War on Everyone will euer neues Lieblings-Buddy-Movie sein

14.02.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Berlinale 2016: Alexander Skarsgård in War on EveryoneHead Gear Films
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Als anarchische Mischung aus Buddy-Movie und Polizei-Kritik sitzt War on Everyone zwischen allen blutbesudelten Stühlen. Meisterlich geleitet hingegen Mia Hansen-Løve Isabelle Huppert durch eine späte Lebenskrise.

Gibt es kathartischere Momente im Kino als jene, in denen Isabelle Huppert in einem Sommerkleid über eine Wiese läuft? Ich möchte doch meinen: Nein und gut ist. Wie schon der filmische Soju-Schlürfer Hong Sang-soo lässt auch Regisseurin Mia Hansen-Løve La Huppert in Things to Come am richtigen Ort und zum richtigen Sonnenstand in einem luftigen Kleid übers Grün spazieren. Zu diesem Zeitpunkt in dem überragenden Beitrag zum Wettbewerb der Berlinale 2016 hat Hupperts Philosophielehrerin Ehemann und Mutter an Geliebte und Sensenmann verloren. Ihr Leben ist in sich zusammengefallen, sofern das über das Leben einer gut verdienenden Dame mit festem Job und Landhaus am Meer gesagt werden kann. Am Ende der sonnigen Wiese wartet zwar keine Rettung. In diesen Sekunden aber - Sommerkleid, Gras, französische Berge, Isabelle Huppert - scheint alles im Film und dieser düsteren Berlinale im Lot.

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Anderswo tobt der Krieg. John Michael McDonagh (Am Sonntag bist du tot) erklärt ihn gleich im Titel von War on Everyone. Seine selbstgefällige Satire auf die amerikanische Faszination mit der Gewalt läuft bei der Berlinale im Panorama. Michael Peña und Alexander Skarsgård geben die überzeichneten Versionen von Murtaugh und Riggs aus Lethal Weapon - Zwei stahlharte Profis. Wer nun einwirft, die Helden der Buddy-Action von Richard Donner seien doch selbst schon Karikaturen, der sei vergewissert, dass War on Everyone immer noch eins drauf setzen wird. Oder es zumindest versucht. Das scheint dann auch die Existenzberechtigung der hin und wieder amüsanten Genre-Abrechnung zu sein. In einem anachronistischem Setting zwischen 70er Jahre-Pimps und Smartphones trinken sich die Cops Terry (Skarsgård) und Bob (Peña) durch New Mexico. Sie beleidigen, koksen, lassen sich bestechen und entladen ihre Gewalt ohne Rücksicht auf ihre Opfer. Gleich zu Beginn wird die auktorielle Augenbraue in Richtung Zeitgeschichte gehoben, wenn der Vorgesetzte ganz selbstverständlich ein "This is the police department. We're surrounded by big racist pigs" ausstößt. Seitenschlenker zu Die nackte Kanone und Loaded Weapon 1 (in der ersten Verfolgungsjagd wird eine Pantomime überfahren) lullen den Zuschauer ein, bevor Autor und Regisseur McDonagh die moralischen Grenzen des Buddy-Actionfilms und seiner Parodien dehnt, zerreißt, notdürftig zusammenklebt, dehnt und wieder zerreißt.

In verschwommenen Schemen mag der wohlgesonnene Zuschauer bei War on Everyone Ansätze einer bitterbösen Genre-Abreibung erkennen. Allerdings fehlt es der dritten Regiearbeit McDonaghs an der (spezifisch irischen?) Humanität, die Brendan Gleeson selbst seinen düsteren Rollen in The Guard - Ein Ire sieht schwarz und Am Sonntag bist du tot einhaucht. Trotz der unverkennbaren Chemie der zu Hauptdarstellern beförderten Michael Peña und Alexander Skarsgård spielen sie nichts weiter als Schießbudenfiguren. Bob und Terry sind so leer wie das städtische Niemandsland namens Albuquerque, durch das sie sich bewegen. Der gewohnt blasse Theo James als bärtiger Bad Guy mit britischem Einschlag hat ihrer Brutalität im Grunde nichts entgegenzusetzen und so verlegt sich War on Everyone auf die einfache Rechnung von den Cops als echten Verbrechern. Eine wenig originelle und größtenteils redundante Idee, wie die Nachrichten des vergangenen Jahres zeigen.

