Dass Breaking Bad eine der einflussreichsten Serien des 21. Jahrhunderts ist, merkt man allein daran, wie oft versucht wurde, das Konzept auf weitere Projekte zu übertragen. Überall tun sich plötzlich unscheinbare Männer als kriminelle Masterminds hervor. Schon 2016 schickte Bastian Pastewka die Krimiserie Morgen hör ich auf ins Rennen um den besten Breaking Bad-Klon. Ein Jahr später folgte Netflix mit Ozark.
Jetzt startet bei dem Streaming-Dienst die nächste Serie, die in ihren Grundzügen einige Gemeinsamkeiten mit dem nervenaufreibenden Werdegang von Walter White vorzuweisen hat: Achtsam Morden. Die Verfilmung der fünfteiligen Romanreihe von Karsten Dusse verwandelt einen Anwalt und Familienvater in einen gefürchteten Gangster, der sich zwischen Bandenkrieg und Kitaproblemen ein Imperium aufbaut.
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In Achtsam Morden wandelt Tom Schilling auf den Spuren von Walter White und Breaking Bad
Achtsam morden? Auf den ersten Blick wirkt Björn Diemel (Tom Schilling), als könne er niemals einer Fliege etwas zu Leide tun. Als Anwalt verteidigt er höchstens Menschen, die eine Leiche im Keller haben. Und mit der Achtsamkeit, nun ja, mit der hat es Björn auch nicht so. Weder für seine Frau Katharina (Emily Cox) noch für seine Tochter Emily (Pamuk Pilavci) findet er Zeit. Ständig ist er mit dem Kopf bei der Arbeit.
Hier könnt ihr den Trailer zu Achtsam Morden schauen:
Der Besuch eines Achtsamkeitsseminars soll Björn helfen, viele kleine Zeitinseln für die wirklich wichtigen Dinge in seinem Leben zu schaffen. Doch sein wichtigster Mandant, der Mafiaboss Dragan Sergowicz (Sascha Alexander Gersak), lässt ihm keine Ruhe. Denn der sitzt richtig in der Patsche: Dragan hat einen Mord auf offener Straße begangen, der von einem ganzen Schulbus und unzähligen Smartphones bezeugt wurde.
Björn lässt sich allerdings nicht aus der Ruhe bringen. Wie er es im Achtsamkeitsseminar gelernt hat, fokussiert er sich auf eine Sache. Der Rest kann warten und wird zu späterer Stunde mit der gleichen Achtsamkeit geklärt – auch wenn das bedeutet, dass Björn selbst zum Mörder werden muss, um die richtig komplizierten Probleme aus der Welt zu schaffen. Sorgfältig räumt er fortan in der Berliner Unterwelt auf.
Idealer Netflix-Binge: Tom Schillings Aufstieg zum achtsamen Mafiaboss ist sehr kurzweilig
Die Dynamik erinnert sehr an Breaking Bad und Co.: Ein Gesetzesbruch, der die Dinge vereinfachen soll, fördert drei neue Ärgernisse zutage, die nur von weiteren Verbrechen gelöst werden können. Denn schon nach Mord Nr. 1 kleben Björn nicht nur die Polizei, sondern diverse Clan-Mitglieder und andere Mafia-Familien an den Fersen. Eine Lüge folgt auf die nächste, sodass Björn heulend am Boden liegen müsste.
Genau das ist aber der Clou: Dank seiner Achtsamkeitsmethoden ist Björn erstaunlich gut im kriminellen Pläneschmieden. So gut sogar, dass er die Leute, die eigentlich in die zwielichtigen Machenschaften verwickelt sind, problemlos ausspielen kann. Aus jeder Sackgasse findet er irgendwie einen Ausweg, was die Serie sehr kurzweilig macht. Es passiert immer das Schlimmste und dennoch kommt Björn weiter.
In Björn Diemel schlummert nicht nur ein tüchtiger Walter White, sondern auch ein Tom Hagen, der brillante Anwalt aus den Der Pate-Filmen, der in jeder Krisensituation einen kühlen Kopf bewahrt und strategisch effiziente Entscheidungen trifft. Getragen wird das alles von einem minimal gelangweilten, äußerst lässigem Voice-over, das Björn Diemel zusätzlich in die Richtung einer anderen ikonischen Filmfigur rückt.
Nicht nur Walter White: Tom Schilling erzählt Achtsam Morden wie Edward Norton Fight Club
Wenn Schilling aus dem Off die Geschichte erzählt, klingt er nicht selten so wie Edward Norton in Fight Club. Wieder ist da ein Mann, der anfangs etwas orientierungslos durchs Leben schwankt und nach einer Bedeutung sucht, ehe er diese in problematischen Freizeitaktivitäten findet. Schnell ist klar: Diesem Protagonisten sollten wir deutlich skeptischer begegnen, als es seine hypnotisierende Erzählstimme zulässt.
Björn Diemel reiht sich somit in eine lange Tradition von Antihelden, die seit Tony Soprano die Serienlandschaft bevölkern. Der große Unterschied: Achtsam Morden wagt sich bisher noch nicht dahin, wo es wirklich wehtut. Egal, wie oft Björns Familie als Story-Motor fungiert, am Ende gefällt sich die Serie zu sehr in ihren erzählerischen Gimmicks, konkret Björns rasantem Aufstieg zum unwahrscheinlichen Mafiaboss.
Irgendwann erschöpft sich jedoch die Sensationslust, ob er dieses Mal einen Schritt zu weit gegangen ist und nicht achtsam genug war. Womit Die Sopranos wirklich in den Bann zieht, sind die zwischenmenschlichen Abgründe, die sich unter der abgeklärten Genre-Oberfläche offenbaren. Die acht halbstündigen Episoden von Achtsam Morden haben diesen Knackpunkt noch nicht erreicht – es fehlt schlicht an Gewicht.
Das ist das Knifflige an der Prämisse: Achtsam Morden lebt von seiner Vorwärtsbewegung. Björn ist der bessere Gangster als alle anderen Gangster zusammen, selbst wenn ihm einige Parteien langsam auf die Schliche kommen. Das flotte Erzähltempo geht allerdings mit den Konsequenzen seines Handelns sehr gnädig ins Gericht. Obwohl die Fallhöhe theoretisch riesig ist, fühlt es sich (noch) nicht so an.
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Die komplette 1. Staffel von Achtsam Morden steht seit dem 31. Oktober 2024 bei Netflix als Stream zur Verfügung. Dieser Seriencheck wurde auf Grundlage aller acht Episoden geschrieben. Ob die verbleibenden vier Teile der Vorlage in weiteren Staffeln verfilmt werden, steht zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht fest.