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Ein Abgesang auf die dunklen Kaschemmen

07.02.2016 - 20:23 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
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Senator
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Ihr mögt Videotheken? Ich auch. Leider sind sie vom Aussterben bedroht. Hier ein melancholischer Abgesang.

Während ich mich gestern so durch die Bibliothek eines Streaminganbieters klicke, muss ich plötzlich an folgende Geschichte denken, die ich irgendwo gelesen habe: Xavier Dolan, dieses Wunderkind, das in so jungen Jahren schon so unfassbar tolle Filme gemacht hat, ist empört über Netflix. Der Streamingdienst hat seinen Ausnahmefilm »Mommy«, der fast komplett im ungewöhnlichen 1:1-Format gedreht wurde, einfach auf das Breitbildformat 1.85:1 gestreckt. Der Frankokanadier hat sich natürlich etwas dabei gedacht und beschwert sich mit einem offenen Brief. Recht hat er, so was geht gar nicht. »Zum Teufel mit diesen Netflixidioten«, schießt es mir durch den Kopf und unvermittelt ergreift mich eine Melancholie angesichts einer längst vergessenen Zeit, der Prä-Streamingdienst-Ära...

Da bestand das Filmausleihen aus mehr als nur einem Fingerklick und Mausscrollen durch digitale Archive in möglicherweise totaler sozialer Abschottung. War mehr Ritual, wie auch der Gang ins Kino immer noch eines ist. Man ging in die Videothek, und zwar im realen Leben. Aber nicht in diese durchgestylten discountähnlichen Hallen, die zeitweise überall aus dem Boden schossen. Sondern in richtige Videotheken, jene immer etwas staubig-düsteren, nicht zu großen und verwinkelten Orte. Ein Mekka für Filmfreunde und zugleich Bahnhof-Zoo für Filmjunks. Für mich schon wichtig seit ich so hoch war wie eine Türklinke. Das strenge »Ab 18«-Schild interessiert eben nicht, wenn der Vater mit der Besitzerin befreundet ist. Endlose Ewigkeiten habe ich zwischen den prallvollen Regalen verbracht. Egal ob`s erst VHS und später DVDs bzw. Bluerays waren, hier gab es noch was zum Anfassen.

Haptisch vs. digital
Das ist nicht mehr selbstverständlich in Zeiten, in denen das Medium immer weiter ausstirbt und von Einsen und Nullen im undurchsichtigen Clouddschungel abgelöst wird. Mit Büchern und Musik läuft es ja ähnlich. Wobei ich das gedruckte Wort schon alleine aus Traditionsbewusstsein für langlebiger halte – der klassische Buchhandel konnte laut Zeit online sogar entgegen aller Erwartungen zumindest etwas aufatmen . Klar, die kleinen Buchläden kämpfen auch gegen ihre Thalia’schen und Meyerschen Windmühlen, und da sind noch die E-Books und andere digitale Formate, die es dem klassischen Buch nicht leichter machen. Aber das gedruckte Wort wird weiterleben. Ähnlich ist es im Audiobereich: Es gab Tapes, dann CDs, dann auch hier alles im Umbruch begriffen, Spotify & Co lassen grüßen. Und trotzdem geht es weiter und sogar noch back to the roots, Großvater Schallplatte feiert Renaissance. Eine, wie mir scheint, unverwüstliche Basis. Weit weniger optimistisch bin ich beim Film, vielleicht zu Unrecht, ich weiß es nicht. Alte Formate wurden hier schneller denn je von neuen abgelöst und beinahe ausgerottet, und jetzt schießen verschiedene Streamingdienste wie Pilze aus dem Boden und machen mit ihrem immer größer werdenden Angebot an Filmen in unterschiedlichen Sprachen, mit Untertiteln, in HD etc. das physische Medium hinfällig.

Dunkle Kaschemmen 4ever!
Kein Wunder also, dass man den Videotheken regelrecht beim Sterben zusehen kann. Da gehen massenweise Bildungseinrichtungen zu Grunde, Schulen des Sehens, wenn man so will. »Chiko«-Regisseur Özgür Yildirim hat bis kurz vor seinem Erfolgsfilm noch in einer Videothek gearbeitet.

