Wer sich auf die Harry Potter-Serie freut, liegt falsch und ausgerechnet das neue Leonardo DiCaprio-Epos zeigt den Grund

28.05.2023 - 14:00 Uhr
Harry Potter und der Stein der Weisen
Warner Bros.
Harry Potter und der Stein der Weisen
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Die Harry Potter-Serie kommt und J.K. Rowling verspricht eine vorlagengetreue Adaption. Kein Grund zur Freude, wie das neue Leonardo DiCaprio-Epos Killers of the Flower Moon zeigt.

Letzten Monat wurde der Reboot der Harry Potter-Reihe in Form einer Serie angekündigt. Fans reagierten gespalten, nicht zuletzt, weil die mit ihren transfeindlichen Aussagen auffallende Autorin J.K. Rowling daran mitverdienen wird.

Ausgehend von vielen euphorischen Stimmen im Netz existieren noch genügend Hogwarts-Fans, die sich auf neue alte Abenteuer mit Harry, Ron und Hermine freuen. Doch selbst wenn man die Causa Rowling ausblendet (schwer genug!), gibt es ein künstlerisches Argument gegen die Idee hinter der Serie. Bei den Filmfestspielen in Cannes lief ein Film, der es untermauerte: das neue Martin-Scorsese-Kriminalepos Killers of the Flower Moon mit Leonardo DiCaprio.

Die Harry Potter-Serie wird eine "getreue Adaption"

Zunächst zurück zu Muggeln und Zauberern. Die neue Serie soll innerhalb von zehn Jahren alle sieben Bücher aus der Harry Potter-Reihe verfilmen, das heißt denselben Stoff wie die acht Kinofilme, die zwischen 2001 und 2011 erschienen. Nur mit einem neuen Cast und anderem Personal hinter den Kulissen. Wie diese neuerliche Adaption angegangen wird, deutete ein Statement von J.K. Rowling an. In der offiziellen Ankündigung des Streaming-Dienstes Max (ehemals HBO Max) wird sie so zitiert:

Max' Engagement, die Integrität meiner Bücher zu wahren, ist für mich wichtig, und ich freue mich darauf, Teil dieser neuen Adaption zu sein, die eine Tiefe und Detailgenauigkeit ermöglichen wird, die nur in einer Langform-Fernsehserie möglich ist.

Im dazugehörigen Tweet  wurde die Harry Potter-Serie als "getreue Adaption" gepriesen, als gäbe es nicht acht Kinofilme, die sich teils sklavisch an die Bücher halten.

Das Versprechen der Serie macht Angst

Die Vorstellung, eine getreue, detailgenaue Adaption der Harry Potter-Bücher oder irgendeines Buches sei automatisch vorzuziehen, ist ein gewaltiger Trugschluss. Es gibt sieben Harry Potter-Romane, die ein selbstständiges, abgeschlossenes Werk darstellen und eine Adaption kann nur gelingen, wenn sie denselben Anspruch für sich erhebt.

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Filme und Serien, die an der Vorlage kleben, sind in der Regel zum Scheitern verurteilt, weil sie sich nicht aus dem Schatten des Originals befreien können. Durch ihren Drang, Elemente eines Romans, eines Comics oder Videospiels exakt in einem anderen Medium zu reproduzieren, zerstören sie ihre eigene Existenzberechtigung. Eine gute Adaption extrahiert dagegen entweder die Essenz der Vorlage mit anderen Mitteln oder entwickelt sie weiter. Eine gute Adaption hat keine lähmende Ehrfurcht vor der "Integrität" der Vorlage.

Das Leonardo DiCaprio-Epos Killers of the Flower Moon zeigt, wie eine Adaption ihre Vorlage überflügelt

Der neue Film von Martin Scorsese, der vergangene Woche in Cannes Premiere feierte, ist ein überzeugendes Beispiel dafür, wie die Loslösung von der Vorlage näher an ihre Essenz führen kann.

Killers of the Flower Moon basiert auf einem Sachbuch von David Grann, das die systematische Ermordung von Osage in einem Reservat in den 1920ern erzählt. Grann gliedert sein True-Crime-Buch wie ein Whodunit. Die Spannung speist sich aus der Frage, wer der Mörder ist, was Grann erst in der zweiten Hälfte verrät. Daraus hätte man einen konventionellen Krimi basteln können.

Schaut euch den Trailer für Killers of the Flower Moon an:

Killers of the Flower Moon - Trailer (English) HD
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Scorsese und Co-Autor Eric Roth stellen den Aufbau der Vorlage allerdings auf den Kopf. Sie verändern die Perspektive der Erzählung und kürzen Erzählstränge rabiat. Sie folgen den Fakten, aber erzählen die Geschichte aus Sicht der Täter. Damit schenken sie dem Stoff eine Deutungsebene, welche die Vorlage so nicht hergab. Trotzdem trägt der Film verdientermaßen denselben Originaltitel wie das Buch. Killers of the Flower Moon existiert nun in zwei Medien, zwei Versionen, die Lesende und Zuschauende jeweils auf ihre Weise bereichern können. Wer das Buch gelesen hat, wird im Film Neues entdecken und umgekehrt.

Die Harry Potter-Serie sollte aus den Filmen lernen

Ich könnte noch viele weitere Beispiele nennen, etwa der ebenfalls in Cannes gezeigte The Zone of Interest mit Sandra Hüller, oder aber Der Herr der Ringe: Die Gefährten (zum Glück fehlt Tom Bombadil!), König, Dame, As, Spion, Shining, Der Pate I und II, und so weiter. Aber es genügt ein Blick auf die Harry Potter-Reihe selbst.

In den ersten beiden Filmen von Chris Columbus wird zwar die Atmosphäre der Zauberer-Geschichten wunderbar auf Film gebannt, allerdings folgen die Drehbücher den Vorlagen wie den Anweisungen eines Navigationssystems.

Demgegenüber springt Harry Potter und der Gefangene von Askaban viel freier mit den Zutaten des Buches um und gliedert sie der dynamischen Film-Erzählung unter. Die anderen beiden Filme leisten Vorarbeit, aber erst Teil 3 fängt die Essenz der Reihe ein, die Wunder und Grusel des Erwachsenwerdens in Fantasy-Geschichten verpackt. Es muss also nicht mal Scorsese sein. Die Serie täte gut daran, aus dem besten Harry Potter-Film zu lernen.

Podcast aus Cannes: Wie gut sind Indiana Jones 5 und Scorseses Killers of the Flower Moon?

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Ich war beim FILMSTARTS-Podcast Leinwandliebe zu Gast und spreche mit meinem Kollegen und Cannes-Mitbewohner Christoph Petersen über Indiana Jones und das Rad des Schicksals, Martin Scorseses Killers of the Flower Moon und Asteroid City von Wes Anderson. Hört rein!

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