Oscar 2016 - Hat Netflix sich diesmal verzockt?

24.02.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Netflix bei den Oscars
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Netflix bei den Oscars
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2016 sollte das Jahr werden, in dem der VoD-Dienst Netflix mit seinem ersten eigenen Spielfilm Oscar-Geschichte schreibt. Doch dann wurde Beasts of No Nation bei den Nominierungen eiskalt übergangen. Was bedeutet das für Netflix' Oscar-Träume?

Netflix ist revolutionär, gar keine Frage. Seit Jahren stellt das 1997 als DVD-Versandservice in Kalifornien gegründete und zum internationalen Streaming-Giganten aufgestiegene Online-Unternehmen die Fernsehwelt auf den Kopf. Um seine Vormachtstellung als Video-on-Demand-Service weiter auszubauen, nimmt Netflix viel Geld in die Hand und investiert immer mehr in hochwertige Eigenproduktionen. Und die Investitionen zahlen sich aus: Mittlerweile hat Netflix mehr als 75 Millionen Abonnenten aus über 190 Ländern und da soll noch längst nicht Schluss sein. Jetzt wollten die Netflix-Bosse auch dem Kino den Kampf ansagen und mit ihrem allerersten eigenen Spielfilm gleich einen starken Oscar-Kandidaten ins Rennen schicken. Doch als im Januar die Nominierungen für die diesjährigen Academy Awards verkündet wurden, ging das Kriegsdrama Beasts of No Nation leer aus. Hat sich Netflix diesmal etwa verzockt?

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Dass Netflix-Eigenproduktionen qualitativ das Zeug dazu haben, bei den Auszeichnungen der Film- und Fernsehbranche groß abzuräumen, konnten wir in den letzten Jahren schon zu Genüge beobachten. Nachdem Netflix 2013 Geschichte schrieb und als erster Streaming-Anbieter bei den Primetime Emmy Awards abräumte, folgten in den darauffolgenden Jahren etliche Emmy- und Golden Globe-Auszeichnungen für House of Cards und Orange Is the New Black sowie zahlreiche Nominierungen für diese und andere Serien. In diesem Jahr durfte sich Netflix bei den Golden Globes sogar über die meisten Nominierungen unter allen Sendern und Streaming-Anbietern freuen, selbst wenn es am Ende nicht ganz für eine Auszeichnung reichte.

Winter on Fire

Auch im Bereich der Dokumentationen feiert Netflix schon seit Längerem Filmpreis-Erfolge. Nach Oscarnominierungen für The Square 2014 und Virunga 2015 ist Netflix jetzt bereits zum dritten Mal in der Kategorie Bester Dokumentarfilm nominiert. Tatsächlich schickt der VoD-Gigant mit What Happened, Miss Simone? und Winter on Fire in diesem Jahr sogar gleich zwei Dokus ins Rennen um den Oscar. Während Ersteres eine Filmbiografie über die US-amerikanische Soulsängerin und Bürgerrechtlerin Nina Simone ist, handelt Winter on Fire von den Bürgerprotesten, die 2013 und 2014 in der Ukraine stattfanden.

Warum ging Beasts of No Nation leer aus?

Obwohl Netflix durch die beiden Dokumentarfilme bessere Oscar-Aussichten hat als je zuvor, wurde nach der Bekanntgabe der Nominierungen vor allem darüber gesprochen, dass der erste eigenproduzierte Spielfilm des Onlinediensts, Beasts of No Nation, übergangen wurde. Netflix hatte sich für rund 12 Millionen US-Dollar die internationalen Rechte an dem US-amerikanischen Kriegsdrama gesichert und startete damit seine Oscar-Offensive. Der Film von Regisseur Cary Fukunaga (True Detective) erzählt die Geschichte eines afrikanischen Jungen (Abraham Attah), der nach dem gewaltsamen Tod seines Vaters von einem Rebellentrupp zum Töten gezwungen wird. Die Kindersoldaten stehen unter dem Befehl eines grausamen Kommandanten (Idris Elba), der von den Jungen ebenso gefürchtet wie bewundert wird.

Beasts of No Nation

Um sich überhaupt erst auf einen Oscar bewerben zu dürfen, muss ein Film gemäß der Regeln der Academy an mindestens sieben aufeinanderfolgenden Tagen in einem kommerziellen Kino in Los Angeles zu sehen sein. Anstatt jedoch die üblichen 90 Tage zwischen Kinostart und sonstiger Veröffentlichung zu warten, brachte Netflix den Film gleichzeitig im Kino und auf der Streaming-Plattform heraus. Damit zog Netflix den Zorn der Kinobetreiber auf sich und viele Kinos boykottierten den Film sogar. Am Ende startete Beasts of No Nation gerade mal in 31 Kinos und nahm schlappe 90.777 US-Dollar ein. In Deutschland startete das Netflix-Drama gar nicht in den Kinos.