Quentin Tarantino erwähnt in jedem zweiten Interview, dass er sein Filmwissen u.a. den Jahren als Angestellter in einer Videothek verdankt. Sicher nicht nur aus Filmen selbst, sondern auch durch die typischen Gespräche zwischen den Regalen. Und die Folge ist, dass der Autodidakt so locker flockig eine Zitierwut zelebrieren kann, dass selbst dem größten Filmnerd die Ohren schlackern. Wie wäre es also, Videotheken zu subventionieren, damit sich die Eliten der audiovisuellen Kunst auch weiterhin in Eigenregie dort bilden können?

Videotheken im Film
Und dann würden vielleicht auch weitere Filme entstehen, in denen Videotheken eine wichtige Rolle spielen, der Film ist schließlich gerne mal ein selbstreferentielles Medium. Spontan fällt mir da Nicolas Winding Refn’s »Bleeder« ein, in dem Filmnerd Lenny (Mads Mikkelsen) in einer Videothek arbeitet, in deren Keller er und seine Freunde sich bei privaten Filmabenden aus der Wirklichkeit stehlen. Oder der wunderbar schräge »Abgedreht« von Michel Gondry.

Darin hütet Mike (Mos Def) die von Konkurrenz und städtischen Umstrukturierungsmaßnahmen bedrohte Videothek von Elroy Fletcher (Danny Glover). Dummerweise löscht Mikes verrückter Kumpel Jerry (Jack Black) ausversehentlich elektromagnetisch aufgeladen alle Videokassetten. Mit minimalen Mitteln und super kreativen Ideen drehen die Beiden kurzerhand die Filme nach, um die Wünsche der Kundschaft zufrieden zu stellen. Ihre »geschwedeten« Versionen von Klassikern wie »Ghostbusters«, »Der König der Löwen« und »RoboCop« kommen so gut an, dass die Kunden später sogar selbst in ihren Lieblingsfilmen mitspielen. »Abgedreht« ist eine wahre Liebeserklärung an klassische Videotheken und das Filmemachen an sich, eine Hymne auf Leidenschaft und Kreativität.

Alles wird gut, aber anders...
Der Zahn der Zeit lässt sich bekanntermaßen nicht aufhalten. Die Videotheken werden es immer schwerer haben und bald ganz verschwinden. Nicht zuletzt, weil die Katze sich hier selbst in den Schwanz beißt: Ich selbst bin bei Netflix, weil die einzige gescheite Videothek weit und breit dicht gemacht hat, wozu Streamingdienste sicher einen großen Beitrag geleistet haben. Und so weiter. Aber so ist das, Schwarzmalerei bringt nun auch nichts. Schließlich haben Netflix und Co auch ihre unbestreitbaren Vorteile und handeln entsprechend der technischen Entwicklung. Immerhin wird kaum noch auf Zelluloid gedreht, sondern meist digital, was ebenfalls Vorteile mit sich bringt. Denn sind wir mal ehrlich: Filme wie Sebastian Schippers zweieinhalb-Stunden-One-Take-Trip »Victoria« wäre ohne handliche Digitalkameratechnik nicht möglich gewesen, und auch die sympathischen Independentproduktionen der German Mumblecorer  wären schon aus finanziellen Gründen undenkbar. Nur, liebe Streamingdienste, berücksichtigt verdammt noch mal die ästhetischen Vorgaben eines Werkes!

Und trotzdem ist es traurig, dass die Kulturtechnik »Film in Videothek ausleihen« bald wohl komplett von der Bildfläche verschwunden sein wird. Egal wie diese Geschichte endet, ich werde meinen Kindern auf jeden Fall erklären, was es mit den klobigen schwarzen Kassetten und den runden Scheiben auf sich hat...

Ach ja: Fallen euch weitere Filme ein, in denen Videotheken eine wichtige Rolle spielen?


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