“It all ends” heißt es auf den Postern für Harry Potter und die Heiligtümer des Todes 2. Bei so gut wie jedem anderen Film würde so ein Satz anmaßend klingen, nicht bei der Harry Potter-Reihe. Nach zehn Jahren und über 6 Milliarden eingespielten Dollars geht eine Ära zu Ende. Der Kinostart von Harry Potter und die Heiligtümer des Todes 2 markiert den vorläufigen Höhepunkt eines Phänomens, das Millionen Leser und Zuschauer jeden Alters mit einem begabten Jungzauberer hat mitfiebern lassen. Ich bin eine davon. Zehn Jahre voller Begeisterung, Kritik und Wutanfälle über die Fähigkeiten von Daniel Radcliffe kommen diese Woche zu ihrem Abschluss. Doch selbst wenn einem der Hype auf die Nerven geht, sollten die Harry Potter-Filme nicht ignoriert werden. Vielmehr könnten die US-Studios von ihnen lernen.
Multimediales Großprojekt
Über die Zukunft des Kinos soll hier jeden Montag spekuliert werden. Dafür ist ein Blick zurück notwendig. 1996 erschien “Harry Potter und der Stein der Weisen” in Großbritannien in Buchform. 450 Millionen verkaufte Wälzer später hat sich die siebenbändige Jugendbuchserie in ein popkulturelles Phänomen samt Kinoreihe, Themenpark und Online-Game verwandelt. Zweifellos wirkten die seit 2001 veröffentlichten Filme als Katalysator einer Popularität, die dazu geführt hat, dass die Marke Harry Potter zu einem multimedialen Konglomerat gewachsen ist. Immerhin setzen die bisherigen sieben Streifen die erfolgreichste Reihe der Filmgeschichte zusammen und Teil 8 dürfte den Vorsprung erweitern.
Die blanken Zahlen, etwa das durchschnittliche Einspielergebnis von 90 Millionen Dollar an sieben Startwochenenden in den USA, haben naturgemäß viele Nachahmer animiert. Harry Potter und der Stein der Weisen selbst war 2001 Teil eines Fantasy-Booms der von Der Herr der Ringe: Die Gefährten mitgetragen wurde. Springen wir ein Jahrzehnt nach vorne, warten wir wiederum auf den nächsten Harry Potter-Film und auf die neue Tolkien-Adaption Der Hobbit: Eine unerwartete Reise von Peter Jackson. Wie kommt es, dass all die Epigonen und berechtigten Konkurrenten nicht einmal ansatzweise am Thron der Hobbits und Zauberer kratzen konnten? Anders gefragt: Warum lockt Harry Potter siebenmal weltweit Massen in die Kinos, während jeder neue Narnia-Film ein Wagnis darstellt?
Made in Britain
Die Chroniken von Narnia – Der König von Narnia (2005) hat es versucht, ebenso
Eragon – Das Vermächtnis der Drachenreiter (2006), Der Goldene Kompass (2007), Tintenherz (2008) und zuletzt Percy Jackson – Diebe im Olymp (2010). Nicht alle Filme in dieser Liste sind künstlerische oder kommerzielle Flops. Wenn das vergangene Jahrzehnt allerdings eines gezeigt hat, dann dass Bestseller (siehe Tintenherz) und Klassiker (siehe Narnia) keinen Freifahrtschein an der Kinokasse darstellen. Die Zahlen der Anderen sind deswegen auch ein Beweis für die Einzigartigkeit des Großprojekts “Harry Potter auf der Leinwand”.
