Zum 100. Todestag des Winnetou-Vaters Karl May

28.03.2012 - 08:50 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
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Winnetou, Karl Mays populärste Figur
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Wenige Menschen haben die Literatur- und Filmlandschaft Deutschlands so nachhaltig geprägt wie Karl May. Vor 100 Jahren verstarb der Winnetou-Erfinder, weshalb moviepilot-User alanger sich mit dem Mann näher auseinandersetzt.

Am 30. März 1912 starb Karl May, der Vater von Winnetou, Old Shatterhand, Kara
Ben Nemsi und Hadschi Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah. Und vor fast genau 170 Jahren wurde er geboren. Grund genug, auf einen der einflussreichsten (und meistverkauften. Quelle? Wer mir eine vernünftige nennt, bekommt eine Currywurst am Curry 36 gratis) deutschen Schriftstellern hinzuweisen.

Hat das irgendwie einen Filmbezug? Natürlich gibt’s grade hier über eine Menge Filme zu reden. Karl-May-Bücher (und später die Filme) waren wichtiger Gesprächsstoff, Zeitgeist und Politikum. Seine Prozesse am Ende seines Lebens, bei denen sich herausstellte, dass er nicht Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi war, wie immer von ihm behauptet, keine ca. 1200 Sprachen und Dialekte sprach und nie auf Hatatitla ritt, waren ein nationales Ereignis.

In den 1960ern waren die Verfilmungen seiner Werke Blockbuster im Wortsinn. Die Leute standen rund um den Block, um in Winnetou zu gehen. ABER! Meine These: Es gibt (noch) keine Verfilmung, die dem alten Schlawiner so richtig gerecht wird.
Mag er ein Hochstapler, Knastbruder (fast 9 Jahre) und Baron Münchhausen gewesen sein, er war auch ein begnadeter Autor: Abenteuer für (große) Jungs (Orient, Wilder Westen), zeitgeschichtliche Dramen (Revolte in Nordafrika, Umbruch in Mexiko und China) und fast marxistisches (die Erzgebirgserzählungen), alles im Boot.

In ärmlichsten Verhältnissen in Hohenstein-Ernsttahl aufgewachsen, als Kind mehrere Jahre erblindet, der Trip in eine Fantasiewelt war vorprogrammiert. Irgendwann begann er für Zeitschriften zu schreiben, mit wachsendem Erfolg. Plötzlich wurde aus dem eher schmächtigen Karl May die alte Schmetterhand. Wenige Tage vor seinem Tod hielt er in Wien einen Vortrag, “Empor ins Reich der Edelmenschen” (klingt heute eher seltsam), und traf sich mit der von ihm sehr geschätzten Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner. Am Ende war er nur noch Pazifist.

Ein so umfangreiches Werk mit so vielen Abenteuern, die erzählt werden wollen, bringt natürlich eine Menge Verfilmungen mit sich. Bereits in der Stummfilmzeit griff man aus auf die Orientserie zurück. Mit Auf den Trümmern des Paradieses wurden einige Episoden aus dem Roman „Von Bagdad nach Stambul“ von Josef Stein verfilmt. Es ist keine Kopie des kommerziell nicht sehr erfolgreichen Films erhalten geblieben, aber immerhin war Mays Witwe bei der Premiere anwesend. Ebenfalls verschollen sind alle Kopien von Die Todeskarawane (Stein) und Die Teufelsanbeter (Ertugrul Moussin-Bey), in denen kein Geringerer als Bela Lugosi jeweils eine Komparsenrolle hatte. Alle drei hatten 1920 Premiere.

Auch im Dritten Reich gab es eine Verfilmung, war doch Karl May einer der Lieblingsschriftsteller des Führers. Was man dem alten Schlitzohr aus Hohenstein- Ernsttahl aber weiß Gott nicht anlasten kann. Diesmal war es Durch die Wüste von Johann Alexander Hübler-Kahla, der schon ein Jahr nach der Premiere (1936) Deutschland verlassen musste. Dieses, nun ja, etwas dröge Werk gibt’s aber wenigstens auf DVD zu besichtigen, Koch Media sei Dank.

Die große Zeit der Karl-May-Filme sollte erst noch kommen.
Einen ersten Vorgeschmack gab es 1958 und 1959 mit zwei bundesdeutschen Verfilmungen von Stoffen aus dem Orient-Zyklus. Die Sklavenkaravane und Der Löwe von Babylon waren deutsch-spanische Co-Produktionen, die auch jeweils zweisprachig gedreht wurden. Auch hier gibt’s DVDs, richtig spannend sind die beiden Wirtschaftswunderklamotten mit Theo Lingen und Georg Thomalla aber nicht. Genau wie die 1930er-Variante nur Hardcoresammlern zu empfehlen.

GONG! Die Produzentenlegende Horst Wendlandt tritt auf!
1962 produzierte er den ersten Karl-May-Wild-West-Film: Der Schatz im Silbersee.
Regisseur war der ehemalige Regieassistent von Leni Riefenstahl, Harald Reinl.

Wendlandt besetzte die Rolle des Old Shatterhand mit dem ehemaligem Tarzan-Darsteller Lex Barker (Alexander Crichlow Barker Jr), für ihn „deutscher als alle Deutschen“ aussehend, und dem französischen Jungstar Pierre Brice (Pierre Louis, Baron le Bris) gab er den Part als Winnetou. Beides erwies sich als Glücksgriff. Auch wenn Brice anfangs große Ressentiments gegen die Rolle hatte, er wurde DAS Gesicht Winnetous.

