Grey's Anatomys Abschied von Alex zerstört 15 Jahre Seriengeschichte

09.03.2020 - 12:30 UhrVor 4 Jahren aktualisiert
Grey's Anatomy: Alex Karev (Justin Chambers)ABC
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Es war ja zu erwarten, dass der Ausstieg von Alex Karev aus Grey's Anatomy kein Zuckerschlecken wird. Aber was die Serie da zusammengebastelt hat, ist wirklich unerhört.

Achtung, Spoiler zu Staffel 16 von Grey's Anatomy: Eigentlich sollte ich nach 16 Jahren mit Grey's Anatomy einiges an hanebüchenen Handlungsträngen gewohnt sein. Schließlich habe ich in der Geschichte der Ärzteserie schon Amokläufe, aus dem Krieg zurückgekehrte totgeglaubte Liebhaber, Flugzeugabstürze und dramatische Operationen in Fahrstühlen überstanden. Das gehört einfach dazu.

Als die Meldung von Justin Chambers Ausstieg die Runde machte, war mir also gleich klar, dass da ein schwerer Abschied anstand, der ein emotionales Loch in die Serie reißen würde. Was jetzt dabei herausgekommen ist, hat aber selbst meine recht hoch angesetzte Toleranz für unerhörte Wendungen erschüttert.

Alex bringt Grey's Anatomy in Staffel 16 in Erklärungsnot

Wer Grey's Anatomys bizarre Erklärung für Alex' Weggang noch nicht mitbekommen hat: Alex Karev (Justin Chambers) verlässt in Folge 16 von Staffel 16 (Leave the Light on) Seattle, seinen Job, seine Kollegen und Freunde sowie Ehefrau Jo, um mit Izzie Stevens (Katherine Heigl) auf einer Farm in Kansas zusammen zu sein.

Alex Karev: Grey's Anatomy sagt Tschüss

Ja, das ist die Izzie Stevens, die ihn am Ende von Staffel 6 vor zehn Jahren krebskrank für den Geist von Denny Duquette verlassen hat. Ach ja, und zwei Kinder wurden den beiden auch noch angedichtet. Nach der Trennung hat Izzie zwei eingefrorenen Eizellen ausgetragen. Nur wusste Alex nichts davon. Tja. Wer kennt das nicht?

Ich verstehe, dass die Showrunner rund um Krista Vernoff es nicht leicht hatten, sich etwas für Alex' Abgang auszudenken. Justin Chambers Ausstieg wurde schließlich im Januar 2020 bekannt, als seine letzte Episode Grey's Anatomy im November 2019 schon gelaufen war. Für eine nachgelieferte Erklärung mussten sie also etwas finden, ohne dafür nochmal auf den Schauspieler zurückzugreifen.

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Aber Alex Karev in Nostalgie und Schmalz zu ertränken, war definitiv nicht der richtige Weg für den Grey's Anatomy-Abgesang. Da kann Ellen Pompeo noch so oft auf Instagram  posten, dass die Rückbesinnung auf den Anfang die "bestmögliche Storyline" sei.

Ich lasse mich von Grey's Anatomy nicht mehr emotional erpressen

Schon das Ankündigungsvideo zu Alex' Abschied hatte alles daran gesetzt, meine Tränendrüsen zu melken. Die Episode stieg also tief in die Vergangenheit des Arztes ein, um seine vorgelesenen Abschiedsbriefe an Meredith, Miranda und Jo mit reichlich altem Karev-Material aus 16 Serienstaffeln zu unterfüttern.

Die Abschiedsepisode ist getränkt von Rückblenden. Sie ist sogar fast zur Hälfte aus alten Aufnahmen zusammengestückelt, die bis in die 1. Staffel von Grey's Anatomy zurückreichen und sich danach durch alle Seasons ziehen. Doch das ist leider zu viel des "Guten".

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Der offenkundige Manipulationsversuch, der Zuschauer möge Alex doch sein neues Glück gönnen, ging zumindest bei mir persönlich nicht auf. Normalerweise vermag Grey's Anatomy es zuverlässig, meinen Taschentuchverbrauch konstant aufrecht zu erhalten. Aber diesmal herrschte Dürre.

Alex' noch einmal lang und breit aufgegriffene lange Leidensgeschichte und die Liebe zu seinen nagelneuen Kindern, die letztendlich das Zünglein an der Entscheidungswaage zwischen zwei verehrten Frauen gewesen sein sollen, führten mir stattdessen nur vor eines vor Augen: Wie entgegen seiner gesamten Figurenentwicklung diese falsche Wahl ist.

