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Ein spannender Blick nach Vietnam

15.02.2015 - 04:32 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
"Unsere sonnigen Tage" aus Vietnam
DNY PRODUCTIONS
"Unsere sonnigen Tage" aus Vietnam
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Mein letzter Tag der Berlinale 2015 führte mich auf eine interessante Reise nach Vietnam. Ansonsten: Neben zwei mittelmäßigen Genrefilmen fand mit dem schönsten Film der Kon-Ichikawa-Retrospektive mein Festival einen wunderbaren Abschluß.

Vietnam auf der Berlinale

Ein Wettbewerbsfilm aus Vietnam sollte mich heute um 9:30 in den Friedrichstadtpalast locken. Dass es Unsere sonnigen Tage (Cha Và Con Và) von Phan Đăng Di überhaupt in den Wettbewerb eines großen Filmfestivals geschafft hat, ist schon aller Ehren wert. Zumal er erst die zweite Regiearbeit von Phan Đăng Di ist. Kürzlich strahlte Arte seinen Debütfilm Hab keine Angst, Bi! aus. Ich warf damals auch einen kurzen Blick hinein, habe aber aus Müdigkeit frühzeitig abgebrochen. Heute ärgere ich mich etwas darüber. Er scheint in eine ähnliche Richtung wie Unsere sonnigen Tage zu gehen.

Den Zugang zum Film macht Unsere sonnigen Tage dem Zuschauer eventuell zunächst nicht so einfach. Die Stärken lassen sich erst auf dem zweiten Blick ausmachen. Außerdem geht es dem Film eigentlich weniger ums Geschichtenerzählen; vielmehr möchte Phan Đăng Di den Zeitgeist aus Saigon (eigentlich Hồ-Chí-Minh-Stadt) in den Neunziger Jahren beschwören, einer Zeit des langsamen Aufblühen des Landes und dem Aufkommen neuartiger gesellschaftlicher Probleme. Dies unterstreicht er durch bedrohlich wirkende Naturaufnahmen aus dem Mekong-Delta, in den sich die Gefühle der Menschen wiederspiegeln. Neben dem Tabuthema der Homosexualität berichtet der Film von staatlich gelenkten Eingriffen in die Familienplanung. Männer können sich gegen Geld vom Staat einer Sterilisation unterziehen lassen. Finanziell in Not geratete lassen sich da natürlich leicht verführen. Ein weiteres Thema ist die (vielleicht etwas plakativ dargestellte) erniedrigende Behandlung von Frauen. Sie werden entweder als Lustobjekt wahrgenommen oder dürfen sich mit der Rolle der Mutter und Köchin begnügen.

Der Fotographiestudent Vu, hervorragend gespielt von Lê Công Hoàng, dient uns als Auge. Er verbringt seine Freizeit mit seinen Kumpels bei Ausflügen in die wilde Natur oder im Großstadtgewimmel und auf Partys. Die Gruppe junger Männer hat dabei natürlich wenig Geld zur Verfügung. Er verliebt sich in seinen Mitbewohner Thang, der ihn in die Drogenszene und die Welt der Kleinkriminalität und des Glücksspiels einführt; mit unschönen Folgen natürlich. Vu hat aber auch eine Beziehung zur schönen Tänzerin Van, gespielt vom Star des Filmes. Đỗ Thị Hải Yến kennt man auch außerhalb von Vietnam, beispielsweise ist sie als Phuong in der Graham-Greene-Verfilmung Der stille Amerikaner von Phillip Noyce zu sehen.

Heute Nachmittag traf ich mich erneut mit dem vietnamesischen Journalisten, den ich diese Woche kennen gelernt habe. Er hat den Film inzwischen zweimal gesehen und wir haben uns etwas eingehender über Unsere sonnigen Tage unterhalten können, wobei er mir einige offenen Frage erklären könnte (beispielsweise die Figurenkonstellationen etwas zu verstehen). Wir konnten uns darauf einigen, dass der Film vielleicht ein paar Charaktere zu viel besitzt. Insbesondere die hohe Anzahl an Frauenfiguren behindert dabei etwas die Absicht des Regisseurs, seine Geschichten aus einer vornehmlich männlichen Perspektive zu beleuchten.

Der Film ist Teil der Neuen Welle des vietnamesischen Kinos. Eingeläutet durch Regisseure wie beispielsweise Tran Anh Hung (Naokos Lächeln, Der Duft der grünen Papaya) oder Bui Thac Chuyên (Vertiges, Adrift) ist das Independentkino Vietnams noch recht jung und klein, aber wohl gut vernetzt und motiviert. Staatlich produzierte Filme dienten bis in die Neunziger hinein einzig dem politischen Zweck, der kommunistischen Partei und der Regierung zu helfen. Erst seit den Neunzigern hat sich dies geändert. Viele junge Filmemacher sind inzwischen durch das Internet in der Position, ihre Kurzfilme auf verschieden Plattformen zu verbreiten.

