Werner Herzog – Visionär & Wahnsinniger

05.09.2012 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Genie & Wahnsinn: Werner Herzog am Set von Fitzcarraldo
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Genie & Wahnsinn: Werner Herzog am Set von Fitzcarraldo
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Werner Herzog wird heute 70 Jahre alt. Ein deutscher Filmemacher, der trotz seines Alters noch längst nicht ans Aufhören denkt und auch in der Vergangenheit nachhaltig Kinogeschichte gestaltet hat. Wir gratulieren!

Autorenfilmer, Opernregisseur, Produzent, Autor und Schauspieler: Obwohl diese Schlagworte nur grob die Tätigkeiten des in München geborenen Werner Herzog zusammenfassen, lassen sie auf ein breites Spektrum an Erfahrung schließen. Ein Mann, der bereits den Dschungel erforscht, hinter menschliche Abgründe geblickt und zu guter Letzt sogar Klaus Kinski gebändigt hat, bleibt mit seinem Schaffen nicht unbemerkt. Erst recht nicht, wenn er sogar noch im hohen Alter von 70 Jahren als einer der bedeutendsten lebenden deutschen Filmemacher bezeichnet werden darf. Trotzdem ist sein Name nicht der populärste in der Kinolandschaft und auch in den Lichtspielhäusern hierzulande muss er um Kinostarts kämpfen. Zum 70. Geburtstag lassen wir Vergangenes Revue passieren und denjenigen, denen Werner Herzog bis dato noch kein Begriff ist, einen Einblick in die Filmographie des Regisseurs verschaffen.

Jeder für sich und Herzog gegen alle
Mit dem Dokumentar-Kurzfilm Herakles setzte Werner Herzog 1962 seinen Fuß in die Türschwelle der Filmlandschaft. Zu sehen sind Bodybuilder, die untermalt mit leichtfüßiger Jazz-Musik ihrer täglichen Tätigkeit nachgehen. Doch anstatt sich mit dem belanglosen Abbilden von Muskeln und stählerner Physis zu begnügen, fließt durch einfache Fragen schon in den ersten zwölf Minuten Film, die Werner Herzog veröffentlicht hat, sein typischer Subtext. Denn er setzt das Gezeigte mit den Aufgaben, die wir in unserem alltäglichen Leben bewältigen, gleich. Anschließend folgten weitere Kurzfilme wie beispielsweise Die beispiellose Verteidigung der Festung Deutschkreutz (1967) und spätestens nach der Auszeichnung mit dem Silbernen Bären für Lebenszeichen (1968), war der Name Werner Herzog ein Begriff in der deutschen Kinolandschaft. Weiteres Aufsehen erregte sein surrealistisches Drama Auch Zwerge haben klein angefangen (1979), in dem er ebenfalls eine Parabel auf die Menschheit und deren Zurechtkommen in einer übergroßen und unkontrollierbaren Welt inszenierte.

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Gemeinsam mit gleichgesinnten Autorenfilmern kristallisierte sich Werner Herzog neben Rainer Werner Fassbinder, Wim Wenders und Volker Schlöndorff als einer der wichtigsten Vertreter des Neuen Deutschen Films heraus, die sich vor allem von Heimatfilmen, Karl-May-Abenteuern sowie der Flut an Edgar-Wallace-Adaptionen distanzierten. Während seine Kollegen Filme wie Die Verlorene Ehre der Katharina Blum (Schlöndorff) oder Angst essen Seele auf (Fassbinder) in die Lichtspielhäuser brachten, kündigte sich Werner Herzogs Aguirre, der Zorn Gottes (1972) wie ein Paukenschlag in der Filmlandschaft an. Herzog will zum Denken anregen, spricht direkt Alltagsthemen sowie Missstände an und stellt mit seinem Werk Führertum und Imperialismus in Frage. Ganz in diesem Sinne beschäftigt sich auch Kaspar Hauser – Jeder für sich und Gott gegen alle (1974) mit der Gesellschaft und vor allem der Rolle des Individuums in diesem sozialen Konstrukt. Die Figur des isoliert aufgewachsenen Kauspar Hauser, der über keinerlei zwischenmenschliche Kompetenzen verfügt, war folglich eine Steilvorlage für den deutschen Filmemacher, um die Vielschichtigkeit seiner Werke aufrecht zu erhalten und auszubauen.

Erfahrungen, Begegnungen und Abenteuer am Ende der Welt
Bereits erwähnter Aguirre, der Zorn Gottes war nicht nur ein Markstein des Neuen Deutschen Films, sondern begründet zugleich die erste Zusammenarbeit mit Schauspieler Klaus Kinski. Ein exzentrischer Filmemacher und ein unkontrollierbarer Wüterich alleine im Dschungel? Doch gerade dieser Überschuss an Wahnsinn hat die Kombination einmalig gemacht und weitere vier fruchtbare Kollaborationen (Nosferatu – Phantom der Nacht, Woyzeck, Fitzcarraldo und Cobra Verde) waren das Resultat ihres gemeinsamen Weges. Selbst wenn die gemeinsamen Projekte mit Klaus Kinski, der sich durch äußerst engagierte Darstellungen und seine tobsüchtigen Wutausbrüche auszeichnete, von extremen Produktionsumständen und zahlreichen Konflikten geprägt waren, schrieben beide Künstler Filmgeschichte. Das letzte Zeugnis ihrer Hass-Liebes-Beziehung ist die 1999 von Werner Herzog umgesetzte Dokumentation Mein liebster Feind – Klaus Kinski, in der er gemeinsame Streitigkeiten, Anekdoten und Erfahrungen nochmals aufleben lässt.

