Sich nach langen Jahren von einer Serie zu verabschieden, ist nie einfach. Erst recht nicht, wenn es eine richtig gute Serie war. Diese Wochen feiern gleich 3 der für mich besten Serien der Gegenwart ihr Finale: Succession, Barry und Ted Lasso. Wobei "feiern" vielleicht das falsche Wort ist, weil mich die Serienenden in einen Zwiespalt stürzen:
Einerseits will ich natürlich wissen, wie es zu Ende geht und bin froh, dass sie richtig beendet (statt abrupt abgesetzt) wurden. Andererseits sträubt sich alles in mir dagegen, die letzte Episode zu schauen, weil es dann wirklich und wahrhaftig vorbei ist. Wie kann man so unglaublich grausam sein, alle in der gleichen Woche enden zu lassen?
Geht es euch ähnlich? Dann willkommen, liebe Trauergemeinde: Ich halte eine Grabrede auf drei der besten Serien unserer Zeit. Und frage mich: Wie fülle ich dieses Loch in meinem Streaming-Herzen?
Serien-Abschied 1: Succession, du lehrtest mich, die Schlechtigkeit der Welt zu genießen
Succession und ich hatten einen holprigen Start. Gleich zu Beginn sah ich die erste Folge ... und verstand nicht, warum ich mich für eine Familie durchweg schlechter Menschen, die auf die Nachfolge eines Medien-Imperiums schielte, begeistern sollte. Doch das Lob auf die Roys verhallte in meinem Umfeld nicht und so wagte ich einen zweiten Anlauf. Zu meiner Überraschung lohnte sich das so richtig: Spätestens in Staffel 2 wurde auch für mich die Hassliebe unter den Familienmitgliedern zum Genuss, als das Ränkespiel der Intrigen Game of Thrones-ähnliche Züge annahm.
Beim Schauen schwankte ich stets zwischen Abscheu über die macht- und geldgierigen oberen 1 Prozent und lechzte zugleich nach den kurzen Momenten von Verbundenheit zwischen geschwisterlichen Feinden. Beim Kampf um die Aufmerksamkeit des dominanten Vaters Logan Roy (Brian Cox) wurde mit kleinsten Gesten und Entscheidungen TV-Geschichte geschrieben. So schnell wie die Roys ihre Verbündeten wechselten, flogen meine Sympathien mal Kendall (Jeremy Strong), mal Shiv (Sarah Snook) und dann wieder Roman (Kieran Culkin) zu.
Staffel 4 ließ den Kampf um die titelgebende Thronfolge des Familien-Imperiums von Succession endgültig eskalieren und wenn man glaubte, die absolut beste Folge gesehen zu haben, setzte sie Serie eine Woche später das nächste Highlight obendrauf. Jesse Armstrongs Serie war ganz großes Charakter-Kino auf dem kleinen Bildschirm. Das Aufeinanderprallen solcher Egos werde ich wohl nie wieder erleben.
Serien-Abschied 2: Barry ließ mich erkennen, dass Lachen und Schock nah beieinander liegen
Barry wiederum bewies mir altem Comedy-Muffel, dass Humor und Dramatik sich nicht ausschließen müssen. Seit Breaking Bad hatte ich das irgendwie vergessen, aber der Auftragskiller, der Schauspieler werden wollte, brachte das Breaking Bad-Gefühl zurück.
Dank Barry entdeckte ich Schauspieler Bill Hader völlig neu für mich und staunte über die Kreativität der Serie, die absurde Situationen mit grandiosen Kamera-Spielereien und dramatischen Charakter-Wendungen kombinierte. Da konnte ich mich in einem Moment auf dem Sofa vor Lachen kringeln und im nächsten fassungslos schockiert meinen Bildschirm anstarren. Diese Genre-Mischung gelingt Serien äußerst selten.
Ob Barry nun gegen kleine Mädchen kämpfte, auf der Theaterbühne seine Seele offenlegte oder ohne mit der Wimper zu zucken zur Waffe griff: Für mich war er der neue Dexter. Eine irgendwie ambivalent-geliebte Figur, bei der ich mir nie ganz sicher war, ob ich sie nun mögen darf oder nicht. Dass jede 30-Minuten-Folge so zur Achterbahnfahrt der Emotionen wurde, war eine wahre Kunst.
