinen Job hervorragend, so hervorragend, dass er letztes Jahr dafür den Regiepreis von Cannes gewann. Er schafft es trotz einer vorhersehbaren, dünnen Story, die wir in Variationen alle kennen, einen tollen Film zu machen, eine 80er Jahre Hommage mit einem Film Noir Helden.

            Die Story ist simpel: Er, der Driver ist ein schweigsamer Einzelgänger („I drive!“), doch als er sich in seine alleinerziehende Nachbarin Irene (Carey Mulligan) verliebt entdecken wir eine andere Seite an ihm, er hilft ihr aus und kümmert sich rührend um ihren kleinen Sohn, bis eines Tages der Familienvater Standard (Oscar Isaac) aus dem Gefängnis zurückkehrt. Nach den vorprogrammierten anfänglichen Spannungen zwischen den beiden Männern, bietet Gosling ihm seine Dienste als Fluchtwagenfahrer an. Standard muss, um Schutzgeldforderungen aus seiner Gefängniszeit zu begleichen und endgültig der organisierten Kriminalität abzuschwören, das berühmt berüchtigte letzte Ding drehen, das niemals, auch hier nicht, glatt geht. Was folgt ist ein blutiger, verzweifelter Rache- und Befreiungsfeldzug, der nur Verlierer kennt.

            Das großartige an Drive ist, mit welch durschlagender Konsequenz Refn diese einfache Handlung umsetzt. Der Film sieht großartig aus, sein Hauptdarsteller ist ideal inszeniert, jeder einzelne Beat des Soundtracks sitzt perfekt. Es ist die Dynamik, dieser Wechsel zwischen Stillstand und Eruption, Alltagsszenen denen Raum und Zeit gelassen wird, eine gefühlvoll erzählte kleine Liebesgeschichte und dann ein plötzlicher, exzessiver Gewaltausbruch, Szenen die ausgelassen werden und andere die mitreißen. Gosling und Mulligan, wie sie im Fahrstuhl stehen, mit ihnen ein Mann, den Gosling als Killer erkennt. Der Driver, der nach hinten fässt, um sie weg, an die Wand der Fahrstuhlkabine zu drücken, und sich dann, statt loszuschlagen, zu ihr umdreht und ihr einen langen Kuss gibt, um plötzlich und unerwartet, dafür umso brutaler zuzuschlagen, da ist es das Monster, das hervorblitzt, blutbeschmiert in seiner Jacke mit dem gelben Skorpion. Gosling wie er mit erhobenem Hammer über einem Gegenspieler kniet unter den Augen von unbeteiligt, höchstens verwundert wirkenden nackten Prostituierten, der Hammer in seiner Hand: zittert. Ohrenbetäubend krachende Schüsse und zwei Autoverfolgungsjagden, die ihre stärksten Momente haben, wenn der Driver nicht fährt, sondern abwartet.

            Es ist ein seltsamer, bunter Mikrokosmos in dem sich Drive bewegt, als wäre man irgendwo zwischen Hier und Dort verloren gegangen, eine artifizielle Welt aus Innenansichten eines Autos, den Straßen L.A.s, dem Apartment von ihr, der Autwowerktstatt seines Mentors Shannon (Bryan Cranston) und dem Mafiatreffpunkt in einem Schnellimbiss. Die Schauspieler lassen bis in die Nebenrollen (Ron Perlman, Albert Brooks, Christina Hendricks) keine Fragen offen, und so ist Drive ein kleines stilistisches Wunderwerk, mit seiner hypnotisch gleitenden Kamera, den perfekten Einstellungen, den bunten Lichtern, die alles in ihre Farbigkeit tauchen, dem außergewöhnlichen, doch tollen Soundtrack. Ein kleines Wunderwerk, das sich immer wieder für Momente atmosphärisch verdichtet und sich in höchste Höhen aufschwingt, ein Film, der sich vor allem durch seine Konsequenz auszeichnet, mit der Drive nicht vor Klischees in der dünnen Handlung zurückschreckt, keine Angst vor einem übercoolen Antihelden hat, sondern einfach macht, und wie.

