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Die Liebe in den Zeiten des Schmetterlings

10.02.2015 - 03:07 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Javier De Pietro und Ailín Salas in "Butterfly"
Berlinale
Javier De Pietro und Ailín Salas in "Butterfly"
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Neben meinem ersten Film von Kon Ichikawa, sah ich heute vor allem lateinamerikanische Filme. Es gab sich rächen wollende Kabukischauspieler, identitätssuchende Jugendliche, zu erschlüsselnde Familienbeziehungen und unglaublich sympathische Realitätsspielereien.

Die Berlinalezeit ist ganz sicher nicht die gesündeste. Zu nasskaltem Wetter, wenig Schlaf und (positivem) Stress gesellt sich bei mir leider auch eine ungesunde Ernährung. Nahrungsaufnahme passiert viel zu oft einfach nur nebenbei und zumeist auf die Schnelle. Auf dem Weg von einem Kino zum anderen. An einem Imbiss. Oder während man an seinen Notizen für den nächsten Blogeintrag arbeitet. Manchmal müssen auch einfach nur ein paar Snacks oder Süssigkeiten herhalten. Wenn ich vielleicht etwas mehr Zeit habe, setzte ich mich gerne auch mal in ein Bistro oder Restaurant, aber das kommt eher selten vor. Morgens hat man nie die Zeit für ein ausgiebiges und ausgewogenes Frühstück. Aber der Drang nach neuen Filmen ist zu groß, sodaß ich für die paar Tage mal darüber hinweg sehe. Und auch heute standen wieder tolle Filmerlebnisse an.

Die Forumsretrospektive

Nicht nur in der Berlinale-Sparte Retrospektive werden ältere Filme gezeigt. Jedes Jahr gibt im Rahmen des Forums auch immer eine kleine Werkschau zu einem noch vielleicht etwas unbekannterem Regisseur oder die Aufführung von kaum gezeigten Filmen, die oftmals aufwendig restauriert wurden. In den letzten Jahren wurden hier in erster Linie japanische Regisseure wie Keisuke Kinoshita, Noboru Nakamura, Yasujirô Shimazu oder Minoru Shibuya präsentiert. Die für mich prägenste und schönste dieser Forumsretrospektiven beschäftigte sich 2005 mit dem Lebenswerk von Im Kwon-taek. Er erhielt in dem Jahr einen Goldenen Ehrenbären auf der Berlinale. Meine schönste Erinnerung ist die an eine 2,5-stündige, kleine Diskussionsrunde (vielleicht mit etwa 30 Leuten) in der der unglaublich liebenswürdige, schüchterne und zurückhaltender Südkoreaner für persönliche sowie fachliche Fragen offen stand. Ich hätte dem Mann einfach noch ewig zuhören können. Seine Filme beschäftigten sich vor allem mit der Gesellschaft und der Geschichte seiner Heimat Korea. Eine Beispiele seien hier kurz erwähnt: Sibaji - Die Leihmutter, Jokbo, Gilsodom - Zerrissenes Land, Chukje - Festival oder Chihwaseon - Im Rausch der Farben und der Liebe. Von seinen 102 Filmen finden sich in der Moviepilot-Datenbank leider nur drei.

Ich möchte noch weiter vom Thema abschweifen. Die parallel als Kontrastprogramm zur Berlinale stattfindende „Woche der Kritik“ zeigt diesen Mittwoch um 20:30 Uhr im Hackesche Höfe Kino den neuesten Film von Im Kwon-taek, Revivre (Hwajang). Leider habe ich erst zu spät davon erfahren und hätte, um den Film sehen zu können, zwei meiner Berlinale-Tickets verfallen lassen müssen. Filme, die ich allerdings ebenso gerne schauen möchte. Naja, man kann leider nie alles haben, was man sich wünscht. Dazu ist das Filmprogramm der Berlinale natürlich auch viel zu umfangreich.

