Beginnen wir mit etwas Positivem: The Boys hat mich auch in Staffel 4 wieder fantastisch unterhalten. Kaum eine aktuelle Serie im Superhelden-Genre (Marvel, du bist gemeint!) ist so dicht und spannend geschrieben wie Amazons Superhelden-Satire. Dass nahezu alle wichtigen Charaktere aus dem gewaltigen Cast von 15 Hauptfiguren eigene Storylines und Charakterentwicklungen bekommen, ist eine beachtliche Leistung. Achtung, Spoiler:
Egal, ob Doppelgänger-Cunnilingus, Musical-Massaker, fleischfressende Horror-Schafe oder die ein oder andere Lobotomie: Die 4. Staffel The Boys ist wieder gewohnt brutal, eklig und wahnsinnig. Ich habe geweint, gelacht und so einige Male mit heruntergefallener Kinnlade vor meinem Fernseher gesessen. Dennoch wurden im Verlauf der acht neuen Episoden drei Probleme sichtbar, die den Supe-Genuss etwas trüben. Mein Fazit zu Staffel 4:
Problem Nummer 1: The Boys wird in Staffel 4 zu repetitiv
Nach mittlerweile vier Staffeln zeigt das Format The Boys leider ein paar Ermüdungserscheinungen und lässt ein Muster erkennen, nach dem die Amazon-Serie aufgebaut ist. Soll heißen: Mitunter wirkt es so, als würde das Drehbuch-Team eine Art Bingo-Karte abarbeiten, was Fans von einer The Boys-Staffel erwarten.
Vielleicht will The Boys nicht von der etablierten Erfolgsformel abweichen. Ich bin der Letzte, der sich beschwert, wenn es mal wieder völlig überzeichnete Gewaltspitzen und Sexhumor an der Ekelgrenze zu bestaunen gibt. Doch in diesem Jahr fällt auf, dass es der Serie immer schwerer fällt, sich selbst an WTF-Ideen zu übertrumpfen.
Stellenweise wirkt es, als würde The Boys auf Autopilot laufen, wodurch sich besonders auf Charakterebene eine unschöne Repetition einstellt. So stecken Kimiko (Karen Fukuhara) und Frenchie (Tomer Capon) mal wieder in der Aufarbeitung ihrer traumatischen Vergangenheit fest, Homelander (Antony Starr) überschreitet weiterhin nie die Schwelle zur kompletten Eskalation und es gibt immer noch keinen Grund, warum The Deep (Chace Crawford) überhaupt noch Teil der Serie ist.
Natürlich betrifft das nicht alle Charaktere, doch nur in den seltensten Fällen wagt The Boys in dieser Staffel wirklich radikale Fortschritte in der Figurenentwicklung – wie zum Beispiel Butchers psychischer und moralischer Zerfall. Vielmehr wirkt Staffel 4 so wie die Ruhe vor dem Sturm, wie ein langer Prolog für den epischen Abschluss der Geschichte in Staffel 5.
Problem Nummer 2: The Boys fehlt der Fokus
Das Herzstück von The Boys ist seit Beginn der Konflikt zwischen Billy Butcher (Karl Urban) und Homelander, die seit Staffel 2 darum buhlen, den jungen Ryan auf ihre jeweilige Seite zu ziehen. In der neuen Season ist es leider auffällig, dass die beiden Kontrahenten künstlich getrennt gehalten werden, um ihre unvermeidbare und vermutlich tödliche Konfrontation hinauszuzögern.
In Staffel 4 sind Homelander und Butcher größtenteils mit sich selbst beschäftigt. Der Seven-Anführer werkelt an seinen Plänen für eine Machtübernahme der USA, während Butcher einem Virus nachgeht, das Homelander (und alle anderen Supes) töten kann. Es fehlt den neuen Folgen aber nicht nur an spannenden Konfrontationen zwischen den beiden wichtigsten Hauptfiguren, sondern auch an einer klaren Geschichte.