Trotz der starken Kritik an Netflix‘ Distributionsstrategie wurden sowohl der Film selbst als auch Nebendarsteller Idris Elba zunächst als starke Oscar-Kandidaten gehandelt. Als Beasts of No Nation dann bei den Nominierungen leer ausging, wurde das von vielen als Trotzreaktion  der Industrie auf das Geschäftsmodell von Netflix angesehen. Durch die Entscheidung, den Film gleichzeitig im Kino und online herauszubringen, habe sich Netflix die Chance auf den Oscar selber verbaut. Andere Experten der Filmbranche, darunter auch Variety , spekulierten dagegen, dass das Thema des Films für die amerikanischen Filmschaffenden vielleicht einfach zu „fremd“ gewesen sei. Auch die aktuelle Debatte um die „weißen Oscars“ und den Mangel an Diversität unter den Nominierten wurde mit der Vernachlässigung von Beasts of No Nation und Idris Elba in Verbindung gebracht. Tatsächlich ist es etwas auffällig, dass neben Netflix' Oscar-Hoffnung über einen afrikanischen Kindersoldaten auch Amazons erster eigener Spielfilm und Oscar-Kandidat Chi-Raq, ein musikalisches Drama von Spike Lee über die brutale Gewalt unter afro-amerikanischen Bandenmitgliedern in Chicago, bei den Nominierungen leer ausging. Und das, obwohl Chi-Raq immerhin ein paar Wochen exklusiv im Kino lief.

Nach den Oscars ist vor den Oscars

Für Netflix selbst muss das verlorene Oscar-Glücksspiel trotz allem nicht als Misserfolg gelten. Ganz abgesehen von den tollen Oscar-Chancen der Netflix-Dokus ist die Tatsache, dass Netflix‘ erster eigener Spielfilm überhaupt als Oscar-Kandidat gehandelt wurde, ein großer Erfolg. Beasts of No Nation wurde außerdem für einen Golden Globe, BAFTA und zwei Screen Actors Guild Awards nominiert, von denen Idris Elba eine Auszeichnung als bester Nebendarsteller mit nach Hause nahm. Insgesamt dürfte die Berichterstattung rund um die verschiedenen Filmpreise neue Interessenten auf den Streaming-Dienst aufmerksam gemacht haben und auch bei den Stars sollte Netflix' Bedacht auf Qualität einen guten Eindruck hinterlassen haben. Die Zukunftspläne des VoD-Anbieters lassen auf jeden Fall schon jetzt darauf schließen, dass Netflix sich bei den Oscars gerade erst warm macht. Netflix kaufte auf dem Sundance Film Festival einige interessante Indie-Produktionen ein und hat für 2016 mindestens 12 Filme in den Startlöchern. Mit Schauspielern wie Ellen Page (Juno), Jamie Dornan (Fifty Shades of Grey), Brad Pitt (Inglourious Basterds) und Ben Kingsley (Schindlers Liste) wird auch die Stardichte 2016 noch einmal erhöht.

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Nur auf die Konkurrenz sollte Netflix ein bisschen aufpassen. Amazon hat zwar noch nicht ganz so viele Eigenproduktionen im Programm wie der Streaming-Vorreiter, mit der Comedy Transparent und dem Comedy-Drama Mozart in the Jungle sahnte Amazon bei den letzten Emmy- und Golden Globe-Verleihungen jedoch mehr große Gewinne ab als Netflix. Auch dass Amazon im gleichen Jahr wie Netflix seine erste Spielfilm-Eigenproduktion und Oscar-Kandidaten auf den Markt bringt, beweist Amazons Entschlossenheit, in der Liga der Großen zu spielen. Wie Netflix setzt auch Amazon in Zukunft auf große Namen. So kommt der nächste Film des Riesenkonzerns, Paterson, beispielsweise von Kultregisseur Jim Jarmusch und hat mit Adam Driver einen Star Wars-Star in der Hauptrolle.

Unabhängig davon, ob die unkonventionelle Veröffentlichungsstrategie oder der schwierige Kampf um mehr Diversität der Grund für die versäumte Oscar-Chance von Netflix und Amazon ist, fest steht, dass wir frühstens in einem Jahr herausfinden werden, ob die Spielfilme der Streaming-Industrie bei den Oscars mitmischen können. Die Zukunftspläne von Netflix & Co. deuten aber darauf hin, dass die Niederlage in diesem Jahr alles andere als das Ende ihrer Oscar-Ambitionen bedeutet.

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