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            • Danke!
              Eine Oscar Rede halten, meine Damen und Herren, eine Oscar Rede halten, das ist für mich ein wahr geword'ner Albtraum. Man sitzt in seinem Sessel, kauert eher, denkt an die Kameras: sitzt wieder, und hofft insgeheim: ich bekomm ihn nicht. Sagt sich: ich will ihn ja auch nicht, dies' System unterstütz ich nicht. Doch Eitelkeit wird immer siegen!
              Dann hört man seinen Namen und denkt sich: ja was denkt man sich? Man denkt auch nicht, höchstens kurz: den Typen, ja, den kenne ich!
              Tja nun, hier stehe ich, was sage ich? Erlöset mich! Mit dieser pompösen Musik, die ich in ihrer wortabschneidenden Funktion immer als Zumutung empfunden habe. In 3 Sekunden, wenn dieser Satz beendet ist!
              *pompöse, wortabschneidende Musik setzt ein*
              Wenn man vom Teufel spricht, so denke ich, wie jeder wohl: an meine Lieben. Und so widme ich den Preis nun diesen!

              • ick freu ma! ich mein bei dem cast, dem trailer, wes anderson..da kann für mich nix schiefgehen! und wie man das nicht mögen kann bleibt mir schleierhaft =)

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                darf man hier werben?^^

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                  über Baraka

                  Die Stadt atmet. Wir hören ein Auf- und Abbranden. Wir sehen den Verkehr, wie er in ihren Adern zwischen Häuserschluchten pulsiert.

                  Baraka „Atem des Lebens” im Sufismus. Ein Film, der uns auf eine Reise um die Welt mitnimmt. Uns staunen lässt, immer wieder staunen lässt ob der Schönheit unseres Planeten. Alles ist Rhythmus. Ein Film in 70mm. Alles ist vernetzt. Wolken stürzen in stundenlangen Kamerafahrten ins Tal. Stürzen im Zeitraffer. Vierundzwanzig Länder in vierzehn Monaten. Ein endloser Strom von Pendlern im Tokioter Nahverkehr. Menschen wie willenlos im Getriebe der Gesellschaft. Küken am Fließband. Legebatterien. Alles stürzt ineinander, weltweit. Der buddhistische Mönch und der Derwisch. Natur und Technik. Der Aborigine und der Massai. Tod und Leben. Sao Paulo und New York. Chaotisch und kontemplativ. Nonverbal. Eine Prostituierte in Ecuador und Butoh Tänzerinnen aus Japan. Auschwitz und die Killing Fields.

                  Ron Fricke zeigt uns die Welt, wie wir sie nocht nicht gesehen, noch nicht gedacht haben. Eine assoziative Bilderflut, die einen nicht mehr loslässt, sofort in ihren Bann schlägt. Er erklärt nicht, er schweigt, lässt die Bilder sprechen. Wie sie sprechen! Perfekt eingefangene Bilder, nein nicht dokumentarisch, exemplarisch. Eine langsame Kamerafahrt durch die Gänge Auschwitz, ein Flug über einen brodelnden Vulkan. Armut und Zerfall. Moderne und Fortschritt.

                  Es entsteht ein Kaleidoskop unserer Welt, in all ihrer faszinierenden Pracht, in all ihrer Fragilität. Die Welt des modernen Menschen, in seiner Isolation, seiner oftmals verlorenen Spiritualität und Naturverbundenheit. Am Anfang steht: Ein in Gedanken versunkener Affe.

                  Augen öffnend. Atem raubend.

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                  • "schöne" auswahl! =)

                    hab sofort an cache und außer atem gedacht..bloß warum bei letzterem nicht den eigentlichen tod mit dem großartigen dialog der vorausgeht ("du bist wirklich zumkotzen" http://www.youtube.com/watch?v=IyQvzUFbPo4 )

                    biutiful fehlt!

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                    • Waltz with Bashir - tief getroffen, hilflos zurückgelassen.

                      • der skandal nur ein skandal ist, da die presse den skandal wollte. die meisten konsumenten reagieren ausgesprochen gelassen auf den "skandal" und so wirds in ein paar tagen niemanden mehr interessieren und wer geht wegen sowas eher in nen film...? glaub nicht das von trier berechnend provozieren wollte, sondern, dass er ein wenig dämlich und unbeholfen und am ende trotzig ist.

