1939 - Religion & Politik im Zauberer von Oz

22.07.2013 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Zauberer von Oz
Warner
Zauberer von Oz
4
10
Das Musical Der Zauberer von Oz mit Judy Garland in der Rolle der kleinen Dorothy ist so viel mehr als eine naiv-kunterbunte Reise entlang der gelben Backsteinstraße.

Was haben wir für ein Glück, dass es ab und zu Produzenten gibt, denen ein Film tatsächlich am Herzen liegt. Die nicht davor zurückschrecken, späte Änderungen an einer Produktion vorzunehmen, auch wenn das vielleicht höhere Kosten und längere Dreharbeiten mit sich bringt. Mervyn LeRoy war so ein Produzent. Am Set zu Der Zauberer von Oz ersetzte er kurzerhand Richard Thorpe durch die Doppelspitze George Cukor und Victor Fleming.

Vom holprigen Start zum erfolgreichen Ende
Dabei war im Grunde Richard Thorpe schon die Zweitbesetzung nach Norman Taurog, der nach nur wenigen Testaufnahmen seinen Hut genommen hatte. Aber er tat dem Film nicht gut: der mittlerweile ziemlich weiblich aussehenden Judy Garland verpasste er eine blonde Perücke und dickes Babypuppen-Make-up, womit sie nach allem anderen als einem unschuldigen Mädchen vom Land aussah. George Cukor (David Copperfield) schlug einen anderen Weg ein, änderte Kostüme und die komplette Aufmachung der Figuren, drehte diverse Szenen ein zweites Mal und gab Judy Garland die Anweisung, sie solle einfach sie selbst sein. Victor Fleming (Vom Winde verweht) nahm unterdessen eher die zurückhaltende Rolle eines kreativen Beraters ein.

Und das neue Konzept ging tatsächlich auf. Der Zauberer von Oz entwickelte sich zu einem Musical mit Kultpotential. Auch Jahrzehnte später wollen Zuschauer aller möglichen Generationen noch die kleine Dorothy, den rostanfälligen Blechmann, die hirnlose Vogelscheuche und den feigen Löwen auf ihrer Reise entlang der gelben Backsteinstraße folgen. Die Songs Over the Rainbow und We’re off to see the Wizard haben ohne Frage Ohrwurmcharakter, und als im Frühjahr diesen Jahres die heftig umstrittene Margaret Thatcher starb, ging das Lied Ding-Dong! The Witch is Dead kurzzeitig auf Platz Eins der Charts im Vereinigten Königreich.

Reizthemen Religion und Politik
Ursprünglich war Der Zauberer von Oz aber kein Originalmanuskript, sondern ein Kinderbuch von L. Frank Baum. Und zwar eines, das nicht wenig Kritik einstecken musste. Die Erstausgabe mit den vielen bunten Illustrationen von William Wallace Denslow unterschied sich im Stil stark von anderen Kinderbüchern und viele Rezensenten fanden sogar, dass Werk sei für Kinder gänzlich ungeeignet. Einige bemängelten, es sei niveaulos und platt geschrieben, andere wiederum fanden es unchristlich. Keine Bibel weit und breit, dafür jede Menge Hexen und Protagonisten, deren gute Eigenschaften aus sich selbst heraus entstanden, statt durch eine höhere und gütige Macht.

Und dann war da noch die Interpretation des Buches als politische Allegorie. Hartnäckig hält sich die Theorie, dass L. Frank Baum den Zauberer von Oz als eine Allegorie auf die politische und wirtschaftliche Lage der Vereinigten Staaten am Ende des 19. Jahrhunderts schrieb. Lustigerweise war es kein Historiker, sondern der Geschichtslehrer Henry Littlefield, der gemeinsam mit seinen Schülern im Unterricht diese These entwickelte und im Magazin American Quarterly publizierte. Die amerikanische Bevölkerung werde von den Finanzzentren an der Ostküste und elitären Scharlatanen unterdrückt, die sich Politiker schimpften, so ließe sich die Theorie vielleicht reichlich verkürzt darstellen.

Die farbenfrohe Welt von Oz
Nun, ich für meinen Teil schaue Der Zauberer von Oz dann aber doch lieber ohne erzwungene Gedanken an reichlich zweifelhafte Interpretationsmöglichkeiten, und lasse mich einfach mitnehmen auf die Reise in die Smaragdstadt. Trotz der Jahre, die das Musical mittlerweile auf dem Buckel hat, funktioniert es noch immer als wunderbar mitreißende und liebevolle Unterhaltung. Um den Kontrast zwischen der staubigen Einöde von Kansas und dem fantastischen Oz deutlich zu machen, wechselten die Regisseure monochromatische Aufnahmen mit dem Dreistreifen-Technicolor-Verfahren ab, bei dem endlich ein größeres und natürlicheres Farbspektrum auf die Leinwand gebracht werden konnte als bei den vorherigen Methoden.

Ähnlich arbeitete auch Sam Raimi, der erst in diesem Jahr Die fantastische Welt von Oz mit James Franco in 3D in die Kinos brachte. Der Film erzählt die Vorgeschichte zum Originalfilm, hat mit den Büchern von L. Frank Baum jedoch nichts zu tun. Wer sich im grauen Alltagstrott aber nach der farbenfrohen Welt der Munchkins sehnt, wird anstelle eines rotierenden Häuschens oder eines Ballons vielleicht auch die beiden Filme als Vehikel akzeptieren, um zumindest gedanklich die Reise nach Oz wieder und wieder antreten zu können.

Was die Menschheit sonst noch im (Film)Jahr 1939 bewegte:

Drei Filmleute, die geboren sind
23. Februar 1939 – Peter Fonda, einer der Biker aus Easy Rider
07. April 1939 – Francis Ford Coppola, Regisseur von Apocalypse Now
25. Mai 1939 – Ian McKellen, Gandalf der Graue aus Der Hobbit: Eine unerwartete Reise

Drei Filmleute, die gestorben sind
24. September 1939 – Carl Laemmle, Produzent und Gründer der Universal Studios
30. November 1939 – Max Skladanowsky, Filmpionier und Regisseur von Das boxende Känguruh
12. Dezember 1939 – Douglas Fairbanks, Gauner aus Der Dieb von Bagdad

Die großen Festival- und Award-Sieger waren unter anderem
Oscar – Lebenskünstler von Frank Capra (Bester Film, Bester Regisseur)
Goldener Löwe – Abuna Messias von Goffredo Alessandrini
New York Film Critics Circle Award – Stürmische Höhen von William Wyler

Die drei kommerziell erfolgreichsten Filme
Vom Winde verweht von Victor Fleming und George Cukor
Jesse James – Mann ohne Gesetz von Henry King
Aufstand in Sidi Hakim von George Stevens

Drei wichtige Ereignisse der Filmwelt
14. April 1939 – John Steinbeck veröffentlicht in den USA seinen Roman The Grapes of Wrath, der später als Früchte des Zorns von John Ford verfilmt wird
24. August 1939 – Der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt wird beschlossen
01. September 1939 – Der Polenfeldzug der Nationalsozialisten löst den Zweiten Weltkrieg aus

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News