Leonardo DiCaprio und das Ringen um den Oscar

24.02.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Ganz unverkrampft auf Oscar-Kurs: Leonardo DiCaprio in The Revenant – Der Rückkehrer.
20th Century Fox
Ganz unverkrampft auf Oscar-Kurs: Leonardo DiCaprio in The Revenant – Der Rückkehrer.
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Seit Jahren trägt die bierernst verhandelte Frage, wann Leonardo DiCaprio "endlich" einen Oscar gewinnt, parodistische Züge. Hat ein Schauspieler den wichtigsten Filmpreis in Hollywood allein deshalb verdient, weil er beharrlich um ihn bettelt?

Schon wenige Tage nach der Verleihung der Golden Globes bereiste Leonardo DiCaprio wieder die Welt, um seinen Film The Revenant - Der Rückkehrer zu bewerben. Sogar Markus Lanz durfte ihn im vergangenen Januar zum Einzelgespräch  treffen, und wie man es noch von Wetten, dass..? kennt, war der Moderator ganz aus dem Häuschen ob dieses besonderen Anlasses. Es dauerte nicht lang, da stellte er dem Star bereits die wichtigste aller Fragen, ob nämlich die Dreharbeiten tatsächlich so hart gewesen seien, wie es The Revenant vermuten lasse. Natürlich antwortete DiCaprio mit einer souverän gespielten Überraschung, als hörte er die Frage das erste Mal. Viele verstünden nicht, meinte er, dass das ein einzigartiger Film sei. Noch nie habe er an so etwas mitgearbeitet, habe ihn eine Rolle derart herausgefordert. DiCaprio begann zu erzählen, was über The Revenant zu erzählen offenbar hochbedeutsam ist: Das monatelange Proben in freier Wildnis und ihrer brutalen Kälte, die so schönen wie auch unbedingt gefährlichen Originalschauplätze, der aufopferungsvolle Drang, zur Rolle selbst werden zu müssen. Einfach beeindruckend. Markus Lanz sagt, es ist der radikalste und kraftvollste Film aus Hollywood, den er jemals gesehen hat.

Publikumswirksames Narrativ

Leonardo DiCaprio gab und gibt unzählige Interviews, in denen es vorwiegend um die logistischen und nervlichen Schwierigkeiten geht, The Revenant überhaupt zu drehen. Auch Regisseur Alejandro González Iñárritu vermittelte seine künstlerische Selbstaufgabe bei jeder Gelegenheit, und es habe gar Crew-Mitglieder gegeben, die deshalb ihre Arbeit niederlegten. Die Werbekampagne des Films ist der bisherige Höhepunkt einer langjährigen Diskussion um den bei zurückliegenden Oscarverleihungen vermeintlich übergangenen Leonardo DiCaprio. Aus der zunächst nur branchenintern verhandelten Frage, wann dieser seinen Oscar gewinnen würde, bildete sich Ende der 1990er-Jahre ein publikumswirksames Narrativ, das vom bloßen Hollywood-Treppenwitz zur scheinbar absoluten Selbstverständlichkeit geronnen ist: Es geht nicht darum, ob DiCaprio einen Oscar verdient, sondern lediglich, wann er ihn "endlich" bekommt. Ungeachtet der vielen männlichen Kollegen in Hollywood, die für diesen Preis bislang noch nicht einmal vorgeschlagen wurden (Donald Sutherland, Alfred Molina, Jeffrey Wright, Steve Buscemi, Jim Carrey…), scheint der Gewinn des fünffach nominierten DiCaprio schlicht überfällig.