                        laut spiegel sagt cannes: Sie [die äußerungen] stehen im Widerspruch zu den Idealen der Menschlichkeit und Großzügigkeit, die dieses Festival auszeichnen. !!!???!^^

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                        • mhh ich dachte da kommt noch irgendwas mit algorithmen..hätte mich über meine persönlichen top 20 gefreut! ^^ na da mach ich mir halt selbst die mühe und hofe das nicht zu viel unterm radar durchgeflogen ist! =)

                          für mich war 2010 eher ein kinojahr, das ich dafür genutzt habe klassiker vergangener tage nachzuholen, ein paar aktuelle hab ich natürlich auch gesehen, wenn ich die alle sortiere sieht das ungefähr so aus^^:

                          1. A Single Man
                          2. Das Summen der Insekten: Bericht einer Mumie
                          3. Moon
                          4. Bad Lieutenant - Cop ohne Gewissen
                          5. Inception
                          6. The Social Network
                          7. Anvil! Die Geschichte einer Freundschaft
                          8. Ein Prophet
                          9. Ajami
                          10. Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben
                          11. Zeit des Zorns
                          12. The Doors - When You're Strange
                          13. Shutter Island
                          14. Der fantastische Mr. Fox
                          15. Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen
                          16. Der Ghostwriter
                          17. Männer, die auf Ziegen starren
                          18. Rocksteady: The Roots of Reggae
                          19. Das Kabinett des Dr. Parnassus
                          20. Robin Hood
                          21. Avatar - Aufbruch nach Pandora
                          22. Up in the Air
                          23. Crazy Heart

                          fime die ich auf jeden fall nachholen muss:

                          Enter The Void
                          My Winnepeg
                          Exit Through The Gift Shop
                          A Serious Man
                          Drei
                          Somewhere
                          Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt
                          Carlos
                          In ihren Augen
                          Still Walking
                          Von Menschen und Göttern
                          Pianomania
                          Die Eroberung der inneren Freiheit
                          Bal - Honey
                          Bedways
                          Nostalgia de la luz
                          Neukölln Unlimited
                          Herbstgold
                          Toy Story 3
                          Im Oktober werden Wunder wahr
                          This Prison Where I Live
                          Nichts ist besser als gar nichts
                          The American
                          Leningrad - Der Mann, der singt
                          Fair Game
                          David Wants to Fly
                          Das letzte Schweigen
                          Inside Job
                          Aftershocks
                          Berlin: Hasenheide
                          Buried - Lebend begraben
                          Wir sitzen im Süden
                          Kinshasa Symphony
                          Die Fremde

                          ich hab noch einiges nachzuholen^^

                          • 9

                            A Single Man ist der erste Film von Modemacher und Fotograf Tom Ford. Dem Ruf seiner Profession entsprechend, ist der Film ist nahe an der ästhetischen Perfektion. Aber zum Glück ist sein Werk nicht nur ein visuelles Glanzstück, sondern auch inhaltlich absolut ansprechend. Tom Ford überrascht hier mit seiner tollen Drehbuchadaption des gleichnamigen Romans von Christopher Isherwood und einem untrüglichen Gespür für das Medium Film.

                            Colin Firth spielt George, einen College Professor, Anfang der 60er Jahre in den USA, der vor kurzem seinen Lebensgefährten verloren hat. In seiner Einsamkeit und Trauer entschließt er sich zum Selbstmord. In Rückblenden sehen wir Szenen aus der Partnerschaft, während George seinen letzten Tag erlebt.

                            Wenn der Zuschauer vielleicht anfangs irritiert ist, ob des makellosen Äußeren des Films, das so perfekt durchkomponiert, ja überspitzt ist, dass man sich in einem Werbespot einer Edelmarke in Filmspiellänge währt, so dämmert schnell, A Single Man ist viel mehr. Die Perfektion ist inhaltlich begründet. Und man erwischt sich bei dem einen oder anderen Vorurteil, das man völlig zu Unrecht hatte, denn, ja, es ist ein Film eines Modeschöpfers, wir sehen schöne Menschen, in einer perfekt ausgestatteten Umgebung, aber eines ist A Single Man nicht, oberflächlich.

