Anders als die in der Regel freitagabends ausgestrahlten Gefühlseventfilme verspricht der so genannte Filmmittwoch der ARD nicht schon im Vorfeld Schändung von Körper und Geist. Statt die Gebührenzahler mit grenzdebilen Geschlechterkomödien und luftig-leichter Vorabendidiotie für unmündig zu erklären, ist die Filmmittwochsreihe im Ersten nämlich zumindest theoretisch ungleich ambitionierter programmiert. Vielversprechende Regiedebüts haben da genauso ihren Platz wie in Themenabende eingebundene Relevanzfilme, oft vordergründig brisant zwar, aber ja wenigstens schon mal diskutabel. Zuletzt etwa koppelte der Sender den sehenswerten Mobbing mit Tobias Moretti an eine Sonderausgabe von Anne Will oder problematisierte mit Im Netz und entsprechenden Zusatzsendungen die Datensicherheit im Internet. Das von der Zentropa Entertainments Berlin im Auftrag des WDR produzierte Familiendrama Du bist dran feierte seine Premiere sogar auf dem Filmfest München, wo es Ende Juni in der Sektion „Neues Deutsches Fernsehen” zu sehen war.
Lars Eidinger spielt den 39jährigen Familienvater Peter, der sich als Hausmann um Kinder und Alltag kümmert, während seine Ehefrau Elisabeth (Ursina Lardi) wegen humanitärer Hilfseinsätze oft wochenlang im Ausland arbeiten muss. Peter hat sich diese Rolle nicht ausgesucht, sie hat sich so ergeben: Nach dem abgebrochenen Industriedesignstudium fand der Möbelrestaurateur keine Arbeit. Als seine Mutter (Jutta Wachowiak) plötzlich verstirbt und das ohnehin schwierige Verhältnis zum Vater (Horst Westphal) dadurch besonders auf die Probe gestellt wird, verdichten sich bei Peter langjährige Anzeichen von Unzufriedenheit zu einer handfesten Lebenskrise. Ein berufliches Angebot seiner Frau, für das die Familie zwei Jahre lang in Nairobi leben müsste, bringt Peters Gefühlsfass endgültig zum Überlaufen. Unter den fortwährenden Streitereien leiden dabei vor allem Sohn Robby (Liam van Enschot) und Tochter Laura (Johanna Scharf), die sich merklich eingeschüchtert zeigen vom aggressiven Gebaren ihres Vaters. „Meine Frau kümmert sich um die Dritte Welt und ich kümmere ich mich um die Kinder, Prost!“.
Es ist tatsächlich einzig Lars Eidinger zu verdanken, dass einem Du bist dran mit seinem ausdauernd nörgelnden Protagonisten nicht gehörig auf die Nerven geht. Denn eine andere Perspektive als die des Mannes in der Krise gönnt sich der Film nicht, er bleibt immer dicht an Peter und seiner mitunter überzogen wirkenden Verzweiflung. Dabei sind es die Figuren um ihn herum, denen das Drehbuch entscheidende Sätze in die Münder legt: „Mach dich nicht kleiner als du bist“, rät ihm etwa Elisabeth, während Freund Martin (Ronald Kukulies) ihn nach einem weiteren Tobsuchtsanfall berechtigterweise fragt, wofür sich Peter denn eigentlich bestrafe. Ihm fehle es an Respekt und Anerkennung, sagt er seiner Frau, und rückt die Enttäuschung über mangelnde Selbstverwirklichung hinter die Last seiner familiären Verantwortung: Peter verzweifelt an der „neuen“ Rollenverteilung, doch sowohl er als ein stückweit auch der Film selbst verhandeln leider nicht die Frage nach der vermeintlichen Selbstverständlichkeit des traditionellen Modells. Dafür ist diese Figur aber vielleicht auch schlicht zu selbstsüchtig, und das wiederum sagt ja auch schon einiges.
Du bist dran ist teils sensationell gespielt, die Familienszenen fast hyperrealistisch nüchtern und trist inszeniert. Erwähnenswert ist auch, wie der Film sich nicht in bloßes Erzählen versteift, sondern die Alltagsnöte zunächst ohne sonderliche Zuspitzungen darstellt. Doch Regisseurin und Drehbuchautorin Sylke Enders, die 2004 mit Kroko für den Europäischen Filmpreis nominiert wurde, vertraut der Natürlichkeit ihres Entwurfs offenbar nur unzureichend. Sie kanalisiert die Familienstreitereien auf der Dialogebene mit Ameisenmetaphern (sic) und formuliert ihre Figuren zu stark aus, um dem Zuschauer die Deutungsarbeit möglichst abzunehmen. Denkbar unsubtil spiegelt Enders die sich über drei Generationen erstreckenden Vater-Sohn-Konflikte, recht demonstrativ nutzt sie Regieeinfälle für dramatische Effekte, von denen lediglich der überraschend spärliche Einsatz der Großaufnahmen interessante Akzente setzt. Die denkbar unsubtile Setzkasteninszenierung spielt sich leider besonders dann in den Vordergrund, wenn Zurückhaltung gefragt ist.
So zieht sich etwa der 15jährige Robby nach dem Tod der Großmutter in den Garten zurück und mäht stur den Rasen, und weil der Film diesem aussagekräftigen Bild nicht ausreichend Vertrauen schenkt, muss die Szene aus der Distanz noch kommentiert werden: „Er trauert, auf seine Weise“. Überhaupt scheinen die beiden Kinderfiguren innerhalb des Familiendramas eher eine funktionalisierte Rolle einzunehmen. So filmt Robby die elterlichen Streitszenarien augenscheinlich nur deshalb heimlich mit einer Videokamera, damit Vater Peter sich die Aufnahmen später in einem stillen Moment anschauen und zur finalen Selbsterkenntnis gelangen kann. „Ich weiß, ich bin ein mieser Vater“, läutert es dann. Durch solcherlei Drehbuchrascheln und emotionale Plattitüden wird bedauerlicherweise selbst das ambitionierteste Fernsehmelodram vereitelt. Auch wenn Du bist dran, vor allem in Anbetracht dessen, was öffentlich-rechtliche Fernsehfilme dem Gebührenzahler für gewöhnlich zuzumuten bereit sind, dann unterm Strich doch eher ein Fall fürs halbvolle Glas ist.
Du bist dran. Mittwoch, 28. August um 20:15 Uhr in der ARD.
Als Mr. Vincent Vega schlawinert sich Rajko Burchardt seit Jahren durch die virtuelle Filmlandschaft. Wenn er nicht gerade auf moviepilot seine Filmecke pflegt, bloggt Rajko unter anderem für die 5 Filmfreunde und sammelt Filmkritiken auf From Beyond. Die Spielwiese des Bayerischen Rundfunks nannte ihn “einen der bekanntesten Entertainment-Blogger Deutschlands”.