Kon Ichikawa: Ein kleiner Einblick in sein Schaffen

Dieses Jahr wirft die Berlinale einen kleinen Blick auf Kon Ichikawa. Gezeigt werden drei seiner Filme, die bisher eher selten zu sehen waren. Eine sehr gute Gelegenheit für mich, mich einmal mit dem Japaner zu beschäftigen, da ich bisher tatsächlich noch nichts von ihm kenne. Den Auftakt machte heute An Actor’s Revenge (Yukinojo Henge) aus dem Jahre 1963.

Mein erster Kontakt mit Ichikawa ist ein durchaus interessanter. Es geht um die Rache des Schauspielers Yukinojo an den Verursachern des Selbstmordes seiner Eltern. Aber ich glaube, dass mir andere Filme von ihm erheblich besser gefallen werden. Der Japaner drehte wohl die verschiedensten Genres und seine Filmographie lässt sich überhaupt nicht in eine Schublade stecken. An Actor’s Revenge ist sein zweiter Film, der in der Zeit der Shogune und Samurais spielt. Leider kann ich mit dieser Thematik oft wenig anfangen. Allerdings wirkt An Actor’s Revenge keinesfalls wie ein Kurosawa- oder Mizoguchi-Film. Er erscheint viel moderner, da er ein künstlich geschaffenes Gefühl eines abgefilmten Kabukitheaters vermittelt. Das Set ist oftmals sehr reduziert. Ichikawa versteckt diese Künstlichkeit nicht, vielmehr nutzt er sie zu seinen Gunsten. Dieser überhöhte Stil und die Dialoglastigkeit machen ein Verständnis nicht immer einfach, machen aber einen wirklich guten Film aus, der mich eigentlich weniger interessierenden Handlung. Ich kann An Actor’s Revenge intellektuell und künstlerisch wertschätzen, wirklich lieben kann ich den Film jedoch nicht. Das liegt wohl vor allem in der Tatsache begründet, dass mir der von Kazuo Hasegawa verkörperte Yukinojo und seine Motivation leider bis zum Ende fremd bleibt. An Actor’s Revenge ist übrigens Hasegawas 300. Film; schon irgendwie verrückt.

Auch wenn mir dieser Film vielleicht etwas weniger gefallen hat, so freue ich mich doch sehr auf die anderen zwei Ichikawa-Filme im Laufe der nächsten Tage. Für den restlichen, heutigen Tag brachte mich meine filmische Weltreise zunächst wieder zurück ins lateinamerikanische Kino. Ich sah Filme aus Brasilien, Chile und Argentinien.

Unkompliziertes Coming-Out

Das Spielfilmdebüt von Filipe Matzembacher und Marcio Reolon ist laut eigener Aussage autobiographisch motiviert. Sie verpackten ihre Lebensgeschichten in ein gemeinsames Drehbuch. Aber so recht verstehe ich nicht die Notwendigkeit von Seashore (Beira-Mar). Auch wenn mir die Bilder, die allgemeine Stimmung von Freundschaft und Zärtlichkeit sowie die atmosphärische Dichte sehr gefallen haben, ist Seashore nicht mehr als ein netter Coming-Out-Film, wie man ihn schon zu oft gesehen hat. Man bekommt eine Reise zweier Freunde zu sehen: Martin muss eine mysteriöse Familienangelegenheit regeln und der insgeheim schwule Tomaz begleitet ihn. Sie feiern, treffen Leute und vertreiben sich die Zeit mit Müßiggang. Man kann an dieser Stelle sicherlich schon erahnen wie der Film endet. Während mich Martin und seine Familiengeschichte kaum interessierte, ist Tomaz’ Charakter viel sympathischer und berührender. Seashore tut niemandem weh und ist stellenweise wirklich warmherzig und liebevoll. Wenn man mal keine Lust auf hochemotionale Probleme hat, ist Seashore genau das Richtige.

