Als Ed O’Neill zum Casting von Eine schrecklich nette Familie auftauchte, hatte er eine einfache Aufgabe: Durch die Haustür auf die Bühne treten. Als er das tat, kurz bevor er die Tür öffnete, atmete er laut und tief aus und ließ seine Schultern hängen, als sei nach Hause kommen eine Niederlage. Das beeindruckte die Produzenten. „Er hat die Show verstanden“, sagten sie sich. So wurde aus Ed O’Neil der Schuhverkäufer Al Bundy.
Zehn Jahre, elf Staffeln, 261 Episoden. Das sind viele Gelegenheiten, durch die Tür zu treten. Während ein Charakter wie Steve Urkel auch sehr eindrücklich ist, bringt Al Bundy noch eine Portion Realismus mit: Der Möchtegern-Oberhaupt einer kleinen Familie nagt häufig nicht nur am Hungertuch, sondern kämpft als Teil der Unterschicht gegen die reichen Säcke. Die Familienmitglieder sind gemein zueinander, verteidigen sich aber auch gegenseitig, wenn es sein muss. Es ist eine Hassliebe.
Durch die Tür treten, die Tochter “Dumpfbacke” nennen (freie Übersetzung des englischen Originals, in der sie schlicht “pumpkin”, also Kürbis, genannt wird), sich dem Sex mit der Ehefrau verweigern und nach einem langen Arbeitstag im Schuhladen erschöpft nach Hause kommen, sich auf die Couch setzen und die Hand in den Hosenbund stecken: Mit diesen Bilder sicherte er sich einen Platz auf dem Fernsehthron. Denn plötzlich, das war das Faszinierende an Al Bundy, spielte er den Zuschauer und erschreckenderweise sahen viele Menschen in der Bundy-Truppe auch die eigene Familie.
Als Eine schrecklich nette Familie 1997 nach zehn Jahren auf Sendung plötzlich abgesetzt wurde (Ed O’Neil erfuhr davon im Urlaub aus der Zeitung), hatte der Schauspieler ein Problem: Wie entfernt er sich von einer Rolle, die über so viele Jahre hinweg die amerikanische Fernsehlandschaft verändert und geprägt hat? Wie wird er zum Charakterdarsteller, wenn er nur auf eine Persönlichkeit begrenzt wird? Im Grunde genommen hatte Ed O’Neil also dasselbe Problem wie Jaleel White, der so sehr zu Steve Urkel wurde, dass kein Regisseur sich traute, ihn als Hauptdarsteller ganze Filme tragen zu lassen.
Aufgrund seiner doch sehr markant wirkenden Gesichtszüge wurde O’Neil häufig als Polizist gecastet: In Der Knochenjäger an der Seite von Denzel Washington und Angelina Jolie, als Detective Michael Mooney in der kurzlebigen Serie Big Apple, als Burch in dem Action-Thriller Spartan mit Val Kilmer, als Lieutenant Joe Friday in der Neuauflage des Klassikers Dragnet (dem Vorbild für die deutsche Serie Stahlnetz) und als Bill Jack, einem pensionierten Polizisten, der mit sich selbst spricht und eine Faible für Vögel hat, in der Serie John from Cinniati. An den alten Erfolg konnte er weder mit den Spielfilmen noch den TV-Serie jemals wieder anknüpfen. Herzerwärmend: Sein Überraschungsbesuch am Set von Jesse, der 1998 gestarteten Serie von seiner TV-Tochter Christina Applegate.
David Faustino, der in Eine schrecklich nette Familie O’Neils Fernsehsohn Bud Bundy portraitierte, drehte in diesem Jahr die Web-Serie Star-Ving. Darin geht es um das erbärmliche Leben des ehemaligen Kinderdarstellers und wie er Jahre nach dem Ende der TV-Serie noch Probleme damit hat, interessante Rollen an Land zu ziehen. In krassen Bildern, mit viel Slapstick und derbem Humor wird alles gezeigt, es geht bewusst unter die Gürtellinie und soll provozieren. Überraschenderweise konnte er für das Projekt seine alte Fernsehfamilie wieder zusammenführen: Christina Applegate (Kelly Bundy), Katey Sagal (Peggy Bundy) und natürlich Ed O’Neil waren alle wieder dabei und nahmen sich und insbesondere Faustino aufs Korn.
2008 wurde er politisch aktiv und unterstützte Barack Obama als einer der vielen Prominenten bei seinem Wahlkampf, unter anderem mit dieser Werbung, indem er mehr oder weniger seine Paraderolle als Al Bundy wiederbelebt:
In der Polit-Serie The West Wing spielte Ed O’Neill in vier Episoden einen demokratischen Präsidentschaftskandidaten, einen eigentlich guten Menschen. In den ruhigen Momenten, wenn es diese denn überhaupt so häufig gab, hoffte der Zuschauer auf eine Couch. Irgendwo in der Szene, irgendwie im Bild. Er sollte sich setzen, ausatmen. Und dann, wenn keiner hinschaute, sollte er sich doch einfach die verdammte Hand in die Hose stecken und den Bundy machen!
In den letzten Staffeln der schrecklich netten Familie, da tosten die Zuschauer. In der deutschen Synchronisation ging das unter, aber im Original ertönte das Publikum nicht nur mit dem Sitcom-typischen Gelächter, sondern auch Applaus. Nicht nur, wenn ein Gag besonders gut oder besonders abstoßend war. Und nicht nur, wenn Christina Applegate als Kelly Bundy halbnackt auf die Bühne kam. Sondern vor allem, wenn Al Bundy, nach einem harten Arbeitstag im Schuhgeschäft laut und tief ausatmete, die Schultern fallen ließ und resignierend durch die Haustür trat, so, als habe er eine Niederlage erlitten. Die Zuschauer, die applaudierten in dem Moment sich selber zu.
Wer sich für weitere verschollene Stars interessiert…
Was macht eigentlich…Macaulay Culkin?
Was macht eigentlich…Jaleel White (Steve Urkel)?
Was machen eigentlich…die Cosby-Kids?
Was macht eigentlich…Billy Crystal?
Was macht eigentlich…Mickey Rourke?
Was macht eigentlich…Juliette Lewis?
Was macht eigentlich…Noah Hathaway?