                            Wir erleben den Tag mit den Augen eines Menschen, der in dem Bewusstsein auf die Welt blickt, alles ein letztes mal zu sehen. Sein Blick ist intensiv, es hat etwas meditatives, wie George immer wieder Wurzeln im Hier und Jetzt, in der Realität schlägt, seinen Blick, auf den kleinen Dingen des Lebens, ruhen lässt, plötzlich Farbe ins Spiel kommt und mit einem mal erscheint nicht mehr nur das Vergangene in seinen Erinnerungen, in seiner ganzen Farbenpracht, sondern auch der Gegenwart wird Leben eingehaucht.

                            Jenseits von all der Ästhetik, sind es vor allem die Schauspieler die den Film tragen und ihn davor bewahren ins Kitschige abzudriften. Der melancholische Colin Firth spielt überragend, ohne große Gesten, lässt er sein Gesicht sprechen, präzise wie der dargestellte Charakter. In jedem Fall hätte er den Schauspiel-Oscar gewinnen müssen, er ist um Längen besser als der bevorzugte Jeff Bridges in Crazy Heart, ja spielt in locker an die Wand, bei aller Sympathie für den Dude. Na Oscar halt.
                            Auch Julianne Moore spielt ihr Rolle als mittelalte Frau in den Midlife Crisis, gewohnt gut. Sie ist Georges beste Freundin, ebenfalls einsam und ohne echtes Vertrauen in die Zukunft.
                            Allein Jim (Matthew Goode), Georges verstorbener Freund und der grade zu puppenhafte Student Kenny (Nicholas Hoult) sind mir ein bisschen zu glatt, auch wenn die schauspielerische Leistung dann wieder tadellos ist und sogar das spanische Top Model Jon Kortajarena darf kurz glänzen.

                            Erfrischender Weise ist A Single Man zwar ein Film mit homosexuellen Hauptdarsteller, doch es geht hier nicht um Homosexualität, sondern um Menschen und Beziehungen. Die Problematik wird nur ein paar mal angedeutet, so darf George nicht auf die Beerdigung seines langjährigen Partners. Doch die Männer sind einfach schwul, und in dieser Irrelevanz der Homosexualität, liegt wohl die wahre Emanzipation.

                            A Single Man ist endlich mal wieder ein Film, der die visuellen Möglichkeiten, die das Kino von anderen Formen des Geschichtenerzählens unterscheidet, aufgreift und nutzt. Und ist in dieser Eigenschaft z.B. einem In the Mood for Love von Wong Kar Wai sehr ähnlich, nicht nur, dass sie sich teilweise die traurig-schöne Musik des selben Komponisten teilen, in beiden Filmen wäre wohl annähernd jedes Standbild für sich ein tolles Foto.

                            Aber natürlich wird der Film auch seine Gegner finden, wer Berührungsängste, zu mit kitschigen Streichern unterlegter Dramen, voll großer Emotionen, hat, wer sich vor durchkomponierten Bildern voller Melancholie scheut, der wird seine Schwierigkeiten haben, sollte sich aber nicht von einem Versuch abhalten lassen, denn eines ist A Single Man in jedem Fall, ein ganz besonderer Film.

                            • bin kein großer serien fan, war aber entzückt als ich >arrested development< eines nachts auf comedy central entdeckt habe - und bin es noch

                              das waren schlaflose samstagnächte, und zwar zu hause!^^

                              nicht zu toppen!

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                              • 7 .5

                                Bittersweet Life

                                Wieder ein Rache-Thriller aus Südkorea. Es beginnt ganz klassisch: Kim Sun-woo (Lee Byung-hun), helfende Hand eines Gangsterbosses, wird einem Loyalitätsstest unterzogen. Während der Abwesenheit seines Chefs, soll er dessen deutlich jüngere Geliebte im Auge behalten, die verdächtigt wird ein Affäre zu haben.
                                Der Verlauf des Filmes ist also gleich zu Beginn vorgezeichnet, auch wenn - und das muss man heutzutage hoch anrechnen - nicht alles nach Schema F verlaufen wird.
                                Kim Sun-woo handelt falsch, fatal im Milieu der organisierten Kriminalität und so kämpft unser Antiheld bald ums Überleben, um später einen fulminanten Rachefeldzug zu starten.

                                Ji-woon Kim versteht sein Handwerk, die filmische, visuelle Umsetzung ist hervorragend. Ihm gelingt ein Film Noir, der sich nicht verstecken muss. Seoul bietet die perfekte Kulisse, schwarze Edellimousinen gleiten gigantische Highways entlang, Wolkenkratzer leuchten im Dunkeln, bergen schwarz glänzende Penthäuser der Unterwelt, es regnet, ist kalt, ist roh.

