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Raumschaffen - Die Vorbereitung des 90er Kinos

14.12.2014 - 23:32 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
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20th Century Fox
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Die 90er waren für so manchen unter uns eine Zeit medialen Erwachens. Wir sind aufgewachsen mit David Fincher und James Cameron. 2014 ist dieses Jahrzehnt nun auch wirklich weit genug weg, um es in einer Retrospektive zu betrachten - genau das ist der Plan, der dieser Reihe vorausgeht und ihren Anfang macht, indem sie erstmal einen ganz großen Schritt zurück geht.


In den 50er Jahren steht das alte Hollywoodkino vor dem Aus. Schuld daran sind zunächst weniger Krieg, Schrecken und Armut sondern die große Valium gegen allen Alltagsstress: Das Fernsehen. In nur zehn Jahren, zwischen 1949 und 1959, reduziert sich die Zahl der Kinogänger um die Hälfte! Zeit etwas zu ändern, denkt sich Hollywood und steigt erstmalig von seinem ziemlich hohen Ross, indem es den Networks erlaubt, die Filme ihrer Studios zu senden.

Um nicht ganz als Zuschauermagnat unterzugehen, legen die großen Studios außerdem eine gehörige Schippe nach - Cleopatra ist nicht nur für Elizabeth Taylor die Rolle ihres Lebens, sondern auch eines von vielen aufwendig produzierten, kostspieligen und mit viel guter Hoffnung belegten Filmen der frühen 60er Jahre. Der Begriff Blockbuster, man meint es kaum, taucht hier erstmals in filmischem Raum auf. Zuvor existiert er wohl, meint aber lediglich umgangssprachlich eine Bombe, die ganze Häuserreihen wegfegt. Bis heute gilt, dass ein Film der unter diese Kategorie fällt, beides sein muss: teuer und gewinnbringend, frei nach dem Motto "viel gibt viel".

Leider erreichen die Filme der Zeit diesen durchschlagenden Effekt nicht: Der Nachkriegsgesellschaft steht nicht der Sinn nach großem Kino und Musicals. Die einst uneingeschränkten Könige, die Studiobosse Hollywoods, müssen einsehen, dass es Zeit wird, das Zepter abzugeben.

Tatsächlich ist dies ein Prozess, der bis heute nicht ganz abgeschlossen ist, wie man daran sieht, dass erst Anfang 2000 MGM von Sony übernommen wurde. Nichts destotrotz beginnt Ende der 60er die Herrschaft der Medienmogule einerseits, die allgemeine ästhetische Verunsicherung führt jedoch andererseits zu der längst überfälligen Hinwendung zum europäischen Film, der neuen Welle, die aus Frankreich kommt und den Begriff des Auteurs konstituiert: Auch die Rolle des Regisseurs hat sich veröffentlicht.

Streng genommen gilt Easy Rider von Dennis Hopper als Einleitung in diese als New Hollywood bekannte Phase, auch Bonnie und Clyde gelten als tonangebend. Meilensteine dieser Zeit schaffen jedoch insbesondere Apocalypse Now, der Der Pate, beide in den 70ern und beide von Francis Ford Coppolla, sowie der sogar noch erfolgreichere William Friedkin. Mit Der Exorzist hohlt er den Horrorfilm aus den niederen Rängen des B-Movies in den er in den letzten Jahren abgestürzt war (sieht man mal von der Arbeit Alfred Hitchcocks ab) und diese Entwicklung ist nicht ganz unwesentlich, bedenkt man, dass es nicht zuletzt vage dem Horror zuordbare Filme sein werden, die einige der größten Momente des Mainstreamkinos der 80er und 90er Jahre geben werden.

Interessanterweise wird zwar der Film artifizieller, das Kino an sich aber konsumorientiertet. Hollywood schnuppert Morgenluft, man könnte behaupten das New Hollywood ist fast schon vorbei, kaum dass es richtig angefangen hat, denn nur drei Jahre nach dem Exorzisten werden plötzlich völlig neue Maßstäbe angelegt: Der Blockbuster ist zurück!

Steven Spielberg und George Lucas sind die beiden Wunderkinder des New Hollywood, die mit ihren Filmen Der Weiße Hai und Krieg der Sterne finanziellen Erfolg in Dimensionen heben, wie sie nicht einmal der große Kassenschlager Vom Winde verweht Ende der 30er kannte.

Lucas und Spielberg stehen in den 80er Jahren für kommerziellen Erfolg. Ende der 70er sorgt außerdem Ridley Scott mit Alien für Paradigmenwechsel: Der Horror hat sich nach dem Exorzisten ein weiteres mal neu erfunden und erstmals macht eine Frau den Actionheld. Mit Blade Runner, der 1982 eben mal so die Ästhetik des fast schon vergessenen Film Noir in die 80er überführt setzt er außerdem stilistisch Maßstäbe und das weit über seine Zeit hinaus,, ist er doch anerkannterweise wichtigeste Inspirationsquelle für den vielleicht prägendsten Regisseur der 90er, David Fincher. Überdies sind die 80er die Zeit eines vollkommen neuen Actionkinos, eingeleitet von Mad Max, Ende der 70er und mit James Camerons Terminator endgültig geprägt. Cameron wird es zudem sein, der mit Filmen wie The Abyss bereits in den 80ern mit den Möglichkeiten digitaler Nachbearbeitung experimentiert, die spätestens Mitte der 90er Wasser und Brot des Mainstreamkinos sind.