Reden wir beispielsweise über die ganzen Briten. Warner Bros. stemmte die Harry Potter-Reihe ähnlich wie die Verfilmung von “Der Herr der Ringe” mit einer erstaunlich hohen kreativen Freiheit für die Macher. So kommt es, dass die Abenteuer des Zauberlehrlings weder amerikanisiert, noch von Steven Spielberg animiert wurden. Hilfreich war sicherlich, dass der britische Produzent David Heyman verantwortlich für die Umsetzung der Adaptionen zeichnet und dies unter den wachsamen Augen der Autorin J.K. Rowling tut. Deswegen stellen fast nur Briten das Ensemble. Jedes Mal, wenn ein Harry Potter-Film in Produktion geht, scheint Vollbeschäftigung unter britischen Schauspielern zu herrschen. Keine der oben genannten Produktionen kann eine mimische erste Garde vergleichbar mit Alan Rickman, Gary Oldman, Emma Thompson und Michael Gambon in einem Film vorweisen (Harry Potter und der Gefangene von Askaban).
Abgesehen vom Talent vor der Kamera, das die Reihe mit dem nötigen Prestige und dem dezidiert britischen Stempel versieht, leben die Harry Potter-Filme vom erstklassigen Personal hinter den Kulissen. Natürlich begann die Serie mit dem eher langweiligen Handwerker Chris Columbus auf dem Regiestuhl. Dafür verlieh ihr Alfonso Cuarón (Children of Men) den düsteren Look. John Williams schrieb mit dem “Hedwig’s Theme” ein unvergessliches musikalisches Thema. Ihm folgten Könner wie Patrick Doyle und Alexandre Desplat. Allein die Liste der Kameramänner berichtet vom Anspruch, der hinter jedem Harry Potter-Film steckt, den Zuschauern mehr zu bieten, als nur eine gemolkene Cash Cow. Slawomir Idziak, Bruno Delbonnel und Eduardo Serra seien hier nur als beeindruckende kleine Auswahl genannt. Über das Production Design könnte ich stundenlang schwärmen.
Einzigartigkeit mit Vorbildcharakter
Im Gegensatz zu den Twilight-Filmen wurden die magischen Internatsstories nicht einfach so schnell und nichtssagend wie möglich auf den Markt geworfen aus Angst vor der Aufmerksamkeitsspanne der jugendlichen Zuschauer. Spätestens seit Harry Potter und der Gefangene von Askaban sprach die Reihe eine wesentlich breitere Zielgruppe an, war als Familienausflug genauso attraktiv wie als Blockbusterunterhaltung mit den Freunden. Die Zuschauer wurden sprichwörtlich mit Harry erwachsen und blieben ihm trotzdem treu. Doch all das kommt am Donnerstag zu einem Ende. Für Warner Bros. geht die Suche weiter nach dem nächsten großen Ding und in den anderen Studios werden ähnlich große Fragezeichen an die Whiteboards gemalt werden.
Die Welt nach Harry Potter und die Heiligtümer des Todes 2 wird auf die neuen Abstecher nach Mittelerde warten. Und dann? Wenn es um die Verfilmung echter Besteller-Phänomene geht, erscheint die einsame Stig Larsson-Verfilmung Verblendung am Horizont. Als filmisches Großprojekt macht Marvels Weg zu Marvel’s The Avengers 2012 von sich Reden, der über Iron Man, Thor und Captain America – The First Avenger führt. Auch hier spricht das Personal zumindest teilweise von einem gewagten Qualitätsbewusstsein, man denke nur an Leading Man Robert Downey Jr. und Fan-Favorit Joss Whedon als Regisseur.
Obwohl alle Versuche der letzten Jahre, einen Erben von Harry Potter zu produzieren, gescheitert sind, sollte die achtteilige Filmreihe nicht als Singularität in die Filmgeschichte eingehen. Ich würde die Streifen niemals als Meisterwerke bezeichnen. Allerdings zeugen sie von einem nur noch selten in Blockbustern zu findendem Vertrauen in kreative Energien und handwerkliche Qualitäten. Nach sieben tatsächlich besser werdenden Filmen steht fest: Das Vertrauen hat sich ausgezahlt. Es wäre schön, wenn der ein oder andere Produzent sich die erfolgreichste Filmreihe aller Zeiten zum Vorbild nimmt.
Was denkt ihr: Sind die Harry Potter-Filme ein einmaliges Phänomen oder taugen sie als Vorbild?