Schaut hier nochmal den Trailer zu The Boys Staffel 4
Gerade im Vergleich zur 3. Staffel wirkt Staffel 4 oft unfokussiert. Hatten wir zuvor noch eine klare Struktur durch die Suche nach Soldier Boy und den Mitgliedern seiner früheren Payback-Truppe, verliert sich The Boys diesmal zu sehr in (trotzdem interessanten) Nebenhandlungen.
Natürlich ließ sich erkennen, dass das Ziel der Season die Vorbereitung eines Attentats auf den Präsidenten und eine anschließende Machtübernahme durch Victoria Neuman (Claudia Doumit) war – ein Plan, der im Finale gnadenlos nach hinten losging. Doch nur ein Bruchteil der vielen Nebenplots stand damit schlussendlich in Verbindung.
Problem Nummer 3: The Boys legt zu viel Wert auf Politsatire
Dass The Boys nicht nur Superhelden-Franchises und Popkultur aufs Korn nimmt, sondern auch die politische Spaltung der US-Gesellschaft, kommt nicht überraschend – immerhin war schon in Staffel 2 ein buchstäblicher Nazi-Superheld Teil der Seven. Doch mit Staffel 4 legt die Amazon-Serie den Finger noch tiefer in die Wunde als je zuvor.
Der eskalierende Konflikt zwischen Hometeamern (Republikanern) und Starlightern (Demokraten) nahm mir persönlich in Staffel 4 viel zu viel Raum ein. Jedes Mal, wenn Alt-Right-Heldin und Super-Verschwörungstheoretikerin Firecracker (Valorie Curry) den Mund öffnete, wurde mir schlecht. Ihre rassistischen, homophoben und transphoben Dauerparolen waren einfach nicht witzig, sondern verstörend. Das Problem an dem satirischen Blick auf rechtskonservative MAGA-Wähler: Das ist leider schon keine Satire mehr.
Während The Boys in der Vergangenheit mit bitterbösem Spaß begeisterte, ist die Serie in Staffel 4 nun zu nah an der traurigen Realität. Natürlich gibt es auch diesmal wieder ein paar schräge Abrechnungen mit der Popkultur, wie die Präsentation der Phasen 7 bis 19 (!) des Vought Cinematic Universe oder dem Marketingkonzept für Ryans Superheldenzukunft. Letzten Endes kam mir dieser essenzielle Teil der The Boys-DNA aber zu kurz.
Die Rettung: The Boys Staffel 4 stimmt mit epischem Cliffhanger auf das Finale ein
Das klang jetzt alles natürlich sehr negativ. Aber seien wir ehrlich: Bei The Boys ist das Meckern auf hohem Niveau. Selbst eine durchschnittliche The Boys-Staffel würde ich jeden Tag einem weiteren Secret Invasion-Ausfall vorziehen. Und spätestens mit dem Finale ist die Superhelden-Satire auch in dieser Staffel wieder direkt auf meine Liste der besten Serien des Jahres gewandert.
Auch ohne spektakuläres Superhelden-Gemetzel oder einen schmerzhaften Hauptfiguren-Verlust, hat mich der Abschluss von Staffel 4 komplett vor den Fernseher gebannt. Denn noch nie wurde in The Boys der Status Quo so radikal verändert, wie in den letzten Minuten von Folge 8.
Sowohl die Erzählwelt als auch jeder einzelne Charakter wird durch den gewaltigen Cliffhanger mit riesigen Veränderungen konfrontiert. Brutale Superhelden haben plötzlich einen Freifahrtschein, Jagd auf Menschen zu machen, die Boys landen in Gefangenschaft und Billy Butcher ist auf dem besten Weg, der Endgegner der Amazon-Serie zu werden.
Die 4. Staffel endet mit dem Slogan "Make America super again". Mein Wunsch für die Amazon-Serie und das bevorstehende Serienfinale ist hingegen: Make The Boys super again. Nach dem Gänsehaut-Finale von Staffel 4 habe ich allerdings wenig Bedenken. Der Mega-Cliffhanger ist nämlich ein knalliges Versprechen: Staffel 5 könnte die beste werden.