Die 80er sind die Jahre des Blockbuster, aber auch des großen, starken Mannes, der im Chaos die Kontrolle behält und einfach mal aufräumt. Es ist die Zeit für Arnold Schwarzenegger, Harrison Ford, Silvester Stallone, Mel Gibson. Alles darf wieder etwas größer, besser, aufgeblähter sein. Die Zeit, das hat Tschernobyl gesehen, erlebt wie das Wett-Rüsten zu einem Höhepunkt, ganz nah an der Atomkatstrophe kommt. AIDS ist auf einmal zum Thema geworden, im Iran öffnet sich ein neuer Konfliktherd, der bis heute nicht wirklich gelöscht ist...die späten 70er und so gut wie die ganzen 80er sind geprägt von dem Gefühl, dass eine Entscheidung die Lage radikal in die gute oder ungute Richtung kippen lassen kann. Radikal, bombastisch, anarschisch sind die Schlagworte und so sind die Filme, egal ob ich jetzt an Lethal Weapon (1987 -89) denke, an Low-Budget-Partys wie Conan der Barbar von 1982 oder überdrehte Komödien wie der Prototyp des Collegefilms Animal House (Ich glaub, mich tritt ein Pferd von 1978).

Es geht mehr, man kann sich aber auch vor mehr fürchten, das Fremde, sei es AIDS oder Russland oder Atombomben, wird zur Bedrohung und die Sehnsucht nach einem starken Held, der das Alien besiegt ist groß, aber auch der Wunsch nach seichter Ablenkung, familienfreundlicher Unterhaltung und dem Vorstoß in fremde Welten - Themen die kein Film besser in sich vereint als Steven Spielbergs E.T. - Der Außerirdische oder die Zurück in die Zukunft Reihe mit Michael J. Fox. Blockbuster ist auch immer ein bisschen Zeitgeist.

Gerade der Zeitgeist kann natürlich auch jede Menge Schrott produzieren. Schon zu Zeiten des New Hollywood wird deshalb fleißig an diesem schwer zu fassenden Amalgan des "Independent-Movies" gebastelt, die in den 80er Jahren beim Sundance Festival eine Stimme, durch Miramax eine kommerzielle Vertretung finden. Jedenfalls abseits vom Mainstream.

Irgendwo dazwischen findet jedoch noch eine dritte Entwicklung statt, die im Grunde der Verschmelzung von Kino und Fernsehen seit den späten 50ern Rechnung trägt - junge Filmer, die sich für das große Kino begeistern, aber ihr Handwerk über das Drehen von Videoclips und Spots erlernen und so auf sich aufmerksam machen. Nicht nur - aber ganz besonders für - David Fincher wird dies das große Sprungbrett, nicht zuletzt durch die Gründung von Propaganda Films.

Wenn man seine frühe Filmer-Kindheit damit verbracht hat, Streifen zu drehen, die ein bestimmtes Produkt (egal, ob das jetzt ein Auto oder Madonna ist), dann hat dass einen gewissen Impakt. Die MTV-Ära ist da und dass auf zwei Ebenen: Insbesondere das Musikvideo erreicht in den 80ern eine nie gekannte filmische Qualität, von der nicht nur Michael Jackson (siehe zb Thriller von 1982) profitiert und der Kinofilm nähert sich dem Musik- und Werbefilm an. Cuts werden schneller, Farben werden kühler, Technik wird präziser eingesetzt und überhaupt wird das, was sich mit Kamera, Licht und Schnitt leisten lässt beinahe gleichauf wichtig mit dem Inhalt.

Auch gesellschaftlich hat sich inzwischen einiges abgekühlt: Anfang der 90er fällt der Eiserne Vorhang, kurz darauf die gesamte SU; Bush und Jeltsin erklären den Kalten Krieg endgültig für beendet. Der Kalte Krieg ist vorbei, die Zeit des Internets hat begonnen. Ab 1990 wird es kommerziell und sein Nutzeranteil steigt von 1% auf phänomenale 50%...und das innerhalb von drei Jahren! Mit den zunehmend flächendeckenden Mobilfunknetzen wird das Handy (bedeutend langsamer als das Internet) populärer und mit ihm die Idee der sozialen Vernetzung. Es sind also einige Grenzen offen in den 90ern, auch in den Köpfen.


Und hier noch meine Quellen:

Biskind, Peter, "Sex, Lies and Pulp Fiction" Rogner&Bernhard GmbH&Co.Verlags KG, Berlin, 2005

Christen, Thomas, Robert Blanchet "Einführung in die Filmgeschichte" Schüren, Marburg, 2008

Heard, Christopher "James Cameron - Gelebte Träume" Burgschmiet Verlag GmbH, Nürnberg. 1989

Schnelle, Frank "David Fincher" Bertz Verlag GbR, Berlin. 2002


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