Tolkien vs. Jackson - Die zwei Türme

26.08.2014 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
I wonder if we'll ever be put into songs or tales.
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Zum dritten Mal nimmt uns Community-Mitglied Agent Smith93 mit nach Mittelerde und vergleicht dieses Mal Tolkiens Romanvorlage mit dem fertigen Film: Der Herr der Ringe – Die zwei Türme.

Hallo und herzlich Willkommen, meine lieben Elben, Zwerge und was auch immer. :) Heute geht es weiter mit meinem großen “Herr der Ringe”-Projekt. Für alle, die die beiden vorherigen Texte (hier und hier) nicht gelesen haben, oder vielleicht auch nicht mehr so gut in Erinnerung haben, eine kurze Erklärung: Mir lag es schon sehr lange am Herzen, eine Corner über meine drei absoluten Lieblingsfilme ever zu verfassen. Dieser Gedanke war schon während ich meine Auseinandersetzung mit Rambo schrieb vorhanden. Doch fühlte ich mich zu diesem Zeitpunkt irgendwie noch nicht bereit dafür, und entschied mich daher zuerst für ein anderes Herzensprojekt. Der große Corner-Aufruf vor einiger Zeit rüttelte mich jedoch wieder wach, und so machte ich mich ans Werk. Ursprünglich war das Konzept ein anderes, und ich hatte lediglich vorgehabt eine lange Abfolge von positiven Aspekten der Filme hervorzuheben. Doch nach einiger Überlegung, kam ich zu dem Entschluss, dass ich es mir auf diese Weise viel zu leicht gemacht hätte. Einen Film, den man liebt in den Himmel loben kann jeder, und daher war das auch eindeutig zu unkreativ für eine Corner. Dafür hätte auch eine Filmkritik gereicht. Daher habe ich mich entschlossen, stattdessen das Buch mit dem Film zu vergleichen, und versucht aufzudecken warum Jackson so manche Änderung an der Trilogie vorgenommen hat. Manche Änderungen sind hervorragend, andere hingegen eher unnötig oder schlicht inakzeptabel. Teilweise sind wir Fans einer regelrechten Drehbuch-Katastrophe gerade noch so entkommen. Was besonders im zweiten Film Der Herr der Ringe: Die zwei Türme, um den es hier gehen wird, beinahe der Fall war…

Es fällt mir wirklich schwer, negative Aspekte dieser Filme aufzuzeigen, doch es ist dringend vonnöten eine genaue Analyse nicht durch übertriebene Fan-Liebe zu verfälschen. In so einem Fall muss man sich, genau wie Baumbart, auf die Seite von niemandem stellen, weder auf Tolkiens, noch auf Jacksons Seite. Beide Formen von “Der Herr der Ringe” haben ihre Vor- und Nachteile. Weder Jackson, noch Tolkien sind Götter (wenn auch für mich nah dran), und damit haben auch sie viele Fehler und Ungereimtheiten gemacht. So konnte Tolkien zum Beispiel nie den Logikfehler erklären, warum die Gefährten nicht einfach Adler (also die Riesenvögel) zu Hilfe gerufen haben, dann mit ihnen nach Mordor geflogen sind, und den Ring schnell und ohne große Gefahren zerstört haben. Es ist ja auch kaum möglich, eine Antwort darauf zu finden. Zwar versuchen viele Fans sich irgendwelche kuriosen Gründe auszudenken, warum der “Adler-Plan” nicht möglich war, doch letztendlich wollen sich die meisten einfach nicht eingestehen, dass dies eben ein Logikfehler Tolkiens war, welchen dieser erst sehr spät erkannt hat. Tolkiens einzige Äußerung dazu war, dass er die Adler als etwas ganz Besonderes ansah, und sie damit nicht zu oft in der Geschichte benutzen wollte. Meiner Meinung nach eine doch sehr flache und ausweichende Erklärung.

Peter Jackson erklärte einmal, dass der zweite Teil am schwierigsten von der ganzen Trilogie umzusetzen sei, und das nicht nur, was die Dreharbeiten angeht. Nein, für den zweiten Film mussten teilweise wegweisende und komplett neue, technische Elemente entwickelt werden. Doch am komplexesten war wohl das Drehbuch. Jackson erklärte, dass der erste Teil Der Herr der Ringe: Die Gefährten im Vergleich mit dem Nachfolger nur ein gradliniges Roadmovie war. Und das stimmt ja auch: Im ersten Film wird das Abenteuer der Gefährten verfolgt, ohne große Nebenhandlungen einzubauen. Zwar gab es einen kleinen Nebenstrang mit Saruman, doch ist dieser kaum von größerem Belang, und diente hauptsächlich dazu, um dem Zuschauer die Erstarkung des Bösen bildlich besser darstellen zu können. Im Buch erfährt man das Meiste davon von Gandalf in Elronds Rat. Hier hat Jackson natürlich den richtigen Weg eingeschlagen, denn filmisch wäre es eine große Enttäuschung gewesen, auf Bilder von Isengart zu verzichten.