Grey's Anatomy löscht in einer einzigen Folge eine 15-jährige Charakterentwicklung aus

Das Problem liegt hier vor allem in der Unglaubwürdigkeit, dass die Figur Alex sein altes Leben einfach so hinter sich lassen würde. Am Anfang der 16. Staffel von Grey's Anatomy hatte er gerade erst die Ehe zu Jo (Camilla Luddington) erneuert. Er wollte sein eigenes Krankenhaus, Pacific Northwest, aus der Misere führen. Er war glücklich.

Die abrupte Kehrtwende, die sich hier mit seinem feigen Davonlaufen, den passiven Abschiedsbriefen und seinem Sich-nicht-noch-einmal-blicken lassen präsentiert, passt einfach nicht ins Bild.

Grey's Anatomy: der frühe Alex mit Izzie & Cristina

Erst recht, wenn wir uns den erstaunlichen Wandel seines Charakters vor Augen führen. Denn Alex war in Staffel 1 von Grey's Anatomy noch ein unausstehlicher Macho, der sich durch die halbe Krankenhausbelegschaft schlief. Nur langsam wurde er zum Freund und Vertrauten und schließlich sogar zu Merediths Cristina-Ersatz, ihrer "Person".

Die Läuterungsgeschichte wird zerstört, egal wie verständnisvoll Richard sich in seinem AA-Meeting zeigt, weil er selbst einst zwischen zwei Frauen stand und seine Tochter erst Jahre später kennenlernte.

Tschüss, Alex: Grey's Anatomy fällt ideenlos in alte Schemata zurück

Bei genauer Betrachtung greift Grey's Anatomy mit diesem Alex-Abschieds-Kniff auf ein altbekanntes Schema zurück: Seit einigen Jahren dürfen beliebte Charaktere nicht mehr sterben, sondern werden stattdessen anders aus der Serie geschrieben.

Grey's Anatomy: Justin Chambers als Alex Karev

Dieser alternative Weg zur Figuren-Entledigung scheint es nun zu sein, in einem billigen Trick auf ebenfalls ausgestiegene Ex-Lover zurückzufallen. April Kepner (Sarah Drew) fand vor ihrem Ausstieg wieder mit Matthew Taylor (Justin Bruening) zusammen. Arizona Robbins (Jessica Capshaw) versöhnte sich erneut mit Callie Torres (Sara Ramirez). Und sogar Cristina Yang (Sandra Oh) feierte in der Schweiz nochmal ein Wiedersehen mit Burke (Isaiah Washington).

Soll ich jetzt getröstet sein, dass die Ausgeschiedenen off-screen ihr Glück mit anderen Ausgestiegenen finden? Nicht, wenn ihre Handlungen nicht ausreichend motiviert sind. Das scheint Grey's Anatomy insgeheim auch selbst zu wissen, denn der letzte Satz der Folge lautet "There is really no good way to say goodbye": Es gibt keinen guten Weg, sich zu verabschieden.

Grey's Anatomy: Kein Jolex mehr

Was wäre die Alternative gewesen? Ich weiß es nicht. Doch ich glaube, ich hätte Alex lieber unter den Toten von Grey's Anatomy gesehen und dann ehrlich beweint, als ihn sich in seiner letzten Abschiedsepisode zum Arschloch zurückentwickeln zu sehen. Denn auch ein Briefe schreibendes Arschloch bleibt ein Arschloch.

Solch ein unsympathisches Vermächtnis hat Justin Chambers' Alex Karev nach 16 Staffeln bei Grey's Anatomy einfach nicht verdient.

Podcast für Serien-Fans: Wer Serien abbricht, ist kein schlechter Mensch

In der neuen Folge Streamgestöber - auch bei Spotify  - gehen Max, Esther und Melanie tief an die Substanz ihrer Fan-DNA: Ab wann ist es okay, eine Serie abzubrechen? Und dürfen wir im Zweifelsfall sogar eine Staffel überspringen?

Supernatural, Grey's Anatomy und The Walking Dead laufen insgesamt schon 40 Jahre. Müssen wir in Zeiten des anhaltenden Peak-TVs vielleicht viel schneller einen Schlussstrich unter geliebte Serien ziehen? Oder sollten wir bis zum bitteren Ende dranbleiben?

Welche Wahl hättet ihr getroffen, um Alex aus Grey's Anatomy herauszuschreiben?

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