Familiäre Dreiecksbeziehung am Strand

Mar ist defenitiv kein Film für Menschen, die eine klare Handlung brauchen. Im Grunde beobachtet man innerhalb der 60 Minuten Laufzeit die Figuren während eines Strandurlaubes. Das klingt zunächst banal und im Grunde sind auch größtenteils nur Banalitäten des Alltäglichen eingefangen. Aber darüber hinaus beleuchtet der Film auf ruhige, aber stets konzentrierte Weise die Beziehungen der Hauptfigur Martin sowohl zu seiner Freundin als auch zu seiner Mutter. Wer sich auf so etwas einlassen kann, bekommt einen sehr interessanten Film zu sehen. Und die Personenkonstellation gibt in der Tat mehr her als man zunächst vermuten möchte. Die feinen Töne zwischen den Dialogzeilen geben Aufschluss zu Gefühlslagen und Stimmungen. Die Umgebung der Figuren reflektiert dabei auf symbolische Art ihre Gefühlswelt. Die Kamera beobachtet in den meisten Szenen das Geschehen aus einem festen Blickwinkel und in vielen Momenten ist lediglich ein Ausschnitt zu sehen. Oder die Kamera zeigt nichts davon und man hört lediglich die Personen. Der Film wurde innerhalb von 8 Tagen realisiert. Die Regisseurin verbrachte quasi mit einer kleinen Gruppe von Leuten einen Urlaub in Argentinien, während dem dieser Film realisiert wurde. Es gab kein wirkliches Drehbuch. Nur die Charaktere wurde vorher festgelegt. Der Rest kam spontan und zufällig. Sogar eine Naturkatastrophe mit einigen Toten während des Drehs fand Eingang in den Film. Insgesamt hat Mar 5000 Dollar gekostet und wurde komplett ohne Förderung realisiert. Die Crew und die Darsteller arbeiteten ohne Entlohnung. Man hatte nur eine kleine Digitalkamera zur Verfügung mit der sämtliche Szenen gedreht wurden - egal ob Tag- oder Nachtaufnahmen. Die chilenische Regisseurin Dominga Sotomayor Castillo lieferte trotz der Umstände einen starken Film ab.

Was wäre, wenn...

Der argentinische Regisseur Marco Berger ist für mich der gegenwärtige, ungekrönte König des schwulen Filmes. Er gewann bei der Berlinale 2011 mit seinem Film Ausente den Teddy Award für den besten schwul-lesbischen Film. Auch mich konnten sowohl Ausente als auch der Vorgängerfilm Plan B absolut überzeugen. Mit seinem neuesten Film Butterfly (Mariposa) verlässt er etwas seine typischen Pfade und arbeitete erstmals nun auch mit weiblichen Darstellern. Gänzlich unter den Tisch fallen lässt er sein Kernthema jedoch nicht.

Butterfly basiert auf einer wundervollen Grundidee. Der Film erzählt zwei Geschichten mit den gleichen Figuren, die jedoch verschiedene Verläufe nehmen. Der Schlag eines Schmetterlings entscheidet darüber, ob eine junge Mutter ihr Kind aussetzt oder weiter großziehen möchte. Beide Geschichten werden als parallel ablaufende Möglichkeiten gezeigt. Dabei arbeitet Berger mit viel Liebe und Witz. Spielerisch wechselt er von einer zur anderen Geschichte und zeigt Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Man kann sicherlich über die Theorie der Wahrscheinlichkeiten streiten oder ob dies oder jenes wirklich sinnvoll ist, aber Butterfly überzeugt einfach aufgrund seiner Leichtfüßigkeit, seines Charmes und den wundervollen Darstellern. Möglicherweise ist Bergers unterhaltsames und freizügiges Drama ein heißer Kandidat für den Panorama-Publikumspreis. Zu wünschen wäre es dem Film.

Morgen gehe ich mal wieder in einen Wettbewerbsfilm; diesmal einen deutschen. Außerdem werde ich von der diesjährigen Technicolor-Retrospektive berichten.

Tageszusammenfassung


Meine bisherigen Blogeinträge zur Berlinale:


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