                                Nur leider siegt in Bittersweet Life Form vor Inhalt. All die Kälte, das Coole, Abgeklärte, die durchchoreografierte, brutale Action verhindern es, dass ich mich auch emotional mit dem Hauptdarsteller auf die Reise begeben kann. Es bleibt eine irritierende Distanz und zeitweise überkommt einen das Gefühl einen Trashfilm zu sehen, der Kunstfilm sein möchte.

                                Der Inhalt ist belanglos, aber der Film lässt sich wunderbar viel Zeit, entwickelt sich langsam, nimmt nicht jedes Klischee mit. Die Dialoge: Flach, aber passend. Gewaltexzesse, die mit Streichern unterlegt sind, was mal wieder wunderbar funktioniert und dann eine Autofahrt bei Fahrstuhlmusik.

                                Mir ist das alles zu gekünstelt, zu gewollt brutal und cool. Und so scheitert der Film deutlich an seinem Vorbild Oldboy.
                                Erst im Epilog wird er wirklich stark. Sehen wir einen Blickwechsel zwischen ihm und ihr, der alles erklärt, sehen ihn, wie er mit kindlicher Freude mit seinem Spiegelbild, das über dem nächtlichen Seoul schwebt boxt und das Abbild seiner selbst tief genießt. Plötzlich wird er zum Menschen, die Identifizierung findet endlich statt.
                                Der Regisseur beweist hier großen Mut zum Risiko, in dem er sich die stärkste Szene bis zum Ende aufhebt, die rückwirkend fast alles erklärt.
                                Wie ein paar Töne zu Beginn einer Melodie, die keinen Sinn ergeben, doch dann kommt der vierte, fünfte, sechste Ton und aus der Tonfolge wird eine Melodie. Bei Bittersweet Life ist der Epilog, der alles entscheidende Ton, nur kommt er so spät, dass es mir nicht mehr gelingt, die Melodie zu erkennen.
                                Und so bleibt ein sehr gut gemachter Film, der schön anzusehen ist, dem es aber nicht gelingt, die durchschnittliche Story glaubwürdig erscheinen zu lassen.

                                Stumm geschaltet ein exzellenter Film, lässt man ihn jedoch zu Wort kommen, offenbart er seine Schwächen.

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                                • könnt ich immer und immer wieder angucken..mach ich auch^^

                                  auch wunderbar die videos von oyguvaltshappy,
                                  z.b. http://www.youtube.com/watch?v=bq1SNnDrmhA

                                  und genauso: crossingzen
                                  http://www.youtube.com/watch?v=qhYE4Nt5Aoc

                                  • wann kommt eig der fragebogen?

                                    • yuuuuhuuuuuuuuuUUUUUUU bin dabei :)

                                      danke jannis, danke!

                                      • ihr würdet glaub ich allen einen riesen gefallen tun, wenn ihr die empfehlungen der lieben wissenschaftler so oder so mitteilt!
                                        ich mein die entäuschung wird grenzenlos sein, wenn ich keine dvd bekomme^^, aber die info was es denn gewesen wäre könnte den schmerz etwas abmildern ;)

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                                        • 9

                                          Das Jahr 2027, die Menschheit steht vor dem Aussterben, der jüngste Mensch ist 18 Jahre alt, es werden keine Kinder mehr geboren.

                                          Unvermittelt wirft uns Alfonso Cuarón in das Geschehen: Eine Bombe explodiert im Zentrum Londons, von da an weichen wir dem Hauptdarsteller Clive Owen nicht mehr von der Seite, der wie ein Getriebener der stringenten Handlung folgt.

                                          Was zuerst auffällt ist ein wirklich beeindruckendes Setting. Es ist dieses nebeneinander von dezent futuristischer Technik und Chaos in Straßenzügen, die in Dreck und Unordnung versinken, wie im Mittelalter. Man muss in Alfonso Cuaróns Dystopie keine fliegenden Autos ertragen, im London der Zukunft fahren immer noch die roten Doppeldeckerbusse, nur die Werbung ist aufdringlicher. Es sind die (allerdings omnipräsenten) Kleinigkeiten an jeder Ecke, die uns in die Zukunft versetzen, während gleichzeitig ein Hund eine Herde Schafe durch die verfallene Straße treibt.

