Hugo Cabret lockt seit einer Woche die deutschen Zuschauer in die Kinos. Beim Oscar könnte der neue Film von Martin Scorsese ordentlich abräumen, immerhin kann die Adaption eines Romans von Brian Selznick 11 Nominierungen für den Academy Award vorweisen. Doch die Oscars sagen bekanntlich nur selten etwas über Qualität aus. Deswegen möchte ich euch meine persönlichen sieben Gründe nennen, warum Hugo Cabret für Cineasten ein Pflichtfilm ist.
Grund 1 – Martin Scorsese mal ganz anders
Martin Scorsese dürfte vielen unter euch als Meister harter Gangsterfilme bekannt sein, doch in der Vergangenheit hat er sich immer wieder in verschiedenen Genres ausprobiert ((Zeit der Unschuld, Die letzte Versuchung Christi, Kundun). Hugo Cabret gehört zu diesen Ausflügen, handelt es sich doch um seinen ersten 3D-Film, der außerdem noch die ganze Familie ansprechen soll. Hier wird nicht geballert und Joe Pesci wütet auch nicht durch Paris und schlägt wahllos Leute zusammen. Die einen mögen deswegen kein Interesse an Hugo Cabret haben. Alle, die dem Wirken der Legende etwas aufgeschlossener gegenüberstehen, können in Hugo einen der persönlichsten Filme des Martin Scorsese entdecken.
Grund 2 – Abenteuer müssen nicht dumm sein
Unterfordernde Blockbuster überschwemmen unsere Kinos monatlich, doch das gute alte Abenteuer für die ganze Familie ist in Zeiten des Special Effects-Kinos fast schon zur Seltenheit geworden. Mit Hugo Cabret versucht sich Martin Scorsese an genau diesem, von seinem New Hollywood-Kumpel Steven Spielberg perfektionierten, Format und beweist einmal mehr sein Können. Hugo Cabret ist mit seinen rasanten Kamerafahrten und den skurrilen Charakteren ein unterhaltsamer Sonntagabendstreifen. Gleichzeitig unterschätzt Scorsese seine Zuschauer nicht und tischt ihnen nebenbei eine kurzweilige Auseinandersetzung mit der Filmgeschichte auf.
Grund 3 – 3D-Technik, die mehr als erträglich ist
Wo wir schon beim Abenteuer sind: Viele Fans waren sicherlich schockiert, als Martin Scorsese seine Vorliebe für die 3D-Technik bekannt machte. Doch in Hugo Cabret wirkt ihr Einsatz gerechtfertigt. So fliegen wir mit ihr gewissermaßen durch die Tunnels und verwinkelten Ecken des Pariser Bahnhofs, in dem Hugo (Asa Butterfield) lebt. Zudem lässt der Film die Attraktionen des frühen Stummfilms, seine fantastischen Sets und schockierenden Effekte (Stichwort: Zug) mit seiner dreidimensionalen Gestaltung verschmelzen, so dass wir im modernen Spektakel des 3D-Effekts einen Eindruck der Sensationen des frühen Kinos gewinnen.
Grund 4 – Ode an eine fast vergessene Zeit
Das frühe Kino ist es nämlich, für das sich Martin Scorsese in Hugo Cabret tatsächlich interessiert. Eine entscheidende Wendung möchte ich hier nicht verraten, doch in der zweiten Hälfte wandelt sich der Film von der Geschichte eines Jungen, der dem Geheimnis seines toten Vaters auf die Spur kommen will, zu einer liebevollen Auseinandersetzung mit den Ursprüngen des Films. Dabei belässt es Hugo Cabret nicht bei netten Oberflächlichkeiten, sondern skizziert die Entwicklung des Films seit Die Ankunft eines Zuges auf dem Bahnhof in La Ciotat, ohne belehrerisch zu langweilen.
Grund 5 – Ben Kingsley schlägt sie alle
Bei den Nebendarstellern hat Martin Scorsese seit jeher ein guten Händchen, so auch in Hugo Cabret. Als griesgrämiger Bahnhofsvorsteher glänzt Sacha Baron Cohen und beweist einmal mehr, dass nicht nur ein Borat in ihm steckt, sondern auch ein Schauspieler. In weiteren Rollen bekommen wir einen warmherzigen Christopher Lee, eine schüchterne Emily Mortimer und die unterschätzte Helen McCrory zu sehen. Der eigentliche Hauptdarsteller des Films ist jedoch Ben Kingsley, ein menschlicher Hort zerbrochener Träume, aber eben auch ein zwanghafter Träumer und ein bisschen Scorsese selbst. Ben Kingsley ist das Herz von Hugo Cabret und Grund genug, sich auf den Film einzulassen.
Grund 6 – Augenschmaus erster Klasse
Ein Martin Scorsese wäre kein Martin Scorsese, wenn der Film nicht auch ein audiovisuelles Vergnügen wäre. Genau das trifft natürlich auf Hugo Cabret zu, der nicht nur durch seine dreidimensionalen Plansequenzen überzeugt. Von der stark gesättigten Farbgestaltung (Das Blau! Das Rot!) über die flüssigen Szenenübergänge bis hin zum teils an Stummfilme gemahnenden Framing der Einstellungen, ist Hugo Cabret ein Festmahl für die Augen, das von einer gar nicht kitschigen Magie durchzogen ist.
Grund 7 – Fest für Cineasten
Die vorangegangenen Punkte haben es schon angedeutet. Abseits all der formalen Sehenswürdigkeiten ist Hugo Cabret die Liebeserklärung eines Filmemachers an sein Medium. Martin Scorsese hat sich mit seinen Dokumentationen immer wieder als leidenschaftlicher Cineast bewiesen und mit der World Cinema Foundation seinen Beitrag zur Bewahrung des Filmerbes geliefert. Hugo Cabret darf nun als persönlicher Liebesbrief ans Kino gelesen werden, aber auch als Beschäftigung mit dem eigenen Dasein als Filmemacher, welchem er mit den diversen obsessiven Buch-, Film- und Uhrenliebhabern in seinem neuen Film Rechnung trägt. Wie der ebenfalls in Paris angesiedelte Ratatouille aus dem Hause Pixar, ist Hugo Cabret ein Film über das Dasein des Künstlers als Schöpfer von Sinneseindrücken, als Entdecker neuer (Geschmacks-)Welten und ein ungemein schöner noch dazu.