Danny Boyle - Das Wagnis des Erlebens

20.10.2016 - 09:00 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Danny Boyle auf dem Set von Steve JobsUniversal Pictures
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Zum 60. Geburtstag von Danny Boyle blicken wir auf das Werk des Regisseurs, der Film als hypnotisches Erleben versteht und seine persönliche Inspiration eines Tages in der Apokalypse Francis Ford Coppolas fand.

Psychotisch müsse man sein, sagt Danny Boyle, im Wunsche, als Filmemacher etwas zu tun.

Menschen mögen immer den einfachen Weg. Man muss sehr konsequent sein, um etwas Unübliches, etwas Anderes zu erreichen.

Die Worte  des Regisseurs konzentrieren auf den Punkt seine filmische Identität, die etwas Raues, Ungeschliffenes, aber eben dadurch auch Waghaftes und Faszinierendes in sich birgt. Getrieben im Versuch, Einzigartiges zu erschaffen, errichtete er im Laufe seiner Kinokarriere, die 1994 mit dem schwarzhumorigen Kriminalfilm Shallow Grave begann, eine Filmografie, die nicht immer geliebt wird, aber als die überzeugte Vision eines Regisseurs globale Anerkennung findet.

Heute feiert der Brite Danny Boyle seinen 60. Geburtstag. Aus Anlass seines Ehrentags ein Blick auf das Werk eines Wagemutigen, der das moderne Kino mit seinem ganz eigenen Stil bereicherte.

Boyle und die Waghalsigkeit der Apokalypse

Wie sehr seine filmische Idee dabei von einem Film geprägt wurde, liegt auf der Hand. Als Junge in der britischen Provinz sah Danny Boyle, wie er im Buch The Film That Changed My Life von Robert K. Elder verrät, Francis Ford Coppolas Kriegsepos Apocalypse Now, das ihn nach eigener Aussage fundamental traf:

Er [Apocalypse Now] weidete mein Gehirn aus, komplett. Ich war ein begeisterungsfähiger 21-jähriger Junge aus der Pampa. Mein Gehirn wurde bis dahin nicht gefüttert und gewässert mit großer Kultur [...]. Es wurde gereinigt von der Kraft des Kinos. Und das ist es, warum Kino, trotz allem, was wir zu tun versuchen, das Medium junger Männer bleibt, wirklich, im Hinblick auf das Publikum.
Apocalypse Now

Coppola triumphierte nicht nur bei dem Versuch, den Wahnsinn kriegerischer Auswüchse festzuhalten, sondern jenen Pionier-geistigen Wahnsinn zu verteidigen, der einer der Wahrheit verschriebenen Kunstform zwingend imminent sein muss. In der Dokumentation zum Film von 1979, Hearts of Darkness, beschwor Coppola am Ende die Notwendigkeit eines von Regeln befreiten Kinos, das dann zur wirklichen Kunstform emporsteigt, wenn der "Professionalismus" für immer zerstört würde und "irgendein fettes Mädchen in Ohio" mit der kleinen Kamera ihres Vaters zum "neuen Mozart" avanciert.

Danny Boyle ist das britische Echo dieses rebellischen Geistes. Das führt nicht immer zu wohlkomponierten Ergebnissen nach Lehrbuch, jedoch zu etwas ungleich Aufregenderem: aufrichtig inszenierten, frischen Ideen, die seiner ganz eigenen Überzeugung entspringen und ihren Platz in der Filmhistorie verdienen.

