Django & 5 Biopics, die ihr statt dem Berlinale-Start sehen müsst

10.02.2017 - 09:20 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
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Der Leidenschaft von Jazzpionier Django Reinhardt wird Biopic und Berlinale-Eröffnungsfilm Django nicht gerecht. Fünf andere Biopics seien als sehenswerte Inspiration empfohlen.

Der viel zu früh verstorbene Django Reinhardt hat den europäischen Jazz wie kaum ein anderer beeinflusst, doch von künstlerischer Revolution, eben dem dynamischen "Streich", den ein Genie erstmal vollbringen muss, fehlt im Biopic Django jede Spur. Darin wird der Gitarrist zum Helfer der Résistance gegen die Jazz hassenden Nazis stilisiert. Django eröffnete gestern den Wettbewerb der Berlinale 2017 und es schwante mir Böses mit Blick auf die diversen Biopics, die es unter Aufsicht von Festival-Chef und Cine-Foodie Dieter Kosslick ins Programm geschafft haben. Nach Django kann es eigentlich nur besser oder eben bedeutend schlechter im kommenden Wettbewerb werden. Mich brachte das Regiedebüt von Produzent und Drehbuchautor Etienne Comar zu ein paar Gedenkminuten für all jene Biopics, die sich auf der Statur und Bekanntheit ihrer potenziellen Hauptfiguren nicht ausruhen. Keine 117 Gedenkminuten waren das, aber wenigstens fünf.

Dabei könnte die Ausgangsidee von Django die selbst angelegten Ketten des Genres abwerfen. Ein Pendant des Édith Piaf-Schmökers La Vie en rose erwartet den geneigten Jazz-Fan nämlich nicht. Anstatt Django Reinhardts Jugend in den Sinti-Siedlungen zu streifen, deren Traditionen sein Gitarrenspiel so prägen sollten, springt Django ins Jahr 1943. Im besetzten Paris spielt der Künstler vor Wehrmachtssoldaten. Um Politik und Krieg können sich andere kümmern. Doch die Verfolgung der Sinti und Roma drängt sich auch ins Blickfeld des Virtuosen (Reda Kateb). Auf Drängen seiner Geliebten Louise (Cécile de France) wagt Django nach (sehr) langem Zögern die Flucht in die Schweiz. Grundlage bildet eine fiktive Biographie von Alexis Salatko, der die spärliche Informationslage nutzte, um den Wegweiser des Jazz Manouche in einen Romanhelden zu verwandeln. Nur erstickt das in jedem Frame spürbare Verantwortungsbewusstsein (ein! Film! über! Django! Reinhardt!) jedweden Thrill. Die präsentierte Fiktion setzt sich, wie so viele Biopics, die eigenen kreativen Grenzen behaglich eng. Musikszenen werden selbst in den obligatorischen Details an den Saiten in einem Gestus ehrerbietiger Distanz abgerollt. Als säße man höchst aufmerksam im Saal und auf der Bühne spielt eine Stereo-Anlage. Als tagesaktueller Film über einen berühmten Flüchtling bemüht sich das Drehbuch wiederum kaum, den Nimbus des Genius' zu perforieren. Die CD läuft in der Dauerschleife.

Biopics sind die Prestige-Filme par excellence, kaum ein Oscar-Jahrgang, kaum ein Festival-Wettbewerb rafft sich ohne sie über die Ziellinie. Entsprechend geht eine Schockstarre mit der Aufgabe einher, ein allseits bekanntes Leben auf Zelluloid bzw. DCP zu bannen. Karrierestationen müssen abgehakt, biografische Anekdoten untergebracht werden. In Django gerät eine erniedrigende ärztliche Untersuchung des aus Nazi-Sicht "niederen" Menschen zum Wikipedia-Stichpunkt über Djangos durch ein Feuer verstümmelte linke Hand. Ein Befreiungsschlag von den Fakten, wie ihn Django nur im Schein ausübt, kann indes das Beste sein, was einer biographischen Annäherung passieren kann.