SABU macht jetzt Mainstream

Der letzte Wettbewerbsfilm 2015 ist der japanische Blockbusterfilm Chasuke's Journey (Ten No Chasuke) von Hiroyuki 'SABU' Tanaka. Die verrückte Mischung aus Liebesfilm, Fantasy, Komödie und Actionfilm ist irgendwo zwischen Stadt der Engel, Die fabelhafte Welt der Amélie und Gangsterstreifen anzusiedeln. Die Idee klingt fantastisch: Die Schicksale aller Menschen werden von Drehbuchschreibern im Himmel gelenkt. Die junge Yuri soll beispielsweise bei einem Autounfall sterben. Allerdings ist der Teejunge der Schreiberlinge, Chasuke (gespielt von Kenichi Matsuyama aus Naokos Lächeln), in Yuri verliebt und macht sich kurzerhand auf zur Erde, um sie zu retten. Dabei helfen ihm ein paar befreundete Drehbuchautoren und eine rasante Geschichte voller Witz und Charme beginnt. Leider verliert der Film in der zweiten Hälfte dann erheblich und die übertriebene Darstellung von Gewalt gefällt mir weniger. Im Vergleich zu den bisherigen Filmen von SABU hat mir Chasuke's Journey weniger gefallen. Monday und Blessing Bell sind da empfehlenswerter. Und visuell interessanter erscheint mir beispielsweise Kanikôsen, der 2009 auf im Berlinale-Forum gezeigt wurde. Der neueste Film wird in Japan (und vielleicht auch hierzulande) ganz sicher sein Publikum begeistern können.

Gruselfilm um weibliche Hysterie

Es ging mit einem weiteren Genrefilm weiter. Angelica von Mitchell Lichtenstein erzählt von der jungen Constance im London der Jahre 1880. Aufgrund eines körperlichen Leidens ist ihr eine vollständige sexuelle Abstinez auferlegt. Der Film ruft nun freudsche Theorien auf den Plan und läßt die junge Frau furchteinflössende Vision durchleiden. Auch wenn der Film ironisch gebrochen wird, so kann mich die phsychologische Studie nicht vollständig überzeugen. Das Ende ist zwar durchaus interessant, aber allzu vorhersehbar. Die Idee ist dann doch etwas zu dünn, um den ganzen Film tragen zu können. Darstellerisch ist Angelica durchaus gut (insbesondere Hauptdarstellerin Jena Malone machten einen guten Job) und der Film besitzt eine sehr schöne Atmosphäre. Das reicht mir aber leider nicht wirklich aus.

Kon Ichikawa hat mich dann doch noch gekriegt

Keiko Kishi und Hiroshi Kawaguchi in "Her Brother"

Mit Her Brother (Ototo) fand die Berlinale 2015 einen sehr schönen Abschluß. Nachdem ich zuvor zwei andere Filme in der Kon-Ichikawa-Retrospektive im Rahmen des Forums sah, die ich zwar gut fand, mich aber nicht wirklich begeisterten, konnte mich der dritte Film nun endlich mit Ichikawa versöhnen. Der Tempel zur goldenen Halle und An Actor’s Revenge hatten mir es etwas schwer gemacht und waren für mich zu religiös philosophisch oder aufgrund des Kabuki-Hintergrundes zu schwer zugänglich. Her Brother ist jedoch eine einfache, zunächst leicht heitere Familiengeschichte. Das Geschehen wird vollständig aus der Sicht der jungen Gen erzählt, wundervoll verkörpert durch Keiko Kishi. Da die Mutter aufgrund von Rheuma schwer eingeschränkt ist und der Vater vorgibt zuviel arbeiten zu müssen, ist die junge Frau gezwunden den alltäglichen Familenbetrieb am Laufen zu halten. Die größten Sorgen bereiten ihr dabei der jüngere Bruder Hekiro. Außerdem könnte eine Heirat sich langsam ankündigen. Die Situation führt zu Spannungen innerhalb der Familie. Ein schwerer Schicksalsschlag soll die Situation jedoch grundlegend verändern. Die letzte Szene des Filmes ist so grandios und emotional, dass ich Tränen in den Augen hatte.

Kon Ichikawa hat über 80 Filme gedreht. Dabei bearbeitete er alle denkbaren Genres, was ihn nur sehr schwer einordnenbar macht. In seiner Filmographie finden sich unteranderem Samuraifilme, Komödien, Kriegsfilme und Melodramen. Her Brother hat mir jedoch gezeigt, dass es dort ganz sicher auch für mich noch eine ganze Menge an interessanten Werken zu entdecken gilt.

Vor dem Film hatte ich eine Unterhaltung mit einem älteren Amerikaner, der seit Jahrzehnten in Japan lebt und Ichikawa persönlich kannte. Ob er selbst in der Filmbranche tätig war, habe ich in dem kurzen Gespräch nicht herausfinden können, liegt allerdings nahe. Ich war sehr begeistert von dessen filmischen Schaffen und zeigt mir auf, wie wenig Ahnung ich eigentlich vom klassischen japanischen Kino habe. Eigentlich bilde ich mir ein, mich auf diesem Gebiet etwas auszukennen, aber dieser ältere Herr war einfach eine ganz andere Liga. In der Vorstellung von Her Brother um 22:30 im Kino Arsenal saßen übrigens auch Atsushi Funahashi, der Regisseur von Nuclear Nation, sowie Ulrich Gregor, der gestern die Rosi-Einführung hielt. Echte Filmfans eben... Her Brother war übrigens für mich der insgesamt 300ste Berlinale-Film in 11 Jahren.

Berühmte letzte Worte?

So Leute, das war's mit dem Filmeschauen. Morgen werde ich trotz Berlinale-Kinotag in keine Kinos mehr gehen. Ich werde in aller Frühe in einen Zug steigen und meine drei Mädels von der Oma abholen. Ich freue mich schon riesig darauf, die Zwillinge endlich wieder in die Arme schließen zu dürfen. Sie haben mir inzwischen sehr gefehlt. Und am Montag geht dann auch wieder der Alltag los. Aber das war es noch nicht ganz mit meinem Blog. Ich werde in den nächsten Tagen noch eine Zusammenfassung zu den Berliner Filmfestspielen von 2015 bringen. Bis dahin...


Zusammenfassung


Meine bisherigen Blogeinträge zur Berlinale:


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