Die Fantasy Filmfest White Nights zeigen am letzten Januar- und ersten Februar-Wochenende 2025 erstmals den spanische Horrorthriller The Wailing von Pedro Martín-Calero im deutschen Kino. Wir konnten den Film bereits vorab sehen und sprechen eine Grusel-Empfehlung aus.
Der Horrorfilm The Wailing sträubt nicht nur die Nackenhaare eines Netflix-Stars
Ester Expósito erlangte als Carla in der Netflix-Serie Elite Bekanntheit. Mit dunkel gefärbtem Haar muss man in The Wailing allerdings zweimal hinsehen, um sie wiederzuerkennen. Der spanische Star spielt die Studentin Andrea, die eine Fernbeziehung zu ihrem Freund Pau (Àlex Monner) in Sydney führt. Beim nächtlichen Videochat holt das Grauen allerdings beide ein: Erst bemerkt Pau eine dunkle Silhouette hinter Andrea, dann muss die junge Frau beim nächsten virtuellen Treffen hilflos mitansehen, wie ihr Freund von ebenjenem Mann in Schwarz ermordet wird.
Weil niemand ihr glaubt, sucht Andrea auf eigene Faust die Wahrheit hinter der unheimlichen Präsenz. Das Wesen erscheint nur auf Bildschirmen und ist für das nackte Auge unsichtbar, aber dadurch nicht weniger tödlich. Offenbar reicht das Treiben des finsteren Verfolgers viele Jahre zurück und spielte auch im Leben der Filmstudentin Camila (Malena Villa als argentinische Kristen Stewart) und der wegen Mordes verurteilten Marie (Mathilde Ollivier) eine Rolle.
Andrea, Camila, Marie: Die Geschichten von drei jungen Frauen aus unterschiedlichen Zeiten verknüpft The Wailing in seiner Horrorspirale. Statt auf große Effekte setzt der spanische Film – mit Erfolg – lieber auf die stets unterschwellige Drohung am Rande des Blickfeldes bzw. Bildschirms. Schon Horrorfilme wie The Strangers verstanden, dass die zuverlässigste Gänsehaut nicht zwangsläufig in einem grotesken Monster, sondern in einer menschlichen Silhouette im Hintergrund wohnt, die von der Hauptfigur lange unbemerkt bleibt.
The Wailing: Nervenaufreibender Horror, selbst wenn nicht alles neu ist
In einer der unheimlichsten Szenen von The Wailing liegt Andrea im Bett. Weil sie mittlerweile entdeckt hat, dass ihr Verfolger nur auf Fotos, Videos und Bildschirmen sichtbar wird, wechselt sie
verängstigt immer wieder zwischen der Front- und Selfie-Kamera ihres Handys hin und hier. Irgendwann schläft sie doch ein. Während ihre Augen zufallen, verweilen die unseren aber auf dem kleinen Bildschirm. Und kurz bevor der Screen des Telefons sich von selbst ausschaltet, schiebt sich ein blasses Gesicht ins Bild.
Das Internetzeitalter hat neue Schreckensquellen für Horrorfilme hervorgebracht, wie soziale Medien, Videotelefonate oder überall präsente Kameras. The Wailing lehnt sich in den modernen Medienhorror, in dem technische Geräte Fluch und Segen zugleich sind. Werke wie Unknown User oder Influencer loteten unterschiedliche Facetten ferner Verbundenheit bereits aus und auch The Wailing begreift aktuelle Ängste nur zu gut, wenn Andrea beim Tod ihres Freundes zwar zusehen, aber nicht eingreifen kann.
Die Idee unsichtbarer Verfolger ist in Horrorkreisen natürlich nichts Neues. The Wailing ließe sich gut als Mischung aus Shutter und It Follows sowie Der Unsichtbare beschreiben. Nur weil ähnliche Ideen im Genre bereits ausgeleuchtet wurden, bedeutet das aber nicht, dass der spanische Film nicht trotzdem effektiv zum Gruseln einlädt.
Traumatische Begegnung: The Wailing als Horrorfilm mit weiblichem Dreh
Während sie in The Wailing Musik hören oder Videos drehen, fangen die Protagonistinnen in ihren Geräten immer wieder das titelgebende Wehklagen unbekannten Ursprungs auf. Die körperlosen, schluchzenden Frauenstimmen liefern den Soundtrack des Grauens, der sich zugleich als Thema über den Film legt.
Denn alle verfolgten Hauptfiguren sind Frauen, die ins Visier ihres männlichen Beobachters geraten. Und damit schlägt der Horrorfilm neben allen modernen Elementen trotzdem eine weibliche Urangst an, die weit vor alle technologischen Errungenschaften zurückreicht: Denn jede Frau muss sich früher oder später allein auf dem Nachhauseweg mit der Möglichkeit unhörbarer Schritte und tastender Hände auseinandersetzen.
Damit eröffnet The Wailing, in der Zeit springend, am Ende ein generationsübergreifendes Trauma, das heute noch genauso aktuell – und furchteinflößend – daherkommt wie vor Jahrhunderten. Und das ist bei weitem nicht die schlechteste Grundlage für einen wirklich gruseligen Horrorfilm.