Nicolas Winding Refn - Meister der Präzision

26.12.2011 - 08:50 Uhr
Nicolas Winding Refn müssen wir im Auge behalten
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Nicolas Winding Refn müssen wir im Auge behalten
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Dass die Dänen hervorragende Filme produzieren, ist längst bekannt. Dieses Jahr hat sich Nicolas Winding Refn als einer der wichtigsten Regisseure der nordischen Halbinsel hervorgetan.

Ein Neuling ist Nicolas Winding Refn im Filmgeschäft ganz sicher nicht. Seit den 90ern dreht der Däne erfolgreiche Genrefilme wie die Pusher-Trilogie. Zeuge seines internationalen Durchbruchs wurden wir trotzdem erst vor kurzem. Mit Bronson und Walhalla Rising wurde er zum Geheimtipp und dank seiner fruchtbaren Bromance mit Ryan Gosling darf er sich nun als einer der Top-Regisseure 2011 feiern lassen. Auf meiner persönlichen Liste steht er jedenfalls ganz oben.

Der Driver
Präzision. Präzision ist das hervorstechende Merkmal des Fahrers (Ryan Gosling). In der brillanten Auftaktsequenz von Drive sitzt er, vielleicht zum zehnten, zum hundertsten Mal, in einem Auto und wartet auf die Räuber. Er ist der Getaway-Driver, dem Walter Hill mit Driver einst ein Denkmal setzte und ebenso wie Ryan O’Neal trägt er keinen Namen. Das ist nicht nur die Willkür des Referenz-Fans Nicolas Winding Refn. Der Driver braucht keinen Namen. Er ist der Fahrer, er fährt, das ist sein Job, das ist seine Existenz, das ist er. So sitzt der Driver also da und wartet; prüft sein bis auf die Sekunde genau gewähltes Zeitfenster. Als die Räuber schließlich einsteigen, geht es los. Weder zögerlich noch überstürzt bewegt sich das Gefährt zum zehnten, zum hundertsten Mal durch die Straßen von Los Angeles. Abwarten. Ein Auto der Cops fährt vorbei. Das Radio summt, der Polizeifunk rauscht. Ansonsten wird geschwiegen. Bis der Driver schließlich in der Tiefgarage eines Stadions in der Masse verschwindet, nicht weniger anonym als die leblose Maske, die er im Verlauf des Films noch tragen wird.

Die Präzision dieses Großstadt-Geistes, charismatisch, aber auch eigenschaftslos von Ryan Gosling gespielt, scheint Nicolas Winding Refn an Drive am meisten fasziniert zu haben. Mehr noch als die zarte Liebesgeschichte mit der Nachbarin, sind es die nächtlichen Straßenszenen, die detailliert geplanten Heists, der pure Ablauf eines Verbrechens, welche den Motor des Films bilden. Mit seiner ikonischen Physis, dem klaren, ja sogar leeren Gesicht hat Nicolas Winding Refn in Ryan Gosling den perfekten Surrogat für sein jüngeres Körperkino gefunden, dessen große Vorbilder Stanley Kubrick und Michael Mann heißen.

Der Verbrecher
Diese Vorbilder können manchmal fast erdrückend wirken. In Bronson, ebenso ein Körperfilm dank des massigen Tom Hardy, schwebt ein ums andere Mal der Prätentionsverdacht über den Kubrick’schen Bildern voller erkalteter Symmetrie. In seiner Stilisierung geht Nicolas Winding Refn schließlich stets aufs Ganze. In jedem Frame des Gefängnis-Streifens spüren wir, dass da jemand ein ganz Großer sein will und damit ist nicht nur der chronische Verbrecher “Charles Bronson” gemeint, der sich immer wieder als monologiserender Alleinunterhalter an das Publikum wendet.

Mit seinem Willen zur Stilisierung und Mythisierung kann Nicolas Winding Refn viele Zuschauer vor den Kopf schlagen, die sich auf der Suche nach Charaktereigenschaften und komplexen Stories in seine Filme verlaufen haben. Wie Stanley Kubrick vor ihm arbeitet Refn mit in klaren, geradezu abstrakten Linien gezeichneten Typen und wie bei Michael Mann werden diese im Wesentlichen durch ihre Berufung definiert. Sie sind Verbrecher, Krieger oder eben Driver, sie sind wandelnde Funktionen, die sich durch eine unterkühlte Bilderweld bewegen, welche bei genauer Untersuchung wie ein Spiegelbild ihrer selbst erscheint.

Der Krieger
Wirkte Bronson stellenweise zu groß, zu ausladend, zu ehrgeizig, entschlackte Nicolas Winding Refn in Walhalla Rising seine Herangehensweise zum Guten. Mads Mikkelsen, Wegbegleiter Refns seit Pusher, wandelt da auf einer transzendentalen Irrfahrt durch eine mythisch karge Wikinger-Landschaft, ohne im ganzen Film auch nur ein Wort zu sagen. Das wirkt zuweilen so, als hätte Michelangelo Antonioni in einem späteren Leben Conan der Barbar gedreht.

An all die genannten Vorbilder, ob Mann, Kubrick, Hill oder Antonioni, muss Nicolas Winding Refn erst noch anschließen. Seine Filme versuchen stets größer zu sein, als sie sind und vielleicht ist das im Zeitalter des Primats der Massentauglichkeit ihre größte Auszeichnung. Doch gerade mit Drive hat der Däne bewiesen, dass da unter der stilisierten, der eisig lackierten Haube seiner Filme ein lebendiges Herz brummt. Das hat er mit einer kleinen Szene am Fenster gezeigt, mit einem kleinen Lächeln seines Drivers. Vielleicht ist Ryan Gosling das beste, was Nicolas Winding Refn passieren konnte.

Hier alle Texte zu Tops & Flops sowie Stars des Jahres im Überblick:

Flops 2011
Mattes’ Flop-Film des Jahres – Kill The Boss
Ines’ Flop-Film des Jahres – Sucker Punch
Sophies Flop des Jahres – Pirates of the Caribbean

Tops 2011
Mattes’ Top-Film des Jahres – Winters’ Bone
Ines’ Top-Film des Jahres – Melancholia
Sophies Top Film des Jahres – Planet der Affen

Top-Schauspieler des Jahres 2011
Jennys Star des Jahres – Kristen Wiig
Jennys Star des Jahres – Andy Serkis
Mattes’ Star des Jahres – Mia Wasikowska
Mattes’ Star des Jahres – Ryan Gosling
Sophies Star des Jahres – Michelle Williams
Sophies Star des Jahres – Robert Pattinson
Maltes Star des Jahres – Jennifer Lawrence
Maltes Star des Jahres – Michael Fassbender
Ines’ Stars des Jahres – Alexander Skarsgard
Ines’ Star des Jahres – Saoirse Ronan

Interessante Regisseure des Jahres 2011
Tomas Alfredson – Nordmann mit Ambitionen
Nicolas Winding Refn – Meister der Präzision
Andrea Arnold – Von Top of the Pops nach Venedig
Cary Fukunaga – Bildgewaltige Filme mit viel Kraft

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