Spätestens seit Ridley Scotts Gladiator wissen wir, dass die Karriere eines Kämpfers häufig an einer einzigen Geste hängt: Der kaiserliche Daumen nach oben oder unten entscheidet über Leben und Tod. Im Streaming-Serienzeitalter ist das ganz ähnlich. Ab heute stellt sich Amazons aufwendiges Sandalen-Epos Those About to Die mit allen 10 Episoden dem Urteil der Öffentlichkeit. Und sogar Roland Emmerich bemüht sich als Regisseur um einen Daumen nach oben.
Amazons Those About to Die hat an der Startlinie die besten Aussichten
Those About to Die ist ein spannendes Serien-Projekt: Jahre nach Sandalenabenteuern wie Spartacus und Rom wagt sich die US-amerikanisch-deutsch-italienische Co-Produktion ins selten gewordene Monumental-Genre im alten Rom vor. Bekannte Stars wie Anthony Hopkins und Game of Thrones-Bösewicht Iwan Rheon nehmen uns mit in die Zeit von Brot und Spielen im Jahr 79, wo aufregende Pferderennen und Gladiatoren-Kämpfe die hungrigen Massen von der Rebellion ablenken sollen.
Serienschöpfer Robert Rodat (Der Soldat James Ryan) geht nach einem durchdachten Konzept für sein Gesellschaftsbild vor: Wir lernen die Epoche durch Menschen aus allen Ecken und Schichten des Römischen Reichs kennen, die in der Hauptstadt zusammenkommen.
- Kaiser Vespasian (Anthony Hopkins) regiert Rom und hat mit Titus (Tom Hughes) und Domitian (Jojo Macari) einen kämpferischen oder einen intellektuellen Sohn als Nachfolger in Aussicht.
- Die adelige Oberklasse der Patrizier teilt sich in die Fraktionen Blau, Weiß, Grün und Rot. Familien wie die von Antonia (Gabriella Pession) buhlen um Macht und Einfluss.
- In der Arena sind Rennfahrer wie Scorpus (Dimitri Leonidas) und Xenon (Emilio Sakraya) Stars, Pferdehalter wie die drei spanischen Brüder rund um Elia (Gonçalo Almeida) können sich im Sport beweisen und Gladiatoren wie Kwame (Moe Hashim) und Viggo (Jóhannes Haukur Jóhannesson) müssen um ihr Leben kämpfen.
- Die kriminelle Unterwelt der Arena samt Wettgeschäft kontrolliert wiederum Aufsteiger Tenax (Iwan Rheon).
- Sklaven dienen auf Baustellen, in Haushalten und als Gladiatoren-Futter – die nordafrikanische Mutter Cala (Sara Martins) folgt ihren drei entführten Kindern nach Rom.
140 Millionen US-Dollar soll Those About to Die laut Deadline gekostet haben. Das sieht man den Kostümen, Kulissen und Effekten durchaus an. Aber diese Opulenz nützt wenig, wenn die Serie uns dabei ihre Figuren nicht schmackhaft macht.
Those About to Die wird von eindimensionalen Figuren zu Fall gebracht
Roland Emmerich (Independence Day) stellt als Regisseur der ersten Episoden die Weichen. Als Aushängeschild für epische Action mag der deutsche Hollywood-Export funktionieren. Für das benötigte Fingerspitzengefühl bei der Einführung eines großen Ensembles ist der Moonfall-Filmemacher hingegen der Falsche. So bleiben die Menschen blasse Schachfiguren, die zwar die Handlung vorantreiben, aber selbst kein echtes Innenleben haben. Das Spektakel verkommt zu seelenlosen Schauwerten, bei denen die rasantesten Wagenrennen innerhalb kürzester Zeit anöden.
Der überzogen aufspielende Kaisersohn Domitian bedient beispielsweise alle Klischees eines queeren Bösewichts. Rennwagen-Rockstar Scorpus mag in Folge 1 noch als charmanter Trunkenbold und Weiberheld Interesse wecken, ist aber als potenzielle Identifikationsfigur in Wahrheit nur das geringere Übel. Selbst Charaktere wie Calas afrikanische Familie, die eindeutig als schicksalsgebeutelte Sympathieträger eingeführt werden, bleiben zu passiv, um ernsthaft Anteilnahme zu wecken. Dass man zwei der drei spanischen Pferde-Brüder nach acht Folgen immer noch nicht unterscheiden kann (und den dritten nur wegen seines Barts), liegt nicht nur an ihrer Ähnlichkeit, sondern vor allem an ihrer schwachen Charakterzeichnung.