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Den Namen Werner Herzog nur mit Klaus Kinski und dem Neuen Deutschen Film in Verbindung zu bringen, wäre eindeutig zu wenig, um das Schaffen des Regisseurs komplett zu verstehen. Eine ebenso wichtige Rolle spielen zahlreiche Dokumentationen, die sich in seiner Filmographie wiederfinden. Dabei handelt es sich in den seltensten Fällen um ausschließliche Berichterstattung und selbst wenn diese wie bei Die fliegenden Ärzte von Ostafrika (1969) sehr sachlich ausfällt, ist es immer noch Werner Herzogs Off-Kommentar, der das Interesse des Zuschauers weckt. Ansonsten zeichnen sich seine Werke wie La Soufrière – Warten auf eine unausweichliche Katastrophe (1977), The White Diamond (2004) oder Grizzly Man (2005) insbesondere durch eine subjektive und ungewöhnliche Herangehensweise aus. Werner Herzog zeigt und erzählt von einem Zustand, einer Begebenheit oder gar nur von einem Augenblick und erweitert das vorhandene Material um eine zusätzliche Ebene. In dieser arbeitet er das Gezeigte selbstreflexiv auf. Der daraus entstehende Sog zieht einen regelrecht in die Abenteuer des Filmemachers hinein. Einen Werner Herzog-Film zu schauen, bedeutet gleichzeitig etwas neues und ungewöhnliches zu erfahren und zu erleben.

Ewig dem Wahnsinn verfallen
Herzog gelingt es nicht nur zu fesseln und zu begeistern, sondern auch den Wahnsinn dieser Welt auf Zelluloid zu bündeln. So dringt er mit seinen jüngsten Projekten (Tod in Texas und death-row) in menschliche Abgründe vor und zeigt in seinen Filmen Geheimnisse dieser Erde, die wir ansonsten vielleicht nie wieder sehen werden. Er entführt unter eindrucksvollem Einsatz der 3D-Technik in Die Höhle der vergessenen Träume und sinniert dort, in diesem andächtigen Ort, wo die Zeit stehen geblieben zu sein scheint, über das Sein sowie dessen Sinn. Ebenso zeichnet Werner Herzog immer wieder Menschenbilder und Gesellschaft in seinen Filmen ab. Dabei kehren Herzog-typische Motive wieder, wie der zerrissene Antiheld, der Kampf des Menschen gegen sich selbst, seine Mitmenschen und die Natur sowie allgemein das extreme Verhalten seiner Protagonisten. So passt die für Werner Herzog untypische Remake-Neuinterpretation Bad Lieutenant – Cop ohne Gewissen (2009) mitsamt Nicolas Cage als unberechenbarer Protagonist in seine bisherige Filmographie und spiegelt sämtliche früheren Leitgedanken des Ausnahmeregisseurs wieder. Wer die komplette Fülle sämtlicher Werner Herzog-Filme erleben möchte, dem seien an dieser Stelle auch seine Audiokommentare ans Herz gelegt, die jedes seiner filmische Erzeugnisse um externe Aspekte berreichert.

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Nicht nur die Bilder, die Werner Herzog oftmals mit seiner Kamera einfängt sind sagenhaft und atemberaubend, sondern auch die ein oder andere Geschichte, die er mit besagtem Aufnahmegerät erlebt hat. So musste die Kamera für den Dreh von Aguirre, der Zorn Gottes aufgrund finanzieller Engpässe gestohlen/geborgt werden und für Rad der Zeit (2003) schmuggelte er die Apparatur sogar bis ins Landesinnere von Tibet, um der Welt von anderen Kulturen zu berichten. Ebenso wurden ihm diverse Wetten zum Verhängnis, als er sich zum Beispiel nach den Dreharbeiten von Auch Zwerge haben klein angefangen todesmutig in einen Kaktus stürzte, um seine Einsatz einzulösen. Der Höhepunkt dieser Eskapaden ist in der äußerst sehenswerten Dokumentation Werner Herzog Eats His Shoe festgehalten, in der er sich aufgrund einer verlorenen Wette mit dem Kollegen Errol Morris als Feinschmecker und wahrer Abenteuer erprobte.

Seit den Dreharbeiten von Begegnungen am Ende der Welt (2007) darf sich Werner Herzog auch als einer der wenigen Menschen der Filmgeschichte bezeichnen, die auf jedem Kontinent der Erde mit der Kamera unterwegs waren und uns immer noch mit mitreißenden Filmstoffen begeistern sowie faszinieren. Dafür ein großes Dankeschön und alle Glückwünsche zum 70. Jubeltag sowie für die Zukunft!

Was hat euch von Werner Herzogs Werken am meisten beeindruckt?

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