Jahresrückblick – Die besten Filme 2014

31.12.2014 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Gene Jones, Prinzessin Kaguya und Kristen Stewart
Constantin/Universum/NFP
Gene Jones, Prinzessin Kaguya und Kristen Stewart
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Einige der besten Filme des Jahres gab es 2014 wieder einmal nicht im Kino zu sehen. Was aber gut passt zu den vielen Abschiedsgesten in ihnen. Und an der Spitze dieser Auswahl steht ein Film, in dem Hollywood brennt – auch das ist kein Zufall.

Zuerst ein seltsames Geständnis: Kein aktueller Film gefiel mir 2014 so gut wie mir die erste Staffel True Detective gefiel. Glücklich aber macht mich das nicht. Es müffelt schwer nach jener Phrase, der zufolge das einst "neue" Qualitätsfernsehen nicht nur eine Alternative zum Filmangebot darstelle, sondern überhaupt das bessere Kino sei (vollkommen sinnfrei, dieses Gegeneinanderausspielen, eh klar). Wenn ich aber noch einmal rekapituliere, was genau ich an der HBO-Serie so mochte, dann ist es ja gerade deren Rückgriff auf eigentlich genuine Kinostärken. Und ich glaube auch nicht, dass man sich um das US-amerikanische (Genre-)Kino ernsthaft sorgen muss. Es sollte vielleicht nur mehr darum bemüht sein, sich seine Stärken wieder zueigen zu machen. In diesem Fall meint das: So materialbewusst arbeiten wie es die auf 35mm gedrehte erste Staffel True Detective tat, so wunderbar erwachsen und unzuverlässig erzählen wie diese. Und keine Komplexität, erst recht keine Unbestimmtheiten scheuen.

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Wahrscheinlich ist es daher auch konsequent, wenn meine persönliche Top Ten eher einen Rückblick aufs Film- statt Kinojahr 2014 wirft. Under the Skin etwa hat es in Deutschland bekanntlich nur über Umwege auf große Leinwände geschafft. Die meisterhafte Horrorkinoparaphrase Resolution - Cabin of Death ging als DVD-Premiere sang- und klanglos unter. The Sacrament wiederum ist ein weiterer Film von Ti West, dem die deutsche Kinoauswertung verwehrt blieb. Boyhood wirkte aufgrund seiner unvergleichlichen Produktionsspanne und ihrer entsprechenden Affekte tatsächlich schon nicht mehr wie Kino, sondern das Leben selbst. Und ein anderer Film dieser Auswahl ist lediglich im Rahmen gebührenfinanzierter Fernsehunterhaltung entstanden, obwohl Polizeiruf 110: Smoke on the Water jeden deutschen Kinofilm 2014 ästhetisch und narrativ mühelos zu überragen wusste. Wie ich jedoch schon an anderer Stelle anklingen ließ, spielen primäre Auswertungsstätten und –Medien für mich ohnehin eine zunehmend untergeordnete (oder zumindest durcheinander gebrachte) Rolle.

Berührung kraft Filmmontage

In dieses vage Kinoabschiedsdenken wirkte dann sogar ein ganz konkretes Ende hinein, nämlich das der Regiekarriere von Hayao Miyazaki. Und sogleich ließ dessen 1985 gegründetes Animationsstudio Ghibli auch noch verlautbaren, zunächst keine Filme mehr produzieren und eine längere Umstrukturierungspause einlegen zu wollen. Wehmut vorprogrammiert, wenn nicht gar ausdrücklich erwünscht. Indirekt macht die atemberaubend schöne, zugleich gefährlich fragile Animation des erst einmal vorletzten Ghibli-Films Die Legende der Prinzessin Kaguya zudem einen drohenden Verlust kenntlich, sollte das Traditionsunternehmen tatsächlich nur noch den eigenen Nachlass verwalten. Und dann gibt es da auch noch all diese Fluchtbewegungen und Gesten des Wiedersehens, vor allem aber dieses ungeheure Schlussbild, in dem die Titelheldin, in dem der Film, in dem vielleicht sogar das Studio Ghibli selbst die Welt ganz einfach hinter sich zurücklässt.

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Ums Abschiednehmen (oder genauer: um eine institutionell verunmöglichte Abschiednahme) geht es auch in Philomena, der von einer Frau erzählt, die ihren unehelichen Sohn im erzkatholischen Irland der 1950er-Jahre zur Zwangsadoption freigeben und sich für ihre vermeintliche Sünde im Kloster abschuften musste. Ein halbes Jahrhundert später beginnt schließlich ihre Suche nach dem verlorenen Kind in Übersee. Die große Tragik dieser unbegreiflichen, nur eben leider allzu wahren Geschichte will es, dass Philomena lange Zeit selbst von ihrem Sohn gesucht worden ist, er dabei aber ebenso absichtlich falsche Auskünfte erhalten hatte wie sie. Stephen Frears zeichnet folglich eine geographische und historische Kreisbewegung nach, bei der die Beziehung zwischen Mutter und Sohn eine ideelle bleiben muss – obwohl es kraft Filmmontage doch zu einer gemeinsamen Berührung kommt. Das ist ein Film, der mich trotz seiner etwas gefälligen Inszenierung sprachlos gemacht und erschüttert zurückgelassen hat. Und der nicht nur Philomena Lee, sondern auch Judi Dench ein Denkmal setzt.

Der banale, bittere Tod

Weg von bitteren Abschiedgesten, hin zu fatalen Gründungsbewegungen. Zum Leidwesen einiger Ultrakunstverächter habe ich in den letzten Jahren kaum eine Gelegenheit verstreichen lassen, auf die wundervollen Filme des nun glücklicherweise schon länger nicht mehr als Geheimtipp gehandelten Independent-Auteurs Ti West hinzuweisen. 2014 soll da keine Ausnahme bilden, obgleich The Sacrament in dessen bisherigem Schaffenswerk sicherlich geringere Bedeutung zukommt. Als hintersinnige Mockumentary und eben nicht bloßer Found-Footage-Film ist seine Quasinachstellung der verheerenden Ereignisse im sogenannten Volkstempel Jonestown eine Stilübung, deren Witz sich aus ihrer Form ergibt. Das allerdings auf hohem, ausgesprochen gewieften Niveau: Ti Wests Nicht-Dokumentation ist von beinahe genüsslich-grobschlächtigem Charakter, und sie bringt das als Hipsterpostille verpönte Lifestyle-Magazin VICE, als dessen Produkt sich der Film ausgibt, wahrlich nicht zu besonderen Ehren.

Am Interessantesten aber ist The Sacrament in seiner fast beiläufigen Analyse des Bösen. Wie sich der schlicht Father genannte Tempelführer hier als liebevoller Patriarch einer von technologischen Fortschrittzwängen und politischer Ökonomie befreiten Exilgesellschaft geriert, wie er seine Anhänger mit einer neureligiösen Utopie antikapitalistischen Lebens lockt und sie doch alle nur in einen banalen, bitteren Tod schickt, erscheint als Bild über Demagogie wesentlich klüger, als man es Genrekino für gewöhnlich zugestehen mag. The Sacrament ist also auch ein Film über den schmalen Grat zwischen Prominenz und Maßlosigkeit, der alles verführerisch (und vermeintlich) Vorbildhafte schnell in todbringendem Exzess aufgehen lässt. Und darin ähnelt Ti Wests Film vielleicht sogar jener jüngsten Regiearbeit von David Cronenberg, die zwar über sektenhafte Galionsfiguren ganz anderer, aber deshalb nicht weniger bestialischer Art erzählt: Hollywoodmenschen.

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