Serien wie Game of Thrones haben bewiesen, dass sich einem sehr großen Ensemble glaubhaft Leben einhauchen lässt. Doch Those About to Die fehlen die dafür notwendigen, tiefgründigen Momente. Selbst unterbrochen von gelegentlich mitreißender Arena-Action ziehen sich 10 Episoden Ränkespiel, wenn sich niemand weiterentwickelt. Der böse Domitian bleibt abstoßend, der edelmütige Kwame rüttelt nie an seinem Heldensockel und der ambivalente Tenax ist in seiner Zwielichtigkeit enttäuschend vorhersehbar.
Mitzufiebern ist kaum möglich, wenn einem die Figuren egal sind. Statt sich auf die Stärken einer Serie – viele Stunden Zeit für einen vielschichtigen Charakteraufbau – zu konzentrieren, verfängt das Amazon-Format sich in kompliziert aufgebauten Intrigen, die am Ende gar nicht so kompliziert sind. Und Kämpfen, die ohne emotionalen Unterbau niemals die großen Vorbilder heranreichen können, allen voran Ridley Scotts Gladiator.
Amazons Sandalen-Epos verliert schon jetzt im Vergleich mit Gladiator 2
Da wirken selbst große Szenen plötzlich aufgesetzt, oder schlimmer noch: zusammengeklaut. Nacktheit, Gewaltspitzen und radikales Figurensterben haben wir in HBO-Serien wie Game of Thrones schon viel gesehen und einen Vulkanausbruch hat Die Ringe der Macht zuletzt besser hinbekommen. Selbst die Pferderennen wirken auf Dauer langweilig und unübersichtlich, wenn man sie mit dem 65 Jahre älteren Ben Hur vergleicht.
Eigentlich fasst der reißerische Vorspann Those About to Die tonal schon perfekt zusammen, wenn das Blut weiße Marmorstatuen überschwemmt: Subtile Gesten kennt diese Serie nicht. Entsprechend kindisch kichern zwei erwachsene Männer zwischendurch über den lateinischen Namen "Sextus", Diener kosten Pferdeäpfel und Höhepunkte wie ein geflutetes Kolosseum voller Alligatoren kippen ins Lächerliche.
Der Veröffentlichungszeitpunkt der Sandalen-Serie ist zugleich günstig und ungünstig gewählt. Günstig, weil das Interesse an römischer Action mit Ridley Scotts bevorstehender Gladiator-Fortsetzung hoch ist wie lange nicht mehr. Ungünstig, weil die Amazon-Serie im Vergleich mit Gladiator 2 nur verlieren kann, wenn schon den ersten Bildern und Trailer-Eindrücken des Kino-Spektakels mehr Charakter innewohnt als allen zehn Serienstunden. Und das, obwohl Serie und Film von dem Buch Those About to Die * von Daniel P. Mannix inspiriert wurden.
Der Titel "diejenigen, die kurz davor stehen, zu sterben" erhält am Ende eine unfreiwillige neue Bedeutung: Die Serie Those About to Die kämpft ums eigene Überleben (und um Staffel 2), während ihr unsere Gunst von Folge zu Folge weiter entgleitet. Bis der ermüdete Daumen am Ende nur noch nach unten zeigen kann.
Dieser Seriencheck zu Those About to Die entstand auf der Grundlage aller 10 Episoden der Amazon-Serie.
Podcast mit Those About to Die: Die 15 besten Serienstarts im Juli bei Netflix, Amazon und Co.
Ihr braucht noch mehr frische Streaming-Tipps? Die spannendsten Serien im Juli, die Netflix, Amazon, Disney+ und Co. zu bieten haben, stellen wir euch in der Monats-Übersicht vor:
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Die 15 Serien-Highlights im Juli umfassen Gladiatoren-Kämpfe bei Amazon Prime ebenso wie Netflix’ heiß erwartete Rückkehr der finalen Staffel Cobra Kai. Außerdem bekommt Natalie Portman eine eigene Serie und Grey’s Anatomy ist wieder da.
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