Kinofilme sind die neuen Serien

30.04.2012 - 17:50 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
Die Einzelabenteuer als Vorspiel - Marvel's Avengers
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Die Einzelabenteuer als Vorspiel - Marvel's Avengers
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Seit Donnerstag erobern die Avengers die deutschen Kinos. Der Erfolg des Superheldenfilms ist vorprogrammiert, immerhin werden wir seit vier Jahren darauf vorbereitet. Das gigantische Projekt ist Ausdruck eines Kinos, das sich den TV-Serien annähert.

Es soll Leute geben, die nicht jede große Comic-Verfilmung mit Argusaugen verfolgen, die ihren Hulk nicht von ihrem Thor unterscheiden können und vom Vorspiel des Kino-Events Marvel’s The Avengers so gut wie nichts mitbekommen haben. Ja, diese Leute gibt es. Sie sind keine cineastischen Dodos, sondern ein nicht zu unterschätzender Teil der Bevölkerung. Und selbst wenn sie beim Filmabend mit Freunden Iron Man (2008) gesehen haben oder letzten Frühling von einem Rhethorik-Genie zum Kinobesuch von Thor (2011) überredet wurden, heißt das längst nicht, dass sie sich beim Ansehen von Avengers an die relevanten Origin Stories erinnern. Die lässt Avengers nämlich weg, ebenso wie das Gros der Hintergrundinformationen rund um Iron Man, Thor, Captain America und Hulk. Diese Form der Erzählweise kennen wir jedoch eher aus einem anderen Medium: dem Fernsehen.

Von Groschenromanen und hellblauen Anzügen
Serielle, also inhaltlich miteinander verbundene Strukturen bevölkern die Popkultur seit langem. Groschenromane und -hefte nutzen dieses Prinzip der potenziellen Endloserzählung schon seit dem 19. Jahrhundert und in den vielen Jahrzehnten danach wurde die Erzählweise in Comics und in Fernsehserien aufgenommen. Das Kino bildete keine Ausnahme, denn aus kommerzieller Sicht gleicht die (am liebsten) unendliche Weiterführung einer Geschichte dem Heiligen Gral der Kino-Auswertung. Zyklen wie die Sherlock Holmes-Filme mit Basil Rathbone, die Edgar Wallace-Reihe, die Eis am Stiel -Filme oder meinetwegen die gefühlt dutzenden Schulmädchen-Report-Streifen funktionieren letztlich nach dem gleichen Prinzip. Dieselben Zutaten werden in jedem Teil ähnlich aufbereitet, so dass nur noch in den inhaltlichen Feinheiten die tatsächlichen Unterschiede auszumachen sind.

Vor dem Siegeszug der modernen seriellen Erzählung seit den 80er Jahren funktionierte das Fernsehen ganz ähnlich. Serien, und das lässt sich heute noch in klassischen Sitcom- und Crime-Formaten nachfühlen, lockten die Zuschauer nicht mit komplexen Season Arcs. Statt 12 oder 24 Folgen auf Befriedigung zu warten, boten sie uns vielmehr in sich abgeschlossene Einheiten, die durch das Erwartbare fesselten. Fans wissen ganz genau, was sie bei einer Folge von Matlock erwartet und sie können sich einer Sache sicher sein: Am Ende gibt es tatsächlich ein befriedigendes Ende.

Heutzutage sieht unsere Vorstellung von serieller Erzählung natürlich ganz anders aus. Das Einsteigen zu jedem Zeitpunkt – früher wegen der Ratings die höchste Priorität – scheint bei Shows wie The Wire, Die Sopranos und Mad Men geradezu unmöglich. Das Vorwissen, nicht nur der vorangegangenen Folgen, sondern ganzer Staffeln mutiert im Zeitalter der DVD zum Nonplusultra des Serienvergnügens. Diese Evolution der TV-Unterhaltung hat einige Jahre in Anspruch genommen. Das Avengers-Projekt zeugt nun davon, dass das Kino selbst in einer seriellen Pubertät steckt.

Vier Jahre lang Staffel 1
Was die klassischen Sequels und Prequels vom Avengers-Projekt unterscheidet, ist die Planung, ist die von vornherein angedachte Verknüpfung der einzelnen Beiträge, um nach ein paar Jahren, das Netz in Gestalt von Marvel’s The Avengers einzuholen. Danach wird es mit Iron Man 3 und Thor 2: The Dark Kingdom wieder ausgeworfen. Einer der Vorreiter dieser Planung auf Blockbuster-Niveau war zweifellos George Lucas, der am Ende von Krieg der Sterne nicht den großen Sieg über die Dunkle Macht stellte, sondern den beunruhigten Blick ins All und die Spannung auf die eigentliche Konfrontation in einem der nächsten Teile. Im Gegensatz zu dieser Saga ist das Avengers-Projekt jedoch nicht auf ein Ende hin konzipiert. Solange das Geld hereinkommt, solange die einzelnen Ausgaben gekauft werden, gilt es, Avengers-Einzel- und Gruppenabenteuer zu drehen, neue Helden einzuführen, alte Story Arcs abzuschließen, die nächsten aufzubereiten. Genau deswegen solltet ihr beim Abspann von Avengers auch sitzenbleiben.

Vorbild dieser Markenauswertung sind, und das ist naheliegend, Comics. Doch etwas einzigartiges hat Marvel dennoch zustande gebracht. Über fünf stilistisch erstaunlich ähnliche Filme und vier Jahre wurde die außergewöhnliche Kinoserie den Zuschauern schmackhaft gemacht. Natürlich sind die Verknüpfungen zwischen den Filmen längst nicht so engmaschig wie im TV-Betrieb. In den ersten Streifen bildeten vor allem die kleinen Abspann-Segmente mit S.H.I.E.L.D. die Naht des Avengers-Projekts. Doch schon die Art und Weise, wie Loki in Thor darauf sozusagen vorbereitet wird, ein Jahr später gegen die Avengers auszutreten, zeugt von einer seriellen Erzählung neuen Grades im Mainstream-Kino. Ganz zu schweigen von all der Zeit, die den so wichtigen Origin Stories der Superhelden durch die Einzelabenteuer gewidmet, und so in Avengers ausgespart wurde. So könnten sich all jene Zuschauer, die etwa Captain America – The First Avenger nicht gesehen haben, in Avengers von seiner altmodischen Ausdrucksweise und den Anspielungen latent überfordert fühlen.

Avengers ist deshalb keine Hauptreihe mit einzelnen Spin-offs und auch kein Crossover verschiedener Hauptreihen. Das Marvel-Projekt bildet mit all seinen demnächst mehrere Sequels umfassenden Einzelreihen eine neue Form der Kinoreihe, irgendwo zwischen Zyklus und Serie angesiedelt. Marvel’s The Avengers ist im Grunde das Finale der ersten Staffel. Die Spannung dieses neuartigen Sequel-Konzepts liegt nun darin, ob die Kinoserie in der zweiten Staffel die Pubertät überwindet.

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