Eng an der Vorlage war der Film wahrlich nicht, bot aber einige wichtige Charaktere aus dem May-Universum, und hatte mit den jugoslawischen Locations ein für die damalige, noch nicht so weitgereiste deutsche Kinogemeinde eine tolle Westernlandschaft aufzuweisen. Diverse weiterer Stars wie Götz George, Eddi Arent, Karin Dor, alle mehr oder weniger aus den Edgar-Wallace-Filmen von Horst Wendlandt bekannt, machten das Kraut fett.

Ja, ein Film, den ich, trotz allem Klamauk, empfehlen kann. Der Erfolg war enorm, nicht nur in deutschen Landen. Von jetzt an war das Feuerross nicht mehr zu stoppen. Winnetou, das Opus magnum aus Mays Schaffen, ebenfalls von Reinl / Wendlandt, übertraf die (hohen) Erwartungen und wurde ein Exportschlager. Selbst in der Heimat des Western, in den Staaten, lief der Film mit einigem Erfolg. Interessanterweise auch in der UdSSR („Виннету“). Empfehlung.

In der DDR lief er nie (bzw. erst im TV, in den 1980ern). Wir (in der Zone) hatten seinerzeit alle Brücken zu Karl May abgebrochen, die Verlags- und Filmrechte nach Bamberg verkauft und das Karl-May-Museum in „Indianer-Museum Radebeul“ umgetauft. Aus dem sächsischen „Weltenbummler“ war ein böser Imperialist geworden. Warum auch immer.
Wenn seinerzeit irgendeine Filmreihe gut lief, war schnell Artur „Atze“ Brauner am Ball. So schon bei den Edgar-Wallace-Filmen geschehen. Klar enterte er das fett beladene Schiff und brachte seine eigene Reihe zur See. Dank seltsamer Vertragsklauseln konnte er sich die populären Hauptdarsteller sichern und machte aus „Motiven“ von Karl May ziemliche Grütze. So in Old Shatterhand.
Immerhin hatte er mit Der Schut, ebenfalls auf der Orientserie basierend, mit Robert Siodmak einen wirklich guten Regisseur an der Hand. Die extrem düstere Vorlage wurde leider als Ulknummer umgesetzt.
Winnetou II, meines Erachtens nicht so gut wie der Vorgänger, kann sich trotzdem sehen lassen, aber langsam wird’s Routine.

Mit Unter Geiern kam Stewart Granger (Lex Barker durfte aus Vertragsgründen nicht) als „Old Surehand“ ins Boot. Ein wohl eher anstrengender Typ, wie Pierre Brice später stöhnte. Und erstmals ein junger Jugoslawe, der es ab da für die Jahrzehnte bei der DEFA zum „Chefindianer“ bringen sollte: Gojko Mitic.
Auch dieser Film ist jedoch eher dröge.

Die Geldruckmaschine Karl-May-Film kam inzwischen zum Stillstand. Mehr oder weniger lieblos hingeschnodderte Werke, die so gut wie nix mehr mit den Vorlagen gemein hatten, und Schauspieler wie Heinz Erhardt (schon ein guter, der in den Streifen aber noch weniger zu suchen hat als ein Theo Lingen) machten dem deutschen Subgenre den Garaus. Der legendäre Martin Böttcher, der den Sound so vieler Verfilmungen geprägt hatte, war auch nicht mehr mit an Bord.
Es folgte noch eine ganze Reihe von Filmen, mal im Orient, mal in Mexiko, Südamerika oder im „Wilden Westen“ angesiedelt. Alles für die Katz. Von Winnetou III (Harald Reinl) abgesehen, gibt es nur noch einen empfehlenswerten: Winnetou und Shatterhand im Tal der Toten. Noch mal zurück auf Anfang, noch mal May-Feeling, dann war’s vorbei.

Das alles hatte sich im Verlauf von ca. 6 Jahren abgespielt, heute unglaublich. Die Hotelbuchungen in Jugoslawien, zumindest was Wendlandt und Brauner betraf, gingen abrupt zurück. In Deutschland gab es den „jungen deutschen Film“, und die Karl-May-Filme waren auf einmal so aufregend wie die Heimatfilme, die Sissi-Reihe und die Edgar-Wallace-Streifen. Jeder Schulmädchenreport war plötzlich spannender. Es gab später diverse TV-Serien (Mein Freund Winnetou), sogar DDR-Verfilmungen (Das Buschgespenst), sowie eine Zeichentrickserie (WinneToons), aber der Rauch war raus.
Wer all das nicht verdient hat, ist Karl May.

Ich wünsche mir einen RICHTIG guten Karl-May-Film (besser noch ganz viele), das Potential haben die Geschichten, spannend und vor allem humanistisch sind sie immer. Wird wohl nicht so kommen, aber wer weiß…

Zum Weiterlesen und Weiternetten:

- Karl May. Grundriss eines gebrochenen Lebens
(Sehr gut, und Hans Wollschläger war auch Herausgeber der textgenauesten Edition der May’schen Werke)
- Gesammelte Werke: Karl-May-Filmbuch: Stories und Bilder aus der deutschen Traumfabrik
- Das große Album der Karl-May-Filme
- Swallow, mein wackerer Mustang
- Sitara und der Weg dorthin: Eine Studie über Wesen, Werk und Wirkung Karl Mays

Und natürlich dies hier:
karl-may-filme.de

Und unbedingt:
Bild.de


Vorschau: Nächste Woche wird zitiert!


Dieser Text stammt von unserem User alanger. Wenn ihr die Moviepilot Speakers’ Corner auch nutzen möchtet, dann werft zuerst einen kurzen Blick auf die Regeln und schickt anschließend euren Text an ines[@]moviepilot.de

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