Jud Süss ausgepfiffen und ausgebuht

19.02.2010 - 08:50 Uhr
Jud Süß - Film ohne Gewissen
Concorde
Jud Süß - Film ohne Gewissen
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Der deutsche Wettbewerbsbeitrag Jud Süss – Film ohne Gewissen ist bei den Filmkritikern durchgefallen: Lautstark wurde der Film mit Buhrufen kommentiert, schon während der Pressevorführung stöhnte das Fachpublikum auf.

Mit Spannung wurde der deutsche Beitrag Jud Süß – Film ohne Gewissen von Oskar Roehler im Internationalen Wettbewerb der Berlinale erwartet. Gestern fand die Pressevorführung des Films mit den deutschen Stars Moritz Bleibtreu, Tobias Moretti, Martina Gedeck, Justus von Dohnányi, Armin Rohde und Erika Marozsán statt … und wurde von den Journalisten ausgepfiffen und ausgebuht. Solche Turbulenzen hat noch kein Film in diesem Berlinale-Jahr verursacht.

Nach einem Drehbuch von Klaus Richter wird die Geschichte von Ferdinand Marian erzählen, jenem Schauspieler, der die Rolle des jüdischen Kaufmanns in dem perfiden, antisemitischen Propagandafilm Jud Süß (1940) unter der Regie von Veit Harlan spielte. Es geht um die Verquickung von Filmkunst und Macht, die Beziehungen einzelner Filmkünstler zum Propagandaminister Joseph Goebbels (gespielt von Moritz Bleibtreu).

Wolfgang Höbel vom Spiegel ortet den Film nah am Fernseh-Historienschmonz. “Warum widmet sich dieser Film der weitgehenden moralischen Weißwaschung einer Figur, die im berühmtesten und bis heute verbotenen Nazi-Hetzfilm (den man sich als Kinozuschauer nur in kommentierten Vorstellungen ansehen darf) die Hauptrolle spielte? Es ist nicht alles schlecht an Oskar Roehler s Film, aber auf diese Frage gibt er keine Antwort. Vieles an Jud Süß – Film ohne Gewissen ist bieder, und als er einmal ins Surreale abheben will, da geht es richtig schief.”

Ein Desaster ist der Film für Harald Jähner von der Berliner Zeitung. “Fatal ist, dass Oskar Roehler dem gleichen penetranten Kunstwollen unterliegt, dem auch Veit Harlan im Jud Süß gefolgt ist. Alles wird aufs Eindrücklichste hingebogen, die Wirklichkeit zählt nichts, wo immer es geht, muss sie überboten werden. … Nicht, dass der Film einen NS-Schauspieler zum tragischen Helden macht, ist sein Problem, sondern wie wenig er die Realität respektiert. Das wäre nicht anstößig, vergriffe er sich nicht an einer realen Figur.”

Jud Süß – Film ohne Gewissen ist keine spannende Geschichtsstunde, sondern ein Stück (Film-)Geschichtsfälschung, wie Jan Schulz-Ojala vom Tagesspiegel schreibt. Der Film “reiht sich nahtlos in jenes neuere deutschen Exkulpationskino ein, das die durchaus aktiven Mitmacher deutsch-diktatorischer Systeme letztlich als arme Schweine darstellt: Das geht vom einsamen Feldherrn im Der Untergang bis zum unglücklichen Stasi-Offizier in Das Leben der Anderen. Bei Oskar Roehler wiederum darf sich Ferdinand Marian auch aus Verzweiflung darüber, dass seine Frau vergast worden ist, zu Tode saufen.”

Michael Althen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung fehlt die darstellerische Tiefe. “Moritz Bleibtreu ist als Joseph Goebbels eine Karikatur, die so sehr auf die eine Note der rheinischen Jovialität ausgelegt ist, dass sie irgendwann nur noch wie ein harmloser Spaß wirkt. Und gerade dadurch, dass er Goebbels als großem Gegenspieler viel Raum gibt, wirkt der Film dann auf fast kindische Weise so, als würde er sich darin suhlen, etwas irgendwie Anrüchiges tun zu dürfen. Da sagt ein einziger Händedruck von Sylvester Groth in Inglourious Basterds mehr als die ganzen Reden, die Moritz Bleibtreu als Goebbels schwingt.”

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