Der Kampf gegen das Unmögliche

Aus der Konsequenz dieses Wagnisses entspringt ein sich durch sein Werk ziehendes Thema der Überwindung, wie er im Zuge eines Interviews zu seinem Psychothriller Trance (2013) selbst feststellte  und so auch als filmästhetisches Überschreiten immer wieder proklamierter Regeln betrachtet werden kann:

Es gibt ein Thema, das sie [meine Filme] alle durchzieht - ich habe es gerade erst erkannt. Sie handeln alle von jemandem, der unmöglichen Widerständen gegenübersteht und sie überwindet.
Sunshine

Im Sci-Fi-Abenteuer Sunshine (2007) etwa begibt sich eine Raumschiff-Crew auf die Reise zur sterbenden Sonne, um ihr unter Zuhilfenahme von Nuklearsprengköpfen neues Leben einzuhauchen - Weltenrettung im All als ultimative Herausforderung. Unvergessen auch der Überlebenskampf in 127 Hours (2010), in dem sich die abenteuerlustige Hauptfigur Aron (James Franco) Schritt für Schritt neu überwinden muss bis hin zur Selbstamputation seines Arms, um der Todesfalle eines auf ihn gestürzten Felsens zu entgehen. Boyles bisher größter Triumph, finanziell wie künstlerisch, stellte sich als nicht weniger als ein modernes Märchen heraus, das einen Jungen (Dev Patel) aus den indischen Slums alle Unwegsamkeiten überwinden ließ. Der Held in Slumdog Millionär, der zu Beginn noch hoffnungsvoll in einen Haufen menschlicher Entleerungen springt, um an ein Autogramm seines Idols zu kommen, wird selbst eines.

Boyles Energie des hypnotischen Erlebens

Zum ersten Mal beschloss Danny Boyle mit der indischen Odyssee 2008 dann auch das London Film Festival des British Film Institute (BFI). Mit 127 Hours und seinem jüngsten Film, dem Biopic Steve Jobs (2015), sollte ihm diese Ehre noch zwei weitere Male zuteil werden, was seine Wichtigkeit und Stellung im britischen Kino unterstreicht. Nicht wenige sahen in seinem ersten großen Erfolg, dem Drogenrausch-Drama Trainspotting aus dem Jahre 1996, schließlich eine Wiederbelebung des britischen Kinos, das unter dem US-amerikanisches Einfluss in den 80ern eine erhebliche Krise durchlitt.

Slumdog Millionär

Danny Boyle, der Filmemacher vom Lande, wusste nämlich schon früh in seiner Karriere die Sprache des Kinos zur Ausformulierung seiner Vision zu sprechen. Musik, Ton und Bild sind bei ihm untrennbare Gefährten, die er zu einem wilden, ungezähmten Mix vermengt und auf die Leinwand, und sein Publikum, loslässt. Die audiovisuelle Auflösung dominiert dabei klar den expositorischen Dialog.

Das rettet selbst einen sich im dritten Akt selbst zerlegenden Film à la Sunshine vor dem Vergessen in den Weiten des Alls. Danny Boyles Regie in all ihrer optischen Brillanz, von Rasanz geprägter Montagetechnik und dem allgegenwärtigen Einsatz von Musik ist der Versuch, uns nicht etwa nur eine Geschichte zu erzählen, sondern sie zu erleben. Er selbst spricht  von "Energie" und dem Versuch, die Zuschauer zu "hypnotisieren".

Wenn er, wie in Slumdog Millionär, das Leben seiner Hauptfigur Jamal anhand einer Rückblende-Montage, bestehend aus Fragmenten zurückgespulter Szenen, noch einmal Revue passieren lässt, fasst er in Sekunden die Dimension und emotionale Wucht eines jungen Lebens auf wundersame Weise zusammen. Zu welch betörendem Rausch sich eine dramatische Todesszene aufbauen lässt, beweist er in Sunshine, als er eines der Crewmitglieder dem Feuersturm der Sonne opfert, um einen dramatischen Höhepunkt zu setzen, den die entfesselt aufspielende Musik John Murphys anpeitscht und Danny Boyle in die vibrierenden Bilderwelten virtuos einbettet.

Dies sind triumphale Momente eines eigensinnigen Filmemachers, der zugibt  und empfiehlt, seine Filmfinanziers anzulügen, um seiner Idee die Finanzierung zu sichern. Hoffen wir, dass er uns im gerade in Arbeit befindlichen Trainspotting 2 erneut zu hypnotisieren weiß. Wag es noch einmal, Mr. Boyle!

Alles Gute zum 60. Geburtstag!

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