Miles Ahead

Miles Ahead von 2015 widmet sich ebenfalls einem Meister des Jazz. Die rasante Räuberpistole von und mit Don Cheadle gibt sich allerdings so, als hätte jemand versucht, das Gefühl zu verfilmen, von Miles Davis' Diskografie überwältigt zu werden. Intim ist das und allumfassend für den Zuhörer, dem Sketches of Spain oder Bitches Brew als filmische Adrenalinspritze ins Musik liebende Herz fahren. Mit Ungenauigkeiten und Freiheiten werden in Miles Ahead die Barrikaden der Legendenbildung abgebaut, um eine originelle Interpretation hinzuzufügen. Was sollen Biopics schließlich liefern, wenn nicht Interpretationen? Ein fotorealistisches Porträt von Miles Davis bleibt Miles Ahead schuldig, dafür schenkt uns der Film eine dynamische Skizze von Don Cheadles Vision von Miles Davis.

Bound for Glory - Dieses Land ist mein Land

Was uns, liebe Leser, nach langem Warten in diesem Berlinale-Tagebuch zum Kern bringt, um den sich jeder Text über Django Reinhardt oder Miles Davis drehen muss: Lady Gaga. Die stimmte beim Super Bowl am vergangenen Sonntag in einem der politischeren Momente ihrer Half-Time-Show "This Land is Your Land" an. 1944 nahm Woodie Guthrie die kritische Replik zu "God Bless America" auf und sie passte 2017 trotzdem touchdowngenau ins politische Klima. Die Zeitlosigkeit von Guthries Folk-Songs liegt auch Dieses Land ist mein Land von 1976 zugrunde. David Carradine zieht in dem Hal Ashby-Film als Volkspoet durch die Steppen der Großen Depression und singt vom Leid der kleinen Leute, deren fruchtbares Land unter ihren Händen vertrocknet ist. Mythenbildung wird in dem Biopic unaufdringlich betrieben. Greifbar erscheint dafür die entbehrungsreiche Epoche, die Guthrie hervorbrachte.

Yankee Doodle Dandy

Nun ist es ausgesprochen unfair, einem Film vorzuhalten, dass James Cagney nicht die Hauptrolle spielt. Yankee Doodle Dandy allerdings gibt ein feines Beispiel für die Art Biopic ab, in dem der eigentliche Star des Film der eigentliche Star des Films ist und bleibt. Persona übertrumpft Imitation in diesem Fall. George M. Cohan, der Vater der amerikanischen Musical-Komödie, bot die Inspiration, der singende und tanzende James Cagney verhalf Regisseur Michael Curtiz zum Meisterwerk. Noch ein Grund, Yankee Doodle Dandy jedem angehenden Biopic-Regisseur zu zeigen: Als Goldstandard des klassischen Hollywood-Kinos macht das Musical dem Wirken des "Mannes, der den Broadway besaß" alle Ehre.

Velvet Goldmine

Im Bob Dylan-Film I'm Not There setzte Todd Haynes die Regeln des konventionellen Biopics außer Kraft. Einen alternativen Ansatz bietet auch Velvet Goldmine von 1998. David Bowie und Marc Bolan verschwimmen im fiktiven bisexuellen Künstler Brian Slade (Jonathan Rhys Meyers), dessen Leben und Zeit durch ein Prisma interviewter Weggefährten und Beobachter aufscheint. Glam Rock und schwule Kultur der 70er Jahre erstehen dank der - nicht zuletzt wegen drohender Klagen erzwungenen - Distanz zu den realen Vorbildern auf, surreal und überhöht, wie es sich gehört. Haynes spielte übrigens schon in den frühen Jahren seiner Karriere mit dem Biopic-Format. Im Kurzfilm Superstar: The Karen Carpenter Story stellt er das Leben der The Carpenters-Sängerin mit Barbie-Puppen nach.

24 Hour Party People

Fans von Joy Division schwören womöglich auf den Ian Curtis-Film Control. Fünf Jahre vorher tauchte Michael Winterbottom in 24 Hour Party People in die fruchtbare Musikszene von Manchester ab. Aus der (nicht sonderlich ernsten) Sicht von Factory Records-Gründer Tony Wilson (Steve Coogan) streift 24 Hour Party People den Aufstieg von Joy Division, New Order und Happy Mondays und ordnet sich in seiner Erzählung ganz dem Anarcho-Geist der ausgehenden Punk-Ära unter, inklusive Kommentar, der sich direkt an den Zuschauer richtet. Comedian Steve Coogan lag 2002 fürs Casting eines Biopics nicht unbedingt nahe, zeigte sich als Geschichtenspinner Wilson dafür als idealer Partner, der Winterbottoms, nun ja, drögere Tendenzen abmildert. Den blutlosen Django hätte aber auch Steve Coogan nicht gerettet.

Hier geht's übrigens zum Berlinale-Kritikerspiegel von critic.de .

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