Things to Come

Tief im aktuellen Nachrichtengeschehen steckt die Dokumentation Fire at Sea von Gianfranco Rosi (Das andere Rom). Ein Jahr lang drehte Rosi, der eigentlich nur einen Kurzfilm plante, auf der italienischen Insel Lampedusa. Der "Vorposten" Italiens im Mittelmeer ist Anlaufpunkt von Hunderttausenden Flüchtlingen aus Syrien, Libyen, Nigeria Eritrea und anderen Staaten. Sie nehmen die beschwerliche Reise übers Meer auf sich, um Krieg und Hunger in ihren Heimatländern zu entkommen. Für jene, die die Reise lebend überstehen, wird die 20 km2 große Insel zur Durchgangsstation nach Sizilien, Italien und damit Europa. In Fire at Sea begleitet Rosi die übrigen Inselbewohner, um dazwischen metaphorische Parallelen zur humanitären Katastrophe auf hoher See auszumachen. Sein Held heißt Samuele. Der aufgeweckte Zwölfjährige stromert über das wettergegerbte Grün der Insel, ballert mit einer Steinschleuder auf Kakteengesichter oder hört Geschichten seiner Verwandtschaft und ihrer langen Fischerei-Tradition. Samuele ist eine dankbare Hauptfigur in einem Dokumentarfilm, der von harmlosen Besuchen beim Augenarzt zu erschütternden Aufnahmen des Flüchtlings-Alltags wechselt. Als dezidiert politischer und vor allem menschlicher Film fordert Fire at Sea Respekt ab. Samueles Leben bleibt von dem Drama vor seiner Haustür unberührt und die Erwachsenen spielen weiter ihre Schlager zwischen den grauenvollen Nachrichten. In einem unheilvollen Kontrast fängt die Kamera ein idyllisches dörfliche Leben ein, das abgeschottet von der Seenotrettung stattfindet, deren Anlagen wie Science-Fiction-Kulissen inszeniert werden. In Fire at Sea wird der anklagende Ton gegenüber den Bewohnern des Eilands verweigert.

Die tagesaktuelle Dokumentation könnte am Ende der Berlinale einen Goldenen Bären einsammeln und bei einem politischen Festival wie diesem gäbe und gab es schlechtere Beiträge. Gleichzeitig befremdet die Doku bereits in ihrer berechnenden Struktur. Ein Kind als metaphorisch aufgeladenes Comic Relief steht in Fire at Sea auf der einen Seite, um es überspitzt auszudrücken, und Hunderte leidende Flüchtlinge auf der anderen. Die alteingesessenen Bewohner Lampedusas werden dank Rosis Aufmerksamkeitsverschiebung individualisiert. Sie haben Namen, sie erzählen Geschichten. Die Flüchtlinge - eben nur "die Flüchtlinge" - bleiben lebende, verletzte, tote Körper, bleiben anonyme Masse.

Es gehört zu den Absonderlichkeiten eines Filmfestivals, dass solche Szenen realer Tragödien über die Leinwand flimmern, bevor Kritiker und Fachbesucher in ihren Schreib- und Networking-Trott entlassen werden, nur um eine Stunde später den nächsten, gänzlich entgegengesetzten Wettbewerbsfilm aufzusaugen. Dann findet sich der Zuschauer auf einer grünen Wiese mit Isabelle Huppert wieder und für ein paar Sekunden könnte in diesem spätwinterlichen Berlin wenig schöner, kathartischer, französischer sein. Regisseurin und Autorin Mia Hansen-Løve besitzt nämlich die seltene Gabe, Leben zu zeigen, ohne dass es passiert. In Eden begannen zwei House-DJs in den 90ern ihre Karriere zeitgleich mit Daft Punk, um unmerklich in die Weite hinaus zu driften. Diametral zur steigenden Popularität des zweiköpfigen Gesamtkunstwerks löste sich ein Traum über zwei Stunden hinweg auf. In Things to Come bleibt das Zentrum mit der Lehrerin Nathalie erhalten, ihre Halt gebenden Koordinaten verschwinden. Ein charakteristisches Zitat ihrerseits: "Mein Leben ist intellektuell erfüllt. Das reicht zum Glücklichsein." Die für überspannte, steife, eisige Figuren prädestinierte Huppert spielt am einnehmendsten und lustigsten, wenn ihre Heldinnen aus der Bahn geworfen werden. Wie eben In einem fremden Land namens Sükorea oder diesmal dank der enttäuschten Erwartungen an das Alter. Einmal flieht die sonst von philosophischen Traktaten umgebene Nathalie aufs wunderschöne Land. Sie trägt das Sommerkleid, die Sonne dankt es ihr. Alles scheint im Reinen. Aber klar. Etwas stimmt nicht. Sie hat ein Buch dabei.

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