Der erste Film, und auch das erste Buch, lief, was die Handlung angeht, wie ein einzelner roter Faden. Von Anfang bis Ende. Doch “Die zwei Türme” ist hier komplett anders konzipiert, weitaus vielschichtiger, und damit natürlich auch komplexer. Tolkien verwendet im zweiten Roman nämlich einen sehr ungewöhnlichen Erzählstil für die unterschiedlichen Erzählstränge. Im Grunde gibt es folgende Handlungsfäden denen man folgt: Zum einen der von Aragorn, Legolas, Gimli und (später) Gandalf; der von Merry und Pippin; und schließlich der von Frodo, Sam und Gollum. Jeder dieser Stränge ist sehr wichtig für das spätere Gesamtbild der Handlung und ergibt am Ende ein großes Ganzes. Allerdings entschied sich Tolkien, anders als viele Autoren, die Handlungsstränge nicht nebeneinander herlaufen zu lassen. Stattdessen erzählt er alles nacheinander. Sprich: Am Anfang verfolgen wir den Weg von Aragorn und seinen Gefährten und für mehrere hundert Seiten wissen wir nicht, wie es mit Frodo und Sam weitergeht, da die Geschichte sich ausschließlich auf den Kampf gegen Isengart richtet. Erst ganz am Ende als Saruman bereits niedergeworfen ist, und Gandalf mit Pippin nach Minas Tirith reitet, setzt der Strang von Frodo und Sam ein. Dort beginnen wir nun genau da, wo “Die Gefährten” aufgehört hat. Sprich, wir sind wieder ganz am Anfang, nur eben in einem anderen Strang.

Diese ungewöhnliche Erzählweise Tolkiens hat Vor- und Nachteile. Der Vorteil ist ganz eindeutig, dass beim Lesen des “Aragorn, Legolas, Gimli und Gandalf”-Strangs die Spannung ins Unendliche steigt, denn als Leser weiß man noch nicht, ob die Bemühungen der Gefährten überhaupt was bringen. Schließlich weiß man nicht einmal, ob Frodo zu diesem oder jenem Zeitpunkt überhaupt noch am Leben ist. Man weiß auch nicht, ob der Ring überhaupt noch im Besitz des Ringträgers ist, oder ob Gollum oder die Ringgeister ihn ihm vielleicht schon weggenommen haben. Dadurch hat man zumindest beim allerersten Lesen eine große Spannung, und kommt somit den Hauptfiguren, die genauso wenig wissen, wie es Frodo und Sam geht, näher als im Film. Der Nachteil ist wiederum, dass man für mehrere hundert Seiten sehr wichtige Figuren völlig beiseite lässt und die eigentliche Haupthandlung (die Zerstörung des Einen Rings) somit vorerst in den Hintergrund rückt. Zudem wissen wir bereits, wenn wir den Strang von Frodo und Sam lesen, dass es Aragorn und seinen Freunden gut geht, und Gandalf wieder zurückgekehrt ist. Somit ist es für den Leser wenig neu, wenn Faramir einem berichtet, dass Boromir gefallen ist. Man weiß es schließlich als Leser bereits, und kann sich damit nicht so sehr in Frodo und seine Befürchtungen (das alle seine Gefährten vermutlich tot sind) hineinversetzen.

In filmischer Hinsicht hätte diese Erzählweise ohnehin nicht funktioniert, und es wäre ziemlich misslungen wenn Jackson zuerst den Strang von Aragorn und dann den von Frodo nacheinander gezeigt hätte. Daher musste er selbstverständlich beide Stränge chronologisch korrekt miteinander verschmelzen. Dies stellt bereits eine sehr große Herausforderung dar, da Jackson gleich erkannte, dass er einige Kapitel die im 2. Buch vorkommen, nicht in den zweiten Film übernehmen kann, was vor allem auch daran liegt, dass die Frodo-Sam Erzählung ein ganz anderes Tempo hat.

Mal ein Beispiel: Viele haben sich gefragt warum zum Beispiel Kankras Lauer nicht im zweiten Film zu sehen war. Ganz einfach: Der Grund ist, dass es chronologisch eigentlich schon in den Ereignissen von Teil 3 spielt. Während Frodo von Gollum in eine Falle gelockt wird, kämpfen Gandalf und die anderen Gefährten bereits gegen Saurons Armeen. Zudem muss man auch wieder filmisch denken. Die Schlacht um Helms Klamm und die Zerstörung Isengarts sind der eindeutige Höhepunkt des Films. Es hätte schlicht wie ein Antiklimax gewirkt, wenn man nun einen weiteren Höhepunkt (Kanras Lauer) eingebaut hätte. Dies hätte die Chronologie komplett aus der Verankerung gerissen. Dies ist genau derselbe Grund, warum auch die “Endlose Treppe”, “Das Morgul-Tal” und “Cirith Ungol” nicht im zweiten Film vorkommen. Während Tolkien uns im Buch durch Frodos Gefangennahme einen sehr spannenden Cliffhanger serviert würde das filmisch einfach nicht hinhauen. Jackson hat hier eindeutig die beste Entscheidung getroffen, die möglich gewesen ist. Ich hoffe, ihr versteht nun besser, warum Jackson hier so stark von Tolkiens Erzählstruktur abweichen musste.

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