Ranger sucht Sündenbock - Von Deppen & Kritikern

10.08.2013 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Sündenbock gesucht - Von Deppen und Filmkritikern
Disney/moviepilot
Sündenbock gesucht - Von Deppen und Filmkritikern
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Johnny Depp, Jerry Bruckheimer und Co. mussten mit Lone Ranger einen 250 Millionen Dollar teuren Flop hinnehmen. Aber wer ist schuld? Der schwarze Peter machte die Runde und landete am Ende – welch Überraschung! – bei den Kritikern…

Es war einmal…ein Depp, ein Verb, ein Eimer und ein Hammer, die machten einen Film. Einen großen Film. Sie hatten viel Spaß bei der Arbeit und freuten sich darauf, ihren tollen Film der Welt zu zeigen. Und auf die vielen fröhlichen Gesichter, die ihr Film hervorzaubern würde. Zwar wurde ihr Film etwas größer als gedacht, aber das sollte ihn nur umso toller machen. Wären da nicht die fiesen Krits, die keine Freude und keine Liebe kannten und sich vom Leid anderer labten…

So oder so ähnlich dürften aktuell die Märchen von Johnny Depp, Gore Verbinski, Jerry Bruckheimer und Armie Hammer klingen, die sie ihren Kindern oder Neffen erzählen. Wie wir alle wissen, entpuppte sich ihr jüngstes Projekt Lone Ranger als ein lupenreiner Kinoflop. Schnell wurde ein Schuldiger gesucht – ebenso schnell wurde einer gefunden. Nun könnte man denken “wie schön wäre es, wenn Filmemacher sich ausnahmsweise an der eigenen Nase nehmen und den schwarzen Peter nicht weiter reichen würde”, was aber nur ein weiteres Märchen wäre. Die Filmemacher tun stattdessen, was bereits andere vor ihnen taten: Mit dem Finger auf die bösen Filmkritiker zeigen.

Die Schuld der Anderen
Wer sich nicht mehr an die alte Leier der Filmemacher erinnern kann, der Refrain ging in etwa so: Die Kritiker sind die Schuldigen. Uh uh. Ihre extremen Vorurteile und unfairen Erwartungen tragen die Schuld am schlechten Abschneiden des Films. Ah ah. Die Kritiker haben bereits Monate vor Kinostart ihre Meinungen gebildet, nur über die Produktionskosten geschrieben und somit einen großartigen und humorvollen Film verpasst. Uh ah et cetera. Langer Songtext, kurzer Sinn: Die Herren der Blockbustererschöpfung können nicht verstehen, warum ausgerechnet ihr Prachtgaul auf die Schlachtbank geführt wurde. Aber bevor wir uns dazu hinreißen lassen, diese Frage zu beantworten (“weil er stinkt”), wollen wir etwas genauer darauf eingehen.

Zunächst eine absolut gewagte These: Vielleicht tun die Kritiker dem Film unrecht und der Präriehund liegt nicht bloß darin begraben, dass der Film wirklich so schlecht ist wie alle behaupten – und man insofern Depp und seinen Compañeros Unrecht tut – sondern der Film schlicht und ergreifend langweilt. Von vorne bis hinten von oben bis unten tristes Blockbustereinerlei. Ein lahmer, 250 Millionen teurer Gaul, aber immerhin besser als Wild Wild West.

Was wäre wenn…
Aber lassen wir die Kosten des einsamen Rangers und dessen “Qualitäten” mal beiseite. Angenommen, die gesamte Filmkritikerspezies leidet an einer pandemischen Geschmacksverstimmung, hätte aufgrund irgendeines mysteriösen Phänomens den Verstand verloren und Lone Ranger zu unrecht geohrfeigt. Und angenommen, diese zu Unrecht verteilten Filmverrisse wären wirklich in dem Umfang beim Rezipienten angekommen wie es uns die Filmherrschaften weismachen wollen. Angenommen, die unterbezahlten Filmkritiker dieser Welt hätten wirklich die Macht, gegen die bis zu neunstelligen Werbebudgets von Konzernen wie Disney anzukommen, wie passen Megahits wie Transformers – Die Rache, Twilight 4: Breaking Dawn – Biss zum Ende der Nacht – Teil 2 oder Shrek der Dritte in dieses Szenario, alles Filme die bei den Kritik gnadenlos durchfielen? Wie konnte es jemals dazu kommen, dass ein von Kritikern massakrierter Film wie Kindsköpfe eine Fortsetzung bekommt? Und warum fristen Kritikerlieblinge wie Before Midnight oder Ernest & Célestine solch ein erbärmliches Nischendasein, wenn Kritiker doch so mächtige Wesen sind?

Noch eine kleine Annahme, weil’s grad so viel Spaß macht: Angenommen, das Budget hätte bei der Rezensierung von Lone Ranger wirklich eine Rolle gespielt und die Kritiker davor abgehalten, dem Film objektiv zu begegnen. Angenommen, die Negativpresse vor Kinostart wäre wirklich einer der Hauptgründe gewesen, der dazu beigetragen hätte, den Film zu untergraben, wie passt der Erfolg von World War Z in dieses Weltbild? Oder dass sich Filme wie Titanic trotz immensen Negativhypes wie Phönixe aus der Asche erhoben?

Seiner Zeit voraus?
Butter bei die Maiskolben: Depp, Verbinski und Bruckheimer haben sich nie sonderlich um die Meinung von Kritikern geschert. Aber nun, wo das Klingeln der Kassen nicht mehr den Lärm der Kritiker übertönt, blöken sie um die Wette. Es ist eine unbequeme Wahrheit, dass die eigene “Filme malen nach zahlen”-Schablone vielleicht an einem toten Punkt angelangt ist. Wenn der gemeine Pöbel plötzlich von den eigenen Filmen gelangweilt ist, obwohl man sich genau an die Blaupause hielt und die Kritiker unverändert Gift und Galle spuckten, dann liegt es womöglich nicht an den Umständen, sondern an einem selbst. Das Publikum mag mich nicht mehr? Undenkbar! Selbstreflektion war noch nie die Stärke von Hollywood, Depp und Bruckheimer klammern sich stattdessen an die Hoffnung, dass in ein paar Jahren die Kritiker zurückblicken und sagen werden: “Wir haben Johnny und Jerry unrecht getan, der Film ist richtig dufte…”. Noch ein Märchen, das sie ihren Kindern erzählen können.

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