Serien-Abschied 3: Wenn alles furchtbar war, gab es immer noch Ted Lasso
Wenn Succession mich in den Abgrund blicken ließ und Barry sich in Ambivalenz badete, gab es zur Wochenmitte zum Glück immer noch Ted Lasso: Die Geschichte über einen amerikanischen Football-Trainer, der die Leitung einer englischen Fußballmannschaft übernimmt, brachte so viel Herz mit, dass ich wieder beginnen konnte an das Gute im Menschen zu glauben. Und das sage ich, obwohl ich mit dem Sport an sich nichts am Hut habe.
Als Inbegriff der Feelgood-Serie mit Substanz verstand es Ted Lasso (Jason Sudeikis), in seinen Mitmenschen vom grummeliger Alt-Fußballer Roy Kent (Brett Goldstein) bis zur verbitterten Chefin Rebecca (Hannah Waddingham) oder Fußballer-Freundin Keeley (Juno Temple) die Stärken herauszukitzeln, die nur an der Oberfläche nach Klischees aussahen.
Ted Lasso ging als Vorbild voran, wenn es darum ging, mit Nettigkeit die Welt zu verändern. Das ist selten geworden. Sein ausgleichender Einfluss auf meinen Serien-Gefühlshaushalt wird schmerzlich fehlen.
- Alle 3 Staffeln von Ted Lasso könnt ihr bei AppleTV+ streamen
Abschied von den besten aktuellen Serien – und jetzt?
Dass all diese drei Serien-Lieblinge auf einen Schlag enden, hängt sicherlich damit zusammen, dass in den USA am 31. Mai die Deadline endet, sich für eine Emmy-Nominierung zu qualifizieren. Trotzdem ist dieser grausam getimte dreifache Abschied für Serien-Fans wie mich hart zu verkraften, weil ich nun vor einem dreimal so tiefen Loch stehe, als es schon das Finale nur einer dieser genialen Erzählungen gerissen hätte.
So richtig Lust, jetzt einfach die nächste Serie anzufangen, habe ich nicht. Auch weil ich mich nach der so frischen Wunde des Abschieds frage, wer an diese hohe Messlatte der Begeisterung heranreichen soll. Das ist ja, als würde ich mein verloren gegangenes Kind einfach mit dem nächsten ersetzen!
Natürlich besteht die Möglichkeit, die drei Serien in Zukunft noch einmal aufleben zu lassen und sie einfach erneut zu schauen (was garantiert passieren wird). Doch am Ende bleibt dieses erste Kennenlernen und Begleiten durch unerwartete Charakter-Höhen und Tiefen ein einmaliges Erlebnis.
Shiv, Roman, Ken, Barry und Ted: Ihr werdet ein Loch in meinem Streaming-Leben hinterlassen, das die nächstbeste lediglich "gute" Serie nicht einfach füllen kann. Aber richtige Freund:innen verdienen es, vermisst zu werden, weil sie mich alle auf ihre eigene Weise bereichert haben. Selbst wenn der Abschied gerade vor allem eines ist: schmerzhaft.
Podcast: Die 20 besten Serienstarts im Juni bei Netflix, Amazon und mehr
Ihr befindet euch ebenfalls in einem Loch und braucht dringend frische Streaming-Tipps? Die spannendsten Serien, die ihr im Juni bei Netflix, Prime Video, Disney+ und mehr streamen könnt, findet ihr hier in der Monats-Vorschau:
An dieser Stelle findest du einen externen Inhalt, der den Artikel ergänzt. Du kannst ihn dir mit einem Klick anzeigen lassen und wieder ausblenden.
Externe Inhalte zulassenMehr dazu in unserer Datenschutzerklärung
Wir haben die langen Startlisten der Streamingdienste geprüft und stellen euch die 20 großen Highlights des Monats im Moviepilot-Podcast Streamgestöber vor. Mit dabei sind Netflix’ große Sci-Fi-Rückkehr Black Mirror nach 4 Jahren, Henry Cavills letzter Auftritt als The Witcher, Tom Holland mit gespaltener Persönlichkeit in The Crowded Room und der schreiend komische Fluch der Karibik-Ersatz Our Flag Means Death.
*Bei den Links zum Angebot von Amazon handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diese Links erhalten wir eine Provision.