Die 8. Staffel der AMC-Serie The Walking Dead stand im Zeichen einer Selbstmotivierung. Ihre ganze Tragweite offenbarte sich erst auf den letzten Metern, als das anfängliche Gemurmel der Hauptfigur über Gnade, die stärker sein müsse als Zorn, in eine unerwartete Umarmung des Bösen mündete. Tatsächlich sollte der jahrelang aufgebaute und zum Ärger zahlreicher Fans genüsslich prolongierte Konflikt der männlichen Protagonisten damit nicht affektiv gelöst, sondern den Schwierigkeiten eines auszuhaltenden Verhältnisses überantwortet werden. Im Zentrum der Serie stehen seither greifbare Utopien von Mitgefühl und Versöhnung. Da zivilisatorische Werte schneller aus den Angeln gehoben wurden als Zombies ihren Gräbern entsteigen konnten, soll die mühsame Rückkehr zur Vernunft auch ärgste Gegner einbeziehen. Im Rahmen unseres Themenspecials Angst, Schrecken, Panik - Horror-Monat 2018 widmen wir uns den entscheidenden Fragen von The Walking Dead.
Die Politik des Tötens
Für Barmherzigkeiten im großen Stil gab es bei George A. Romero keinen Platz. Der Begründer des modernen Kinomythos vom nicht länger durch Voodoo-Priester zum Leben erweckten Zombie, dessen Arbeiten den wichtigsten Bezugspunkt der Serie und wahrscheinlich überhaupt jedes vergleichbaren Stoffes der letzten 50 Jahre bilden, hatte größeres Interesse am Moment der Konfrontation und seinen Folgen. In Die Nacht der lebenden Toten (1968) schießt der Held auf einen erratischen Familienvater, nachdem dieser ihm den Zutritt ins sichere Haus verwehrte. In Zombie - Dawn of the Dead (1978) eröffnet ein Mann das Feuer auf marodierende Bandenmitglieder und führt die Untoten zum geheimen Versteck seiner Gruppe. In Zombie 2 - Day of the Dead (1985) tötet der militärische Befehlshaber einen mit Zombies experimentierenden Wissenschaftler, dessen menschliche Regungen zeigendes Versuchsobjekt anschließend den Colonel niederstreckt.
Dass sich Akte der Ungnade in Romeros Filmen meist rächen und gegen die Ungnädigen selbst wenden, hat nicht unbedingt mit Moral zu tun. Es geht um einen spezifischen Nihilismus, der seine Wut über die Zustände der Welt an der Zombie-Apokalypse artikuliert - selbst den Überlebenden gönnt er nur Etappensiege vor hochambivalenten Schlussbildern. Weder die Genuss veredelnde mutmaßliche noch selten vor Unterkomplexität bewahrte tatsächliche Politik von George A. Romero findet in The Walking Dead einen Widerhall. Zur tagesaktuellen gesellschaftlichen Zustandsbeschreibung eignet sich das Format überhaupt nicht (vermutlich wird es deshalb kaum ernst genommen, erst recht von der Ideologiekritik), und seine häufig diagnostizierte Seifenopernhaftigkeit, das Artifizielle und Kitschige der Erzählung also, entspringt wahrscheinlich der schlimmsten aller Formen uneingelöster Diskursrelevanz, dem "Privatismus". Als ginge es nicht gerade in den ökonomisch-sozialen Fragen des Überlebens ums Grundsätzliche.
Ähnlichkeiten und Unterschiede zu George A. Romero
Schnell können somit spannende Ergänzungen des filmischen Zombie-Mythos durch seine serielle Fortschreibung übersehen werden. Vor allem in der epischen Struktur und den um quälend lange Neuverhandlungen von gegenwärtigem und künftigem Miteinander kreisenden Plot besitzt The Walking Dead vertiefende Qualitäten. Schrille, die Bedrohlichkeit von Zombies überragende Antagonisten wie Negan finden sich in ähnlicher Form auch bei Romero, doch Chancen zur Rehabilitierung geben ihnen die Filme nicht. Obwohl die Angst vor den Konsequenzen gnädigen Handelns zu den Hauptmotiven der Serie gehört (und sich an unterschiedlichen Vorstellungen von Gerechtigkeit wieder ganz neue Konflikte entzünden), haben sich die Hauptfiguren im jüngeren Verlauf nicht radikalisiert. Bemerkenswert ist das deshalb, weil sämtliche Handlungen der Kerngruppe zeitweilig von der Idee bestimmt waren, dass Töten die einzige Möglichkeit sei, "kein Monster zu werden" (Carol).
