Tim Burton ist einer der einflussreichsten Regisseure unserer Zeit. Seit über vier Dekaden inspirieren seine düster-verträumten (Schauer-)Märchen die Filmwelt. Mit Batman drehte er 1989 sogar einen der Wegbereiter des modernen Blockbuster-Kinos, während seine makaberen wie liebevoll erzählten Geschichten über Außenseiter:innen wie Edward mit den Scherenhänden nicht mehr aus der Filmwelt wegzudenken sind.
Zuletzt verblasste das Profil des einst so markanten Filmemachers. Obwohl Burton mit dem größten finanziellen Erfolg seiner Karriere, dem Milliarden-Hit Alice im Wunderland, in die 2010er Jahre startete, stand am Ende der Dekade seine größte Blockbuster-Frustration. Die Dreharbeiten von Dumbo bezeichnete Burton später als "großen grauenhaften Zirkus" und flüchtete sich in die Arme von Netflix.
Beetlejuice Beetlejuice: Tim Burton feiert sein Kino-Comeback mit dem Wednesday-Hype von Netflix im Rücken
Die Netflix-Begegnung ist ein zweischneidiges Schwert: Auf der einen Seite avancierte die von Burton als Regisseur und Produzent begleitete Fantasy-Serie Wednesday zum meistgesehenen englischsprachigen Original des Streamers und legte den Grundstein für die Zusammenarbeit mit Jenna Ortega. Auf der anderen Seite bestätigte sich der Eindruck, dass sich Burton nur noch im Schatten seiner selbst bewegt.
Hier könnt ihr den Trailer zu Beetlejuice Beetlejuice schauen:
Ohne Wednesday wäre Burtons neuer Kinofilm, Beetlejuice Beetlejuice, vermutlich nicht möglich gewesen. Nicht zuletzt war das Studio Warner Bros. bereit, das seit Jahren in der Produktionshölle schmorende Projekt im April 2019 endgültig zu begraben, ehe der Wednesday-Hype frischen Wind in die Sache brachte. Doch markiert die lang erwartete Fortsetzung tatsächlich Burtons Rückkehr zu alter Stärke?
Auf den ersten Blick ist Beetlejuice Beetlejuice ein Triumph. Nach seiner Venedig-Premiere legte der Film einen starken Kinostart hin und hat inzwischen fast das Dreifache seines Budgets eingespielt. Kritik und Publikum sind angetan: Ein Legacyquel, das den Charme des Originals mit neuen Gesichtern – allen voran Wednesday-Star Jenna Ortega – vereint und Burton aus dem Autopilot-Modus befreit.
Tim Burton ist zurück ... oder doch nicht? Beetlejuice Beetlejuice lässt mich ein bisschen gespalten zurück
Ich hatte auch sehr viel Spaß mit Beetlejuice Beetlejuice und war vor allem vom riesigen Durcheinander im Jenseits begeistert, wo Burton seine Stärken ausspielen kann. Hier entstehen unendlich faszinierende Bilderwelten. Falltüren vor der Passkontrolle, die direkt in die Hölle führen, Notausgänge, die in Wüstenwelten mit Sandwürmern schleudern, und natürlich der gut gelaunte Soul Train auf dem Weg ins ewige Nirvana.
Sobald der Film ans Tageslicht wechselt, bewegt er sich aber erschreckend nahe an der austauschbaren Ästhetik von Wednesday, die Burtons Stilwillen auf seine oberflächlichen Reize reduziert und kaum einen Moment schafft, der mich wirklich in die Welt saugt. Aber genau das will ich. Ich will mich in spiralförmigen Labyrinthen verlieren, die dermaßen dicht inszeniert sind, dass es keinen Ausweg aus dem (Alb-)Traum gibt.
Bei Beetlejuice Beetlejuice habe ich mich viel zu oft ertappt, wie ich in die Leere von Netflix-Bildern geblickt und mich gefragt habe, ob das der Preis für Burtons Leinwand-Comeback ist. Schön, dass er wieder da ist, aber warum fühlt sich das nicht mehr so voll an? 17 Jahre sind seit Burtons letztem Meisterwerk, Sweeney Todd, vergangen und ich bekomme langsam Angst, dass es für immer sein letztes bleiben wird.
Ich wünsche mir so sehr einen neuen Tim Burton-Film, der mich wieder komplett in den Bann zieht
Burton muss niemandem mehr etwas beweisen. Ich habe nicht den Anspruch, dass jeder seiner Filme ein Meisterwerk wird. Was ist überhaupt ein Meisterwerk? Kein Regisseur dreht ein Meisterwerk nach dem anderen. Und selbst wenn wir bei dem Begriff bleiben, hat Burton genügend davon gedreht, um sich für immer seinen Platz im Hollywood-Olymp zu sichern. Trotzdem gehe ich nicht mehr so erfüllt aus dem Kino.
Das ist es, was mich so melancholisch stimmt. Dass einer meiner Lieblingsregisseure in der Zeit, in der ich am meisten von ihm im Kino erlebe, nicht mehr auf der Höhe seiner Kunst ist. Hat Burton wirklich schon alles gesagt? Fehlen ihm die Ressourcen? Kann er mit den digitalen Bildern nicht so gut erzählen wie früher mit den analogen? Oder klammere ich mich an die nostalgische Version eines Burton-Films, die nie existierte?
Kino verändert sich, Menschen, die Kino machen, verändern sich und ich verändere mich auch. Eigentlich ein Wunder, dass es dazwischen so viele Überschneidungen gibt, die mich von Gothams Schluchten bis in die Abgründe einer Schokoladenfabrik tragen. Schlecht fand ich in den vergangenen Jahren keinen Burton. Ich würde sogar Dumbo jederzeit verteidigen, obwohl das Burton vermutlich selbst niemals tun würde.
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Was mich nicht loslässt, ist das Gefühl, jedes Mal einen Film verpasst zu haben, in dem ich noch tiefer hätte versinken können, anstelle über Ähnlichkeiten zur Farbkorrektur bei Netflix nachzudenken oder die Frage, ob Burton wirklich immer nur dasselbe erzählt. Denn eigentlich ist er so gut, dass man das gar nicht merkt und stundenlang durch Schneeflocken tanzt und in blühenden Feldern voller Narzissen liegt.
Beetlejuice Beetlejuice läuft seit dem 12. September 2024 in den deutschen Kinos.