                                          Ein ungeheurer Sog geht von diesen Bildern aus, wie schon in 12 Monkeys. Es ist düster, trist und grau, wie es sich für einen Endzeitfilm gehört, und doch gleichzeitig irgendwie unglaublich farbenfroh und detailreich.

                                          Die Story ist schnell erzählt: Die Welt versinkt im Chaos, nur England widersteht der Anomie. Dem daraus resultierenden Einwanderungsproblem begegnet der totalitäre Polizeistaat mit äußerster Brutalität. Clive Owen spielt Theo, einen ehemaligen Aktivisten, der zum resignierten, teilnahmslosen Bürohengst verkommen ist. Durch seine Exfreundin Julian, gespielt von Julianne Moore, wird er in den Kampf zwischen radikalisierten Aktivisten und dem Staat hineingezogen. Die Untergrund-gruppierung, der Julianne angehört, versucht die wundersame Geburt eines Kindes für ihre Zwecke zu instrumentalisieren und das Neugeborene an der Polizei vorbei ins Ausland zu schmuggeln.

                                          Das klingt nach einer typischen Messiasgeschichte, wird jedoch durch eine herrliche Szene konterkariert, in der Clive Owen die junge Mutter (Claire-Hope Ashitey) fragt, wer denn der Vater sei. Sie antwortet mit dem Ernst der Überzeugung, sie sei Jungfrau, um dann dem verdutzten Owen unter schallendem Gelächter zu erklären, sie kenne die Namen der meisten Wichser nicht.

                                          Die Story mag zwar ein wenig mager wirken, viel wichtiger ist aber das große Ganze, der Kontext. Die grausame Umgebung, die unfassbare Brutalität, der soziale Verfall, der sich wie nebenbei im Hintergrund abspielt: Die Käfige, in die die Refugees auf offener Straße gesperrt werden. Die Ankunft im Flüchtlingslager, ein gigantisches Freiluftgehege, die an eine Ankunft im KZ erinnert. Von Tüchern verdeckte Leichen auf der Straße. Brennende Tierkadaver statt grasendem Vieh. Die bedrohliche Polizei als repressives Staatsorgan. Das beiläufige Töten von mit erhobenen Händen fliehenden Zivilisten durch die Armee.

                                          Das alles wirkt unglaublich realistisch, alles ist bis ins kleinste Detail stimmig, was durch den Einsatz einer Handkamera noch verstärkt wird. Da bleiben Blutspritzer schon mal ein paar Minuten auf der Kameralinse kleben, vor einer Wackelkameraoptik, braucht man aber keine zu Angst haben. Vielmehr wird ein fast schon dokumentarischer Charakter hergestellt, da die Kamera ständig an ihren Hauptdarstellern klebt, durch endlos lange Einstellungen gleitet, und nicht zuletzt dadurch, dass alles irgendwie schrecklich vertraut wirkt: Die Muslime, die Gewehre in die Luft haltend, „Allah-uh-Akbar“ rufend, einen Toten durch die Straße tragen, kennt man aus dem Gaza Streifen, das einschüchternde Auftreten der Polizei von heimischen Demonstrationen. Christliche Fundamentalisten, sehen in der Unfruchtbarkeit eine Strafe Gottes. Ein Bombenanschlag in London und am nächsten Tag am Ort des Attentats ein Blumenteppich und Kerzen.

                                          Wenn Theo bei seinem Cousin ist, der mit seiner Arc of the Arts, die Kunstschätze der Welt sammelt und sie gemeinsam unter Picassos Guernica dinieren, sagt dies alles über den Zustand ihrer Welt aus.

                                          All das macht Children of Men zu einem absoluten Muss. Von der erstklassigen Songsauswahl des Soundtracks über Clive Owen, als ständig saufenden, fatalistischen Antihelden, hier stimmt eigentlich alles.

                                          Man darf sich auf einen großartigen Michael Caine als alternden Hippie freuen, auf eine der besten Einstellungen der Filmgeschichte (Auto-Szene) und ein mitreißendes Set-Dressing. Anschauen!

                                          +++ http://freres-lumiere.tumblr.com/ +++

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