Das hat natürlich etwas mit der persönlichen Oscargeschichte des gegenwärtig vielleicht einzigen wirklichen Box-Office-Stars zu tun. Seine erste Nominierung erhielt er im Alter von 19 Jahren für die Rolle eines geistig behinderten Jungen in Gilbert Grape - Irgendwo in Iowa, verlor aber gegen den überfälligen Tommy Lee Jones. So jung und schon bei den Academy Awards – da kann einen durchaus der Ehrgeiz packen. Als der Name Leonardo DiCaprio 1998 nicht unter den insgesamt 13 Nominierungen genannt wurde, die sein Welterfolg Titanic verbuchen konnte, blieb er der Verleihung fern. Ob er das tatsächlich aus Kränkung tat, wie einst allerorts berichtet, lässt sich nicht überprüfen, doch zweifellos nahm die Mär vom übergangenen Schauspieler DiCaprio damit ihren Anfang: Einen Golden Globe, aber keinen Oscar gewann er für Aviator; einen zweiten Globe und wieder keinen Oscar für The Wolf of Wall Street; dazwischen erfolgte die etwas halbherzige Nominierung für Blood Diamond statt Departed - Unter Feinden, der 2007 als bester Film ausgezeichnet wurde. Eine sonderlich traurige Bilanz ist das eigentlich nicht, verglichen etwa mit den acht bzw. sieben Nominierungen, die Peter O'Toole und Richard Burton zeit ihres Lebens vergeblich auf einen Oscar hoffen ließen.

Eine fehlerlose Karriere

In die Zwickmühle des eigenen Oscar-Narrativs hat sich Leonardo DiCaprio gewissermaßen selbst manövriert. Sorgfältig betreibt er eine Karrierepolitik, die auf Prestigeproduktionen großer Studios und deren kostspielige Oscarkampagnen ausgerichtet ist. Nach Möglichkeit geht jeder seiner Filme im Spätherbst oder Winter eines Jahres, also pünktlich zur awards season an den Start, und ist das einmal nicht der Fall, wie beim einst verschobenen Der große Gatsby, sorgt es für verwunderte Presse. Bei der Wahl seiner Stoffe ist DiCaprio mehr als jeder andere Hollywoodstar darum bemüht, kommerzielle Trends zu setzen, statt ihnen hinterher zu hängen, an Sequels und Franchises jedenfalls hat er kein Interesse . Er schulterte den originären und achtfach oscarnominierten Blockbuster Inception, verhalf Quentin Tarantino und Martin Scorsese zu deren bisher größten Kassenerfolgen, vereinte mit dem eher ruppigen Genrefilm The Departed gleichermaßen ein breites Publikum wie die Academy hinter sich. Auch in der filmpreiskompatibelsten aller Kategorien, dem biographischen Drama, versuchte er es als Howard Hughes, Jordan Belfort und J. Edgar Hoover. Die Karriere von Leonardo DiCaprio ist fehlerlos. Und das Ringen um den Oscar nur ihre logische Konsequenz.

Eher irrelevant scheinen hingegen die eigentlichen schauspielerischen Fähigkeiten des 41-jährigen bei der Frage, wann Leo – wie ihn Boulevardmedien gern nennen – "endlich" den "Goldjungen" gewinnt. Geführt wird die Diskussion auf einer längst reichlich abstrakten, zumindest aber jeglicher Kunstdiskurse enthobenen Ebene, die die Oscars und ihren Rattenschwanz als Sportevent begreift. Vielleicht ist das sogar die sinnvollste Art der Beschäftigung mit ihnen, wenn es doch immerhin gut zu einem Film wie The Revenant passt, der zuvorderst über den Kontext seiner Entstehung und nicht über sich selbst beworben wird. Er möchte uns vermitteln, dass das, was man da auf einem schmerzverzerrten und schlussendlich sogar die vierte Wand durchbrechenden Gesicht sieht, nicht gespielt, sondern wahrhaftig ist. Sollte sich der große Traum vom Oscar für Leonardo DiCaprio tatsächlich mithilfe des alten Method-Acting-Missverständnisses erfüllen (Höllenqualen erleiden, statt Höllenqualen zu spielen), wäre es einerseits schade um die bisherige Arbeit des zweifellos hochtalentierten Schauspielers. Andererseits aber eine selbsterfüllende Prophezeiung, die das ganze alberne Oscar-Narrativ seiner Karriere adäquat abschließt.

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