Den Vorboten der Eskalation, die George A. Romero beschrieb, den Kippmoment des Zerfalls und die Empfindungslagen der Beteiligten, fügt The Walking Dead eine weitere Ebene hinzu. Alle Figuren der Serie sind gezwungen, den Blick nach vorn zu richten, wobei zu den Notwendigkeiten ihrer Neuorientierung eine Überprüfung bisheriger Überlebensstrategien (der eigene Vorteil, das ständige Misstrauen, die Bereitschaft zum Töten) und vielleicht auch Weltanschauungen zählt. Die zunehmend protofaschistischen Merkmale der auf Effizienz sowie "notwendige" Vernichtung schwörenden Schar um Rick und Co. weichen riskanten Bemühungen um ein funktionierendes Gesellschaftsmodell, in welchem der Vertrauensvorschuss eine fragile Voraussetzung von Wiedereingliederung ist. Natürlich führt das Unterfangen seinerseits zu Spaltungen der Gruppe. Innergemeinschaftliche Dynamiken sind, wie schon bei Romero, das Reizvollste an The Walking Dead.
Mit Menschen leben lernen
Entscheidend für diese Vision vom friedvollen Leben nach der Apokalypse war das Abtreten eines Charakters, der das Ende der Barbarei zur Bedingung seines Andenkens machte (über den Tod von Serienfiguren wird oft diskutiert, dieser jedoch geriet zum besonderen Stein des Anstoßes). Für ihn sollte sich die Rettung eines anderen Menschen und dessen vorbehaltlose Aufnahme in die Gruppe als verhängnisvoll erweisen – ein selbstloses Opfer, das keinesfalls umsonst gewesen sein darf. Auch die zweite große Selbstmotivierung der vergangenen Staffel (Michonne: "There's got be something after.") verweist dabei auf eine religiöse Komponente, die der Serie sonst, ebenso wie Romeros Filmen, erstaunlicherweise fehlt. Ausgerechnet in jenen Momenten, die ihn auf die größte Probe stellen müssten, spielt Glauben im herkömmlichen Sinn für die Figuren keine tragende Rolle mehr. Es scheint, als könne diesem Relikt der alten Welt kaum noch jemand Zeit und Nerven widmen.
In Romeros späten Zombie-Erzählungen, die mit Diary of the Dead (2007) wieder zum Anfang führten, zeichnete sich unterdessen ein entspanntes Verhältnis zum Weltuntergang ab. Das Ende von Land of the Dead (2005) stellte sogar eine Koexistenz zwischen Lebenden und lebenden Toten zur Disposition (Zombies als auch nur irgendwie auskommen wollende Geschöpfe), und der im Mittelpunkt von Survival of the Dead (2009) stehende Konflikt zweier Familien, deren Feindschaft selbst die Apokalypse nicht berühren kann, hatte eine beinahe gemütliche Qualität – obgleich George A. Romeros Zombie-Filme allesamt auf die figuralen und räumlichen Konstellationen des Western verweisen, machte keiner seine Vorliebe für das Genre und dessen Größen wie Howard Hawks und William Wyler deutlicher als Survival of the Dead, die letzte Regiearbeit des 2017 verstorbenen Filmemachers.
Zombies als amerikanischer Gründungsmythos
Noch darin bleibt The Walking Dead dem Vorbild treu. Der mit absurden Monologen angereicherte Konflikt zwischen dem Revolverhelden Rick und seinem skrupellosen Widersacher Negan ist selbst eine Neuauflage alter Western-Rivalitäten: Der eine verteidigt das Grenzland, der andere stellt es auf den Kopf. Im Ableger der Serie, dem vergleichsweise wenig beachteten Fear the Walking Dead, drehte sich fast eine ganze Staffel um Territorialstreitereien zwischen den Nachfahren amerikanischer Ureinwohner und Land raubenden Cowboys. Damit wurde eines der Kernthemen der Mutterserie, die Re-Kolonisierung der USA, an seinen historischen Ursprung zurückgeführt. Interessant war an der Konstellation vor allem, dass sich die vertrauten Protagonisten zunächst aus reinem Opportunismus den Bewohnern der Ranch anschlossen.
Denn was nützen schon Identifikationsfiguren, wenn alles vor die Hunde geht? Wer möchte im Angesicht der totalen Auflösung aller Verhältnisse noch ernstlich von Logik und Wahrscheinlichkeit sprechen? George A. Romero hat sowohl The Walking Dead als auch Fear the Walking Dead vorgemacht, dass Zombies längst nicht so unheimlich sind wie jene Menschen, die sie und sich selbst bekämpfen. Auch deshalb ist es schade, dass er sein zwar begründetes, aber früh gefälltes Urteil über die serielle Weiterführung der eigenen Ideen nie revidierte oder revidieren konnte (tatsächlich machte er das Format sogar mitverantwortlich für das Verschwinden der Untoten aus dem Kino). Wenn es überhaupt eine Zombie-Erzählung in bewegten Bildern gibt, die Romeros Filme und ihre Varianzen herausfordern kann, ist es The Walking Dead. Gewissenhafter lässt sich ein Erbe nicht verwalten.
Wie steht ihr zu The Walking Dead als